Streik nach der Frühstückspause

„Die Versicherungen schwimmen im Geld, während wir in Arbeit ertrinken“: 1200 Hamburg-Mannheimer streiken für mehr Gehalt  ■ Von Kai von Appen

Damit hatte niemand gerechnet: Die Chefs der Versicherungsgesellschaft Hamburg-Mannheimer prophezeiten eine Teilnahme von 200 Mitarbeitern, die Gewerkschaften wären mit 500 Leuten zufrieden gewesen. Statt dessen nahmen gestern 1200 MitarbeiterInnen der Hamburg-Mannheimer an einem Warnstreik in der City Nord teil, um ihrer Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn Nachdruck zu verleihen – und zwar einen Tag vor der vierten Tarifverhandlungsrunde.

Dabei hatten die Gewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) sogar neue Wege beschritten. Anders als in der Vergangenheit wurden die Beschäftigten nicht gleich zu Arbeitsbeginn am Haupteingang abgefangen. HBV und DAG baten diesmal zum Warnstreik nach der Frühstückspause. Pünktlich um zehn Uhr versammelten sich Hunderte von MitarbeiterInnen am Haupteingang des Versicherungsgebäudes und zogen auf den Überseering.

Besonders in Rage bringt die Versicherungsangestellten, daß die Konzernbosse die Tarifrunde an die Steuerreform knüpfen. Da Bonn der Versicherungswirtschaft 20 Milliarden Mark abknöpfen will, so die Argumentation der Konzerne, habe man kein Geld mehr, um ein höheres Angebot vorzulegen als das vorliegende über zwei Prozent mehr Gehalt. „Die Versicherungswirtschaft schwimmt im Geld, während wir in der Arbeit ertrinken“, empörte sich gestern DAG-Sprecher Mark Roarch. In der Tat bringt es die Branche auf Jahreserträge von mehr als einer Billion Mark.

Selbst der Betriebsratsvorsitzende der Hamburg-Mannheimer, Holger Stubbe, zeigte sich über die „Entfesselung“ seiner Belegschaft überrascht. „Wir sind heute mehr als auf einer Betriebsversammlung“, konstatierte er. Anschließend warnte er seine Chefs, sich weiter an der „Erpressung“ und „Geiselhaft“ der Mitarbeiter zu beteiligen, um auf diese Weise doch noch das Bonner Steuerpaket zu kippen und drängte auf einen Abschluß mit einer „Vier vor dem Komma“. Denn: „Beim nächsten Mal ist es kein Warnstreik, sondern ein richtiger Streik.“

Auch für HBV-Chef Ulli Meinecke ist eine neue Ära angebrochen. Endlich, so resümierte er, seien die Zeiten vorbei, in denen „die IG Metall einen Abschluß macht, und der wird einfach übernommen“. Die Beschäftigten der Hamburg-Mannheimer hätten mit ihrem Warnstreik bewiesen, daß sie in der Lage sind, selbst für einen Tarifabschluß zu kämpfen.