Konsens? Nonsens!

■ Vertagt. Nicht auf den St. Nimmerleinstag, sondern bis nach Ostern. Bei den Gesprächen über den Atomausstieg ging es gestern nur um die Steuerbelastungen der Konzerne.

Bei den Elefantentreffen zum Atomausstieg ist eine Einigung zwar noch in weiter Ferne, aber es haben sich gewisse Rituale eingeschliffen. Während sich im Kanzleramt die Strombosse mit Gerhard Schröder, Wirtschaftsminister Müller und Jürgen Trittin trafen, wird außerhalb der Bannmeile demonstriert – gestern waren es vor allem rund 35.000 Gewerkschafter, die um ihre Atomarbeitsplätze fürchten. Und von den Bonner Dächern hängen Aktivisten von Robin Wood & Co. Die Umweltschützer hatten gestern allerdings das gemeinsame Motto von Regierung, Energieversorgern und Umweltschützern am besten getroffen: „Konsens bleibt Nonsens“ stand auf dem Transparent, das sie auf der alten SPD-Parteizentrale, dem Erich-Ollenhauer- Haus, plazierten.

Der Fortgang der Gespräche zum Atomausstieg ist nach dem gestrigen Treffen nicht gerade klarer. Aus Regierungskreisen hieß es, Einigung sei keine erzielt worden. Dabei ging es wieder einmal gar nicht um die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke, sondern diesmal um Steuerfragen. Die Stromkonzerne – gestern von Deutschlands Größten, RWE, Energie Baden- Württemberg (EnbW), PreußenElektra und Viag, vertreten – klagen, daß sie das Steuerentlastungsgesetz über die nächsten Jahre etwa 25 Milliarden Mark kosten würde. Die Regierung errechnet nur knapp zehn Milliarden.

Hier soll nun zunächst einmal eine Expertenkommission aus Mitgliedern beider Seiten tätig werden. Erst wenn die sich in „steuerfachlichen Abstimmungsgesprächen“ auf eine Zahl geeinigt hat, wird das Atomthema wieder auf der Tagesordnung stehen, heißt es. Die Stromkonzerne hatten schon im Vorfeld der heutigen Runde gedroht, sie würden die Konsensgespräche platzen lassen, wenn die Steuerlast nicht dramatisch verringert wird.

Die Rückstellungen wurden von früheren Regierungen für den Abriß der AKWs und für die Endlagerkosten all des Atommülls gewährt. Der Clou für die Konzerne bisher: Sie durften über Jahrzehnte die geschätzten Gesamtkosten in voller Höhe von der Steuer absetzen. Dabei wurden die Endlagerkosten um ein Mehrfaches höher geschätzt als beispielsweise in Frankreich oder Skandinavien. Und es wurde nicht berücksichtigt, daß die Milliarden-Rückstellungen Jahr für Jahr Zinseinnahmen bringen. Die Bundesregierung hat nun mit dem neuen Steuergesetz wenigstens eine Verzinsung dieser Rückstellungen eingeführt. Dagegen richtet sich die Opposition der AKW-Betreiber.

Eine Einigung über die wahre oder auch nur eventuelle Höhe der Zinsen wird den Experten aber nicht leicht fallen. Schließlich werden die genauen Zahlen geheimgehalten. Der neue Koordinator der Kraftwerksbranche, Heinz Klinger, nennt eine Summe von „nahezu 60 Milliarden Mark“, wovon mit dem neuen Steuergesetz nur noch 15 Milliarden übrigbleiben würden. Klinger ist Vorstandschef der Isar-Amperwerke, welche über das Bayernwerk zum Münchner Großkonzern Viag gehören. Andere Konzernchefs sprechen von 50 Milliarden Rückstellungen, frühere Schätzungen gingen noch weit höher.

Die Regierung wollte gestern nach dem zweistündigen Treffen deutlich machen, daß den Vorstandschefs keinerlei Zusagen über ein Entgegenkommen gemacht wurden. Bundeskanzler Schröder habe ausgeschlossen, daß an dem Steuergesetz noch etwas verändert würde. Das stünde auch nicht in seiner Macht. Sein Wirtschaftsminister Werner Müller hatte jedoch schon vorher eine Begrenzung angeboten: Wenn die AKW-Betreiber über die Jahre mehr als zehn Milliarden Mark Steuern nachzahlen müßten, dann würde die Bundesregierung den Rest erstatten. Auch Finanzminister Lafontaine sprach für diesen Fall von einer Modifizierung der Steuerbeschlüsse.

Gerhard Schröder sagte gestern zu den Konzernchefs, man könne darüber reden, die Steuer-Nachzahlungen umzuleiten: in die Förderung alternativer Energien und Investitionen in Kraft-Wärme- Kopplung. Die Konzerne haben das nicht zurückgewiesen, reagierten aber skeptisch. Dies könne man als Abkaufen des Ausstiegs interpretieren, so ihre Sorge.

Nach Ostern soll es weitergehen. Die Industrie wird wiederkommen. Dann könnte sogar ein Gesamtpaket aus Restlaufzeiten der AKWs und Entsorgung des Atommülls geschnürt werden, hieß es hoffnungsvoll in Regierungskreisen.

Am Donnerstag dieser Woche treffen Schröder und die Minister mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften, am Freitag mit Umweltverbänden zusammen. Ob überhaupt und wieviel diese Gruppen mitreden dürfen, ist völlig unklar. Reiner Metzger, Jürgen Voges