Junger Sack

Wie reif er ist, entscheidet er ganz allein: der juvenile australische Songwriter Ben Lee  ■ Von Christian Buß

Wunderkind wird Ben Lee gern mal genannt, und wie das bei Wunderkindern so ist, nimmt er die Stationen des Lebens im Schnelldurchlauf. Mit 14 spielte der Australier mit seiner Formation Noise Addict Punkpop, ein halbes Jahr nach Gründung eröffneten sie in ihrer Heimatstadt Sydney ein Konzert für Sonic Youth. Heute ist Lee immer noch keine 20, veröffentlicht mit Breath-ing Tornados sein drittes Solo-Album und wird von den Schönen und Kreativen Hollywoods umgarnt.

Neben den üblichen Verdächtigen von Evan Dando bis zu den Beastie Boys macht sich auch die Hollywood-Aktrice Winona Ryder für ihn stark. In einschlägigen Organen des Entertainment-Betriebs reicht sie ihn mit Superlativen weiter: „Er ist ein Prophet!“ Der so Gelobte kann diese Worte gut gebrauchen, denn oft genug gerät er nicht in seiner Rolle als Künstler in die Schlagzeilen. Nebenbei nämlich ist er der Lebensgefährte von Claire Danes, die seit Romeo und Julia als Hollywoods Geheimwaffe um die Gunst der MTV-Audienz gehandelt wird.

Ben Lee, der mit seinen weichen Gesichtszügen tatsächlich keinen Tag älter aussieht als 19, gibt gerne den hartgesottenen Profi. Und die ihm eigene Ironie sorgt dafür, daß er nicht in den Untiefen des En-tertainment-Zirkus verlorengeht. Schon mit 14 machte er sich Fan-Perspektive über den Indie-Rock-Betrieb lustig, auch heute hält er mit Häme gegen Kollegen nicht zurück.

Der kleine Profi ist ein Meister der Inszenierung, der jedes emotionsgeladene Zeichen reflektiert. Dafür nennen ihn einige altklug, andere sehen in ihm einen großen Stilisten. Der größte Clou in dieser Hinsicht ist sein zweites Album. Als er es eingespielt hat, war er in einem Alter, in dem andere eben mal ihre Collegereife bekommen, aber schon im Titel beschwört er die Sehnsucht des Künstlers, etwas Bleibendes zu schaffen: Something To Remember Me By – kaum 17, aber schon Angst vor dem Verlöschen der eigenen Existenz. Auf dem Cover präsentiert sich Lee mit Wandergitarre in einer Pose, die auch schon Dylan gut gestanden hat, und die Kompositionen behandeln Songwriter-Themen wie die Vergänglichkeit des Glücks und seine Haltbarmachung durchs Niederschreiben. Das Werk ist eine sardonische Überhöhung zum Thema Songwriting. Zum Beispiel das Stück „Eight Years Old“: Der Knabe erinnert sich an eine Liebe, die ihn im zarten Alter von acht bewegt hat und an die er jetzt, acht weitere Jahre später, zurückdenkt. Ben Lee ist gut, weil er sich allen Vorstellungen von Reife widersetzt. Wie reif er ist, entscheidet er selbst, und ob er all das, was er auf dem Album besingt, selbst erlebt hat, geht erstmal keinen etwas an. Der Typ ist ein Affront gegen die alten Säcke unter seinen Kollegen, weil er ihnen deren einzig verbleibende Domäne in einem auf Jugendlichkeit ausgerichteten Geschäft streitig macht: das Erinnern.

Oder wie es Produzent Ed Buller gegenüber En-tertainment Weekly ausdrückt: „Er ist 19, geht aber auf die 50 zu.“ Auch Breathing Tornados, das dritte Album, suggeriert enorme Reife: „Du bist erst erwachsen, wenn du bereit bist, zu fallen“ – solche und andere Lebensweisheiten durchziehen ein Werk, das musikalisch kaum poppiger sein könnte. Kunterbunte Samples und funkelnde Melodien mögen den Australier bald in die Hitparaden hieven. Und all denen, die finden, daß Ben Lee für sein juveniles Alter ein bißchen viel zumutet, sei gesagt, daß er beizeiten durchaus zu Übermut neigt. Neulich hat er eine E-mail an den australischen Premierminister gesandt. Darin beschwerte er sich, daß im Fernsehen down under nur noch mit amerikanischem Akzent gesprochen wird. Außerdem forderte er, die Nationalflagge mit einem gigantischen Penis zu verschönern.

mit Veranda Music: Di, 23. März, 21 Uhr, Logo