„Wie im Krieg“

Agitpropvideos der PKK feiern die kurdische Frau als emanzipiert, kämpferisch. Doch die jüngsten Konflikte zeigen: in den politischen Organisationen hat sie nichts zu melden. Vier Kurdinnen aus Berlin über ihr Selbstverständnis, deutsche Medien und die PKK  ■ Von Constanze von Bullion

Sie dürfen auf keinem Foto fehlen. Frauen in bunten Trachten tragen an der Spitze des kurdischen Trauermarsches Kränze durch die Berliner Straßen. Verdammt gut aussehende junge Mädchen stellen sich am Tag der Menschenrechte ins Zentrum der Hauptstadt und erinnern mit selbstgemalten Plakaten an die Folter in der Türkei. Durchtrainierte Kämpferinnen mit langem schwarzen Haar stürmen durch die Propagandafilme, die die PKK aus den Bergen Kurdistans um die Welt schickt. Die kurdische Frau, so will es das Klischee, hält Traditionen wach, ist schön, mutig und ungebrochen. Wieviel sie zu melden hat in der Hierarchie kurdischer Gemeinden oder der PKK, steht auf einem anderen Blatt.

„Wir haben noch nicht erreicht, was wir wollten“, sagt Berivan Zana „seit Jahren versuchen die kurdischen Feministinnen, sich mehr Raum zu verschaffen.“ Nachdenkliche Töne sind das, und eher selten an diesem Abend. Nur spärlich tröpfelt Kritik an den „eigenen Leuten“ durch die Überlegungen der vier Kurdinnen, die sich im Arbeitszimmer von Rojin Baran auf bestickten Kissen niedergelassen haben. Auf dem Boden steht süßes Gebäck neben einem Samowar mit schwarzem Tee, doch so richtig entspannt wirkt hier niemand. Atemlosigkeit, der angestrengte Versuch, sich irgendwie verständlich zu machen, läßt das Gespräch zeitweilig zum Dauerlauf werden.

Mit einer Flut von Vorurteilen sehen sich die vier Frauen konfrontiert, die hier ihre kurdische Identität zu erklären suchen. Wer mit ihnen über Politik und Geschlechterrollen reden will, findet sich in kürzester Zeit in einem Gespräch über die PKK wieder. Wie ein großer Schwamm saugen die Bilder von Krieg und Folter, von zerstörten Dörfern und 35.000 Toten all die Fragen auf, die sich in deutschen Familien sozialisierte Frauen in den letzten Wochen gestellt haben.

Zweifellos ist die Festnahme und Demütigung Abdullah Öcalans ein abstoßendes Schauspiel. Aber symbolisierte der Mann, der da mit zugeklebten Augen vor der türkischen Fahne abgestellt wurde, nicht bis vor kurzem noch das Musterexemplar eines selbstherrlichen Machos? Werden seine jungen PKK-Kämpferinnen in den Bergen nicht schlichtweg verheizt, um nach Kriegsende wieder am Herd zu landen? Warum spielt eigentlich keine Frau eine nennenswerte Rolle in der Kurdischen Arbeiterpartei?

Irgendwie zweitrangig scheinen die vier Kurdinnen solche Überlegungen zu finden. „Abdullah Öcalan wird nicht als Mann verehrt, sondern als Symbol für die wiedergewonnene Würde unseres Volkes. Wir werden Kurdistan auch ohne ihn befreien“, erklärt Rûken Bengin energisch. Die Sozialpädagogin hat in Kurdistan junge Frauen beobachtet, „die zogen in den Kampf und die Familie war stolz darauf“. Viel mehr Rechte hätten die Frauen durch „die Befreiungsbewegung“, auch wenn sie natürlich „weiter um Gleichberechtigung kämpfen“ müßten. Rûken Bengin selbst würde allerdings „nicht in einen Krieg ziehen“. Wie die anderen drei bekennt sie sich nicht offen zur PKK – und distanziert sich auch nicht deutlich von ihr.

Leise Kritik meldet sich lediglich bei Berivan Zana. Die Kurdin, die jahrelang in feministischen Projekten gearbeitet hat, kann wenig mit der männlich besetzten Hierarchie der Kurdischen Arbeiterpartei anfangen. „Ich bin gegen jede Art von Führerkult“, meint sie, „schade, daß es in der PKK keine Quotierung gibt.“ Daß Frauen dennoch eine zentrale Rolle einnehmen in der Propaganda der Öcalan- Partei, geht vor allem auf die gezielte Erniedrigung von Kurdinnen durch das türkische Militär zurück. Weil die Ehre der Sippe sich über die Reinheit der Frauen definiert, werden sie bei Verhören in der Regel von türkischen Militärpolizisten vergewaltigt. Die PKK wiederum macht die mißhandelten Frauen zum Gegenstand ihrer Propaganda. „Wenn sie das bei den Demos immer wieder über Lautsprecher durchsagen, dann habe ich schon ein Problem“, ärgert sich Berivan Zana. „Darüber wünsche ich mehr Diskussion in der kurdischen Presse.“

