Ein Generalstreik von oben

Lateinamerikas Wirtschaftskrise bringt Ecuador an den Rand des Kollapses. Banken und Geschäfte habendichtgemacht. Nun soll die Anbindung an den US-Dollar die Rettung bringen    ■ Aus Guayaquil Karin Gabbert

Immer wenn in Ecuador zum Generalstreik aufgerufen wird, läßt Präsident Jamil Mahuad die Aktion ins Leere laufen, indem er einfach dem ganzen Land freigibt. Auch diese Woche, bei dem dritten Generalstreik seit Jamil Mahuads Amtsantritt im vergangenen August, hat er das ganze Land in Urlaub geschickt, um die Proteste von Gewerkschaften und indianischen Organisationen gegen seine Wirtschaftspolitik zu kontern. Der Protest richtet sich gegen die steigenden Preise von Grundnahrungsmitteln, Strom, Wasser und Benzin.

Daß der Streik diesmal noch weniger auffällt als sonst, liegt gerade an der wirtschaftlichen Misere, die die Streikenden so vehement kritisieren. Die zwei größten ecuadorianischen Banken mußten am Montag und Dienstag schließen, um ihrem drohenden Kollaps zuvorzukommen, und das legte das Land effektiver lahm als jeder Streik. Im Hafen vergammeln nun die Exportbananen, die Arbeiter kriegen keinen Lohn, die Geldautomaten sind tot. Aus Angst vor Plünderungen rückten Polizei und Militär aus, um Geschäfte zu bewachen, und seit Dienstag sind alle Läden geschlossen. Der Generalstreikaufruf ab Mittwoch war da eigentlich gar nicht mehr nötig.

Zum wirtschaftlichen Debakel kamen die Nachwehen von El Niño. Im letzten Jahr verwüstete er mit Überschwemmungen, Erdrutschen und Brückeinstürzen ein Drittel des Landes. In den letzten Wochen schien sich die Klimakatastrophe zu wiederholen - „el Niña“ nennt man das. Das hat eine von sinkenden Ölpreisen und der Asienkrise beeinträchtigte Wirtschaftslage weiter ruiniert.

Lehrer, Krankenhauspersonal und Staatsangestellte warten seit Monaten auf ihre Gehälter. Im Guayaquil, der größten Stadt des Landes, werden sogar die mit Straßenarbeiten beauftragten Firmen nicht mehr bezahlt. Aufgerissene Straßen und verlassene Baustellen zeugen von der Krise.

Der Rückzug internationaler Kredite an Ecuador, wie an viele Entwicklungsländer in Folge der Asienkrise, hat die Banken Ecuadors seit Ende 1998 in Schwierigkeiten gebracht. Viele Ecuadorianer haben daher ihr Geld in die USA transferiert. Das Ergebnis: Sechs heimische Banken sind bankrott gegangen. Daß es vor drei Wochen auch Ecuadors größte Bank „Filanbanco“ erwischte, verstärkte die Kapitalflucht weiter, was den Kurs der Landeswährung Sucre abstürzen ließ. Als die Zentralbank letzte Woche bekanntgab, sie werde keine US-Dollars mehr abgeben, um den Sucre zu stützen, stand das Finanzsystem des Landes vor dem Zusammenbruch. Um ihn zu verhindern, machten die Banken jetzt einfach zu.

Bevor die Banken wieder öffnen, muß ein Ausweg aus dieser Situation gefunden sein, weil sonst die Leute ihre gesamten Barguthaben abheben. Vorgestern nun hielt der Präsident seine Rede zum Thema, auf die das ganze Land gewartet hatte. Sein Lösungsversuch: Die Hälfte aller Bankguthaben über einem Wert von 50 Mark werden eingefroren und können erst in einem Jahr abgehoben werden. Ansonsten will Jamil die Mehrwertsteuer von 10 auf 15 Prozent erhöhen und Steuersünder ins Gefängnis stecken; eine internationale Kommission soll die Rentabilität der Banken prüfen und staatliche Betriebe sollen rationalisiert und privatisiert werden.

Das Wichtigste, um die aktuelle Krise zu entschärfen: Es gibt Absprachen mit der Internationalen Entwicklungsbank und der Weltbank über Kredite in Höhe von 530 Millionen Dollar. Zudem verhandelt Ecuador mit dem IWF über einen Vertrag, der dem Land für drei Jahre 430 Millionen Dollar Kredite bringen soll.

Jamils Problem ist aber, daß das Parlament sich weigert, dem Plan zuzustimmen. So versucht es der Präsident mit einer Art Erpressung:Der Benzinpreis wird ab heute drastisch erhöht, und zwar so lange, bis das Parlament die Mehrwertsteuererhöhung billigt. Das Ziel des ganzen Unterfangens ist, das Haushaltsdefizit – derzeit 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – bis zum Sommer auf Null zu bringen, um dann den Sucre an den US-Dollar zu koppeln oder ihn womöglich ganz durch den Dollar zu ersetzen. Das geht nur mit internationaler Zustimmung, und die gibt es nur, wenn das Haushaltsdefizit abgebaut ist.

Die Koppelung Ecuadors an die US-Währung gilt als Königsweg aus der Krise. Auch in Argentinien, Chile und Bolivien habe eine stabile Währung für Wachstum gesorgt, heißt es in allen politischen Lagern. In Brasilien ist zwar genau dieses Modell einer neuen, stabilen, am Dollar orientierten Währung gescheitert. Davon will in Ecuador derzeit freilich niemand etwas wissen.