Schwarz auf weiß einfädeln

Das Zeichenpapier ist ein Ort, an dem der Geistesblitz zuerst einschlägt: Die Akademie der Künste zeigt Zeichnungen aus der Sammlung Wynn Kramarsky  ■ Von Henrike Thomsen

An ihren Außenseitern werden die Gesetzmäßigkeiten einer Gemeinschaft oft am besten sichtbar. In der Ausstellung neuerer amerikanischer Zeichnungen in der Akademie der Künste übernehmen die Ölkreidearbeiten von Richard Serra diese Rolle. Mit ihrem tief gesättigten Schwarz, ihrem wollig pastosen Pigmentteppich und ihren Ausmaßen (bis zu 1,8 * 3,6m) sprengen sie weithin sichtbar das Ensemble der rund hundert Grafiken aus der Sammlung des New Yorker Mäzens Wynn Kramarsky. Gleichzeitig beschreiben sie mit ihrer eigentümlichen Position irgendwo zwischen Bildrelief, rhythmischer Etüde und ausgespachtelter Hirnmasse genau das, was das Genre sonst in dezenter Introvertiertheit ausmacht.

Im ersten Raum der Akademie findet sich eine Reihe theoretischer Definitonsversuche. „Zeichnen kann ein Weg sein, eine Idee zu etablieren“, so Jasper Johns, bei dem der Sammler neben Ellsworth Kelly und Sol LeWitt seinen frühen Schwerpunkt setzt. „Es gibt weniger zwischen der Hand und dem Bild als in irgendeinem anderen Medium“, so Brice Marden stellvertretend für die Generation um Eva Hesse, Lawrence Weiner und Robert Smithson. Von „geistiger Stickerei“ spricht schließlich die in den fünfziger Jahren geborene Elena del Rivero, die mit Serge Spitzer und Carol Seborowski zur jüngsten Riege gehört.

Solche Aussagen erinnern an das Konzept des barocken Disegno, das der Idee den Vorrang vor jeder handwerklichen Umsetzung gab. Das Zeichenpapier war das erste Reservoir, das den künstlerischen Entwurf auffing – es war der Ort, wo der Geistesblitz sozusagen direkt einschlug und dem Medium einen poetischen Sonderstatus verschaffte.

Erst die Fotografie konnte dieses Kunstverständnis herausfordern, indem sie es ermöglichte, das Fotopapier mit einem, so Walter Benjamin, konkreten historischen Moment zu durchsengen. Die bildenden Künstler reagierten darauf mit Assemblagetechniken, durch die ein Stück vorgefundene Wirklichkeit mit dem sozialen Raum verwoben wird. Dies ist der Ansatz etwa bei del Rivero, die ihre „Briefe an die Mutter“ (1995) tatsächlich mit Nadel und Faden aufzeichnet. Kramarsky, dessen aus Deutschland emigrierte Bankiersfamilie Werke des Barock und der klassischen Moderne gesammelt hatte, siedelt seine zeitgenössische Perspektive zwischen dem Formwillen des Geistes und dem des Materials an. Dies gilt zumindest für die Stücke, die der Mitbegründer des New Yorker Drawing Centers unter seinen riesigