Galionsfiguren eines schönen Lebens

■ Auf der Weserinsel Harriersand lebt die Künstlerfamilie Hartmann vom Schnitzwerk und von der Sonne vor der Haustür. Nur das Schiffahrtsamt wirft Schatten auf die Idylle, donnert mit Planierraupen über den Strand und vernichtet den Pappelbestand.

Strandgut ist schön, wenn es sich als Plastiktüte zwischen Schilf und kahlen Weiden verfängt. Auf der Weserinsel Harriersand hinter dem Haus von Birgit und Claus Hartmann sammeln sich graumelierte Tische neben Plastikschlangen und vergessenen Flaschenpost-Buddeln zu einem Stilleben; aber die beiden Künstlersleut in der tiefen Kate sitzen lieber in der Märzsonne oder laufen fortstrebenden Himbeersträuchern hinterher.

Nicht, daß sie sich immer so dem Nichtstun verschreiben würden. Täglich 14 Stunden Arbeit, da kann man doch mal kurz die Beine hochlegen und dem fröhlichen Geplapper von Töchterchen Fionghal lauschen. Außerdem ist es erst vier Wochen her, daß die Sturmflut am Hof Nummer Sechs von Harriersand vorbeigebraust ist – und das Stilleben liegt auch gar nicht wirklich in der Verantwortung der Familie Hartmann. Nicht ökologisch und auch nicht künstlerisch.

Zwischen Weserwellen und den Backsteinkaten der Bauern hat die Bundesrepublik Deutschland nämlich auf Europas größter Flußinsel einen 15 Meter breiten Streifen Ufers in ihrem Besitz; verwaltet wird dieser vom deutschen Wasser- und Schiffahrtsamt in Bremen. Die Hartmanns brauchten ein bißchen Zeit, um das zu begreifen. 1994 waren sie hierhergezogen, er, Heilpädagoge und angehender Landarzt, sie Grafikerin.

Eigentlich meinten sie, wie übrigens auch ihre Nachbarn auf den Wurten ringsum, daß sie selbst verantwortlich dafür seien, daß ihnen ihre langgezogene Weserinsel zwischen Ebbe und Flut nicht den Bach runter geht: Schon Hartmanns Eltern hatten, seitdem nach der großen Sturmflut von 1962 ihr Vorgänger, der Bauer, sich vom Acker gemacht hatte und sie Inhaber des schönen Grundstücks zwischen Kühen geworden waren, die Ufer mit Schilf, Weiden und Erlen befestigt, und Claus, der 42jährige Sohn zeigt mit einigem Stolz auf den sanften Sandrücken der sich zum Wasser hinunterwölbt. Landgewinnung ist das und zählt nach Zentimetern in Jahren. Besser, als wenn sich die Flut über Nacht ein paar Meter zurückholt, findet Claus Hartmann und kann ein Dokument aus dem Jahr 1977 vorweisen, wo ihm das bestätigt wird: Pappeln zwecks Befestigung, möchten die Anrainer doch bitte in den weißen Ufersand pflanzen, so heißt es hier von der zuständigen Behörde – dem deutschen Wasser- und Schifffahrtsamt. Inzwischen aber wissen sie es besser. Die Pappeln sollen weg, sei vom Schiffahrtsamt befunden worden: Die junge „dynamische“ (sagt Claus Hartmann) Sachbearbeiterin „Frau Köhler“ im Wasser- und Schiffahrtsamt finde die heute nämlich gar nicht mehr so sinnvoll. Die Pappeln, so sei die neueste ökologische Erkenntnis der Weser-Verwalterin, wackeln im Wind und lockern mit ihrem ganzen Rütteln und Schütteln den Sandboden auf. Also weg damit. Hundert Meter von Hartmanns Grundstück entfernt sind die Pappeln schon auf zwanzig Zentimeter runtergeschnitten, da rüttelt und schüttelt jetzt gar nichts mehr. Nun wächst aber vor der Haustür der Hartmanns dummerweise diese Seggenart, so ein Flußgras, erklärt Hartmann, das er selbst mal zwecks Uferbefestigung verpflanzt habe: Da könne die vom Amt nicht einfach mal mit der Planierraupe drüber weg. Denn die Segge stehe auf der roten Liste. Punktum.

So lebt sichs auf Harriersand. Und dabei hat man hier eigentlich viel Verständnis für die Anliegen der dynamischen Frau Köhler. Selbst Fionghal fuchtelt bekräftigend aus ihrem Kinderwagen. „Halt's Maul“, kontert der Papa liebevoll: „Deren Aufgabe ist es nunmal, für die 2.600 Schiffe, die jedes Jahr nach Bremen hoch gehen, den Weg so bequem wie möglich zu machen.“ Hartmann versteht das. Nur einverstanden ist er nicht. Obwohl er eigentlich gar kein Öko ist. Aus der Oldenburger Autonomen-Szene kam er mal. Und findet, auch die Vertiefung der Außenweser hätte eigentlich nicht für einen Anstieg der Weser gesorgt. Stimmt nicht, sagt Martin Rohde vom BUND, man sieht das nur nicht mit bloßem Auge. Was man übrigens auch nicht sieht, sind die Ausgleichsflächen, die hier in Harriersand nach der Außenweservertiefung anno 1977 entstehen sollten: Schilf, Röhricht, Weiden und Erlen. Auf diese Ausgleichsmaßnahmen wartet man auf Harriersand nämlich heute noch.

Ansonsten machen Birgit und Claus Harmann in Zukunft Events. Also nicht Stilleben – die möchten sie von ihrem Strand lieber weg haben, damit das Riedgras darunter besser wächst. Nein, richtig Ereigniskultur, natürlich nicht auf Harriersand. Da treten sich die 40.000 Sommergäste am Wochenende schon genug auf die Füße. Die Hartmanns machen Galionsfiguren. Echte, nicht symbolische. Eine von ihnen steht schon im Vorgarten neben den Sandsäcken-für-alle-Fälle. Eine Nike der Meeresgründe; Kopf und Brust reckt sie weit nach vorn, wie das Galionsfiguren so an sich haben. Noch ist sie ganz roh; am Haken hängt ihr Kopf in einer Schlinge unterm Obstbaum. Doch irgendwann soll ihr Haupt sich aus dem Erker über dem Mannschaftsklo vorn im Bug eines gewaltigen Windjammers erheben. Die Hartmanns verkaufen ihre Galionsfiguren nämlich inzwischen in alle Welt und fahren nicht schlecht damit. Nicht zuletzt, weil die Arbeit des Schnitzwerks inzwischen ganz Birgit Hartmann übernommen hat und Ehemann Claus fürs Management zuständig ist. „Schon in der Oldenburger Autonomenszene habe ich gern die verschiedenen Gruppen an einen Tisch geholt“, sagt der und hat unter dem Haupte ihrer Galionsfiguren ein Power-Team zusammengestellt: Auf der einen Seite die Rahsegler, vor allem aus Osteuropa, und immer auf der Suche danach, die Speisekammer neben der Kombüse für ihre Kadetten etwas aufzufrischen. Auf der andersen Seite die Vegesacker mit ihrer Stadtentwicklungsgesellschaft. Die haben von der Sparkasse bis zu Schiet Nehlsen und Haaven-Höft-Albrecht eine ganze Reihe potenter Sponsoren mitgebracht, die sich gern mal mit einem schicken Dreimaster im Schaufenster schmücken. Oder potente Kunden einmal um die deutsche Bucht schippern. Am Bug aber – unübersehbar – reckt sich stolz eine Galionsfigur aus Harriersand über die Gischt. ritz