Helin Zinar, eine Ärztin, ist anderer Meinung. Sie scheint abgeschlossen zu haben mit Kompromissen jeder Art. Immerhin sei die PKK die einzige Guerilla-Organisation im Nahen Osten, in der auch Frauen kämpfen. Es sei „wissenschaftlich erwiesen“, daß die PKK als „legitime Vertreterin des kurdischen Volkes“ gesehen werden müsse und alle Ansprüche „einer Freiheitsbewegung“ erfüllt. Über Politik in ihrer eigenen Biografie sagt die 36jährige lediglich, sie habe keine Lust mehr, in Deutschland zu leben.

Es ist die Darstellung der Kurden in den Medien, von der diese Frauen sich angegriffen fühlen. Auf Bildschirmen und Titelseiten sehe man nichts als unrasierte Männer mit Knüppeln in der Hand, aufgerissene Münder oder das Foto des gefesselten und gedemütigten PKK-Chefs. „Da wird das rassistische Bild vom rückständigen Bergvolk reproduziert, das man von der nationalistischen türkischen Presse übernommen hat“, sagt Berivan Zana. Sie hat ein Jahr als Lehrerin in Kurdistan gearbeitet, bevor sie nach Deutschland kam. Die kurdische Sprache beherrschte schon ihre Mutter kaum, weil sie als Kind in die Westtürkei deportiert wurde.

Berivan Zana kann gar kein Kurdisch mehr. Als „sehr schmerzhaftes Defizit“ empfindet Rûken Bengin diese Sprachlosigkeit. „Ich wäre glücklich, wenn ich in Kurdistan geboren wäre, dann könnte ich wenigstens Kurdisch“, sagt sie, und es klingt fast, als hätte sie lieber Krieg und Terror auf sich genommen, als nicht ganz dazuzugehören. Rûken Bengin wurde in Ankara groß, wo die Eltern sich hüteten, ihre Herkunft zu „outen“. Und noch in Berlin ist das Erkennen anderer Kurden auf der Straße ein oftmals stummes Gesellschaftsspiel. „Man bekommt mit der Zeit so ein Gefühl dafür, wer kurdisch ist“, sagt sie. „Ich spüre das irgendwie, kann es aber nicht an der Physiognomie der Leute festmachen“, bestätigt Berivan Zana, „vielleicht am Dialekt“.

Sprache, Volk, Nation. Es sind ethnische Begriffe, über die sich die Kurdinnen definieren. Definieren müssen, meint Berivan Zana, die manchmal selbst daran verzweifelt, daß sie als bekennende Kurdin ständig auf unerfüllte nationale Ansprüche pochen muß. „Die ganze Welt redet von Globalisierung, überall lösen sich die Grenzen auf, und das finde ich auch gut so. Trotzdem ist es zynisch, daß gerade diejenigen, die ihre nationalen Ziele längst durchgesetzt haben, von uns verlangen, unsere Ansprüche aufzugeben.“

Kurdisches Volk gleich Freiheitskampf gleich PKK, mit dieser Gleichung sucht die Öcalan-Partei ihren politischen Alleinvertretungsanspruch zu manifestieren. Seit die Türkei demokratisch gewählte Kurdenparteien verboten und ihre Wortführer weggesperrt hat, bleiben neben der PKK tatsächlich kaum Organisationen mit nennenswertem Einfluß. Mangels Alternative geraten so immer mehr kritische Kurden auch in Deutschland ins Kielwasser der PKK.

Auch gewaltsame Proteste und Selbstverbrennungen könne sie nachvollziehen, meint Rûken Bengin, „friedliche Aktionen werden sowieso grundsätzlich ignoriert“. Früher habe sie auf Diskussionen an der Universität und intensive Öffentlichkeitsarbeit gesetzt, erzählt Rojin Baran, die für Flüchtlinge dolmetscht. „Aber inzwischen habe ich das Gefühl, wenn man nicht auf die Straße geht und schreit, passiert gar nichts.“

Daß jede Menge Chauvinismus in den Parolen der PKK mitschwingt, übersieht Rojin Baran geflissentlich. „Das ist eher Patriotismus“, beruhigt sie, „mit dem Nationalismus der Deutschen kann man das nicht vergleichen.“ Immer mal wieder spricht die 26jährige von „der Heimat“, die sie mit acht Jahren verlassen hat. Da wandert der Blick unwillkürlich zu den Fotos an der Wand, wo Rojin Baran in Folkloretracht zu sehen ist, wo kurdische Großfamilien vor der Kamera posieren und alte Männer über steinige Gebirgsrücken reiten. Heimat? Wie eine seltsam unwirkliche Idylle wirken solche Bilder auf Außenstehende. Fast als sehnte sich hier eine Großstädterin nach einer ländlichen, übersichtlicheren Welt. Vier selbstbewußte Frauen sitzen in Rojin Barans Zimmer zusammen, alle haben einen deutschen Paß, jede hat studiert und sich in Deutschland für soziale Projekte engagiert. Ihr Spagat zwischen der emanzipierten Lebenswelt der Berliner Subkultur und den Verpflichtungen der kurdischen Gemeinschaft hat ihnen ein widersprüchliches, nicht leicht vermittelbares Selbstverständnis beschert. Im einen Moment vergleichen sie sich mit den verfolgten Juden, im nächsten schon wieder mit den Palästinensern, die sich gegen die israelische Übermacht behaupten.

Naja, meint Berivan Zana, es habe sie schon gestört, welche Parolen nach den Schüssen vor der israelischen Botschaft bei den kurdischen Demos gerufen wurden. „Es ist nicht zu verleugnen, daß es auch eine antisemitische Stimmung gibt“, erzählt sie und zieht zum Beweis einen Packen kurdischer Flugblätter aus der Tasche. „Wir sind gegen die israelische Regierung“, korrigiert sie Rûken Bengin, „nicht gegen das jüdische Volk.“

In Anbetracht der bevorstehenden militärischen Niederlage der PKK und unter dem gewaltigen Druck deutscher Medien ist es nicht einfach, eine kritische Haltung gegenüber der eigenen Minderheit zu bewahren, ohne sich dabei zu verleugnen. Wer sich von seiner Umgebung gänzlich mißverstanden fühlt, zieht sich nicht selten auf das sichere Terrain der eigenen Volksgruppe zurück. Türken in ihrem Freundeskreis, bestätigen die Kurdinnen, seien zuletzt ohnehin immer seltener geworden. Auch im Arbeitsleben nehmen die Spannungen zu. So wollten kurdische Sozialarbeiter nicht dulden, daß ein türkischer Elternverein nicht ausdrücklich auch kurdische Schüler betreute. Die Gruppe spaltete sich, sie gründeten einen „Verein der Eltern aus Kurdistan“.

Meist jedoch wird der Konflikt gar nicht erst angesprochen. „Wir sind alle Religionsbrüder“, „wir leben alle unter einer Fahne“ oder „macht ja nichts“ erwidern Türken den Kurdinnen gönnerhaft, wenn die sich als solche zu erkennen geben. Stillschweigende Distanzierung hat Rojin Baran bei ihrer türkischen WG-Genossin registriert. Als die Bilder des verhafteten Abdullah Öcalans um die Welt gingen, diskutierten eine tamilische und eine spanische Mitbewohnerin aufgeregt mit ihr. Ein italienischer Freund rief an und erkundigte sich, ob ihr bei der Demo etwas passiert sei. Die Türkin hingegen, mit der sie die Küche teilt, verlor kein einziges Wort über das Thema. „Ich habe irgendeine Art von Nähe vermißt und dachte, da muß jetzt eigentlich was von ihr kommen“, erzählt Rojin. Sie selbst konnte offenbar auch nicht über ihren Schatten springen.

Berivan Zana nennt das „schleichende Entsolidarisierung zwischen den Minderheiten“. Doch es bleibt nicht dabei, daß Kurden und Türken sich gegeneinander abschotten. Auch von den deutschen Nachbarn ziehen viele Kurden sich inzwischen zurück.

Rojin Baran ist bitter enttäuscht von der rot-grünen Regierung, die sie gewählt hat, und die jetzt ganz wie die alte Panzer an die türkische Regierung verkauft. Wenn sie als Dolmetscherin für kurdische Flüchtlinge arbeitet, trifft sie immer wieder auf traumatisierte Familien, die sich in Deutschland nicht zurechtfinden. Zu dem verwirrenden Asylprozedere käme auch das Mißtrauen der Deutschen, die zwischen Kurde und PKK nur selten unterscheiden. Manche hätten Angst, daß sie selbst nach einer friedlichen Demonstration ausgewiesen würden.

Verunsichert hat auch Rûken Bengin reagiert, als sie neulich aus dem Kino kam. Dreimal hatte man an diesem Tag schon ihre Tasche durchsucht, gezielt hatten Polizeibeamte sich in der U-Bahn dunkelhaarige Fahrgäste zur Kontrolle herausgegriffen. Als sie am späten Abend dann aus dem türkisch-kurdischen Wettbewerbsbeitrag der Filmfestspiele kam, stand draußen alles voll mit schweren Räumfahrzeugen der Polizei – und plötzlich vermischte sich alles. „Kurden-Krieg“ titelte die Bildzeitung. „Wie im Krieg“, dachte Rûken Bengin. Als hätte sie ihn selbst erlebt.

Constanze von Bullion, 34, arbeitet seit 1997 als Reporterin für die taz. Das Gespräch moderierte taz.mag-Redakteurin Silke Mertins.

Die Namen der Frauen wurden geändert. Sie hatten sich kurz vor Redaktionsschluß von ihren Aussagen wieder distanziert