Zwei Monate nach dem Tod von 45 Menschen in Racak im Kosovo stellte gestern in Priština ein unabhängiges Expertenteam seinen Autopsiebericht vor. Die Gerichtsmediziner kommen zu dem Schluß, daß es sich bei den Opfern um Zivilisten handelt und von Manipulation seitens der UÇK – wie die serbische Seite behauptete – keine Rede sein kann. Aus Priština Thomas Schmid

Racak – ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Was ist am 16. Januar in Racak wirklich passiert? Wurden 45 kosovo-albanische Zivilisten von serbischen Polizisten regelrecht hingerichtet, wie William Walker, der Chef der OSZE-Mission, nach Sichtung der Leichen behauptete? Oder hat die albanische UÇK-Guerilla ihre Toten in zivile Kleider gesteckt und mit einem geschickten Arrangement die Weltöffentlichkeit irregeführt, wie die serbische Regierung meint? Gestern stellte Helena Ranta, die Leiterin des Expertenteams von der medizinischen Fakultät der Universität Helsinki, in Priština, der Hauptstadt des Kosovo, ihren Bericht vor. Der soll 21 Kilo schwer sein und 3.000 Fotos sowie zehn Stunden Videoaufnahmen umfassen.

Der Bericht bringt keine endgültige Klärung aller Fragen, weist die serbische Darstellung jedoch in wesentlichen Punkten zurück. Die 22 Personen, die aneinandergereiht tot in einem Graben oberhalb der Ortschaft Racak lagen – das Bild ging als Beweis für ein Massaker um die Welt –, „wurden sehr wahrscheinlich dort erschossen, wo sie gefunden wurden“. So steht es in der vierseitigen Zusammenfassung des Berichts, der dem Gericht in Priština, das die Expertise autorisiert hatte, und der medizinischen Fakultät der Universität Priština zugestellt wird. Auch die Regierung der Bundesrepublik, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, wird über die Ergebnisse der Untersuchung umfassend in Kenntnis gesetzt.

Das Bild vom „Massaker“ ging um die Welt

Die serbische Regierung hatte behauptet, es handele sich bei den 22 Toten um Terroristen, die bei Kampfhandlungen erschossen und von der UÇK nachträglich zusammengetragen und in den Graben gelegt worden seien. Die 40 Toten, die das Team untersucht hat, seien alle ungefähr zur selben Zeit gestorben, berichtete Helena Ranta in Priština. Auch eine weitere Behauptung in der serbischen Darstellung weist der Bericht klar zurück. Die uniformierten Leichen, so hatte es aus dem Informations- und aus dem Innenministerium in Belgrad geheißen, seien nachträglich in zivile Kleider gesteckt worden. Die Experten indes kamen nach Untersuchung der Einschußlöcher und des geronnenen Blutes zu dem Schluß, daß „es höchst unwahrscheinlich ist, daß die Kleider ausgewechselt wurden“. An der Zivilkleidung der Toten habe man weder militärische Insignien gefunden noch Anzeichen dafür, daß solche entfernt worden sind.

Allerdings habe man einigen Toten, vermutlich bevor sie in die Moschee des Dörfchens gebracht wurden, die Schuhe ausgezogen. „Es gibt keine Anzeichen dafür“, heißt es in dem Bericht, „daß es sich nicht um unbewaffnete Zivilisten handelte“. Einschränkend wird festgestellt, daß „gerichtsmedizinische Untersuchungen keine abschließende Antwort auf die Frage geben können, ob es dort eine militärische Auseinandersetzung gab oder ob die Opfer unter anderen Umständen starben“.

Was die Behauptung betrifft, die Leichen seien zum Teil nachträglich verstümmelt worden, warnt das finnische Team vor voreiligen Schlüssen von Laien. Die festgestellten Veränderungen seien „höchstwahrscheinlich auf Tiere zurückzuführen, wie zum Beispiel herumstreunende Hunde und andere wilde Tiere, oder es sind Spuren an den Leichen, die durch die hohe Schlagkraft der Projektile entstanden. Für eine Manipulation bzw. Fälschung von Beweisen gibt es keine Hinweise.“

Paraffin-Teste zur Feststellung von Schmauchspuren an den Händen, um zu beweisen, daß es sich bei diesen um bewaffnete Kämpfer handelte, wurden nicht durchgeführt. Bereits 1968 sei auf einem Interpol-Treffen dringend geraten worden, auf solche zu verzichten, weil sie nicht aussagekräftig seien. Hingegen habe man das anerkannte Verfahren mittels „Rasterelektronenmikroskop mit einem energiedispersiven Röntengenstrahlenanalysator“ (SEM-EDX) angewandt – mit negativen Ergebnissen. „Nur mit dieser Methode“, heißt es in dem Bericht, „kann der Metallgehalt ohne Kontaminierung festgestellt werden.“

Wichtige Informationen sind verlorengegangen

Der Bericht basiert ausschließlich auf der Untersuchung von 40 toten Körpern, die im Leichenhaus von Priština lagen. Ermittlungen vor Ort, die vielleicht zu Erkenntnissen über den Transport von Leichen oder den Standort von Todesschützen hätten führen können, nahm das Team finnischer Experten nicht vor. Im Bericht wird zudem kritisch angemerkt, daß das Team erst eine Woche nach dem Geschehen Zugang zu den Leichen hatte. Und da diese in jener Woche nicht unter Verschluß waren, „ist es schwierig, mit absoluter Sicherheit festzustellen, was im Zusammenhang mit den Autopsien (die von jugoslawischen und weißrussischen Experten in dieser Zeit durchgeführt wurden; Anm. der Red) geschehen sein mag oder nicht geschehen sein mag“.

Weiter wird festgestellt, daß der Ort des Geschehens nicht abgesperrt wurde, um Fotos und Filmaufnahmen zu machen. Auch seien die Leichen nicht einzeln in Säcke verpackt und ins Leichenhaus gebracht worden. Deswegen seien wichtige Informationen verlorengegangen. Helena Ranta sprach nicht von einem Massaker. Eine solche Wertung sei Sache der Juristen und nicht der Gerichtsmediziner. Aber sie betonte, daß es sich offensichtlich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. Knut Vollebaek, der OSZE-Chef, forderte aufgrund des Berichts strafrechtliche Untersuchungen. Die Verantwortlichen müßten zur Rechenschaft gezogen werden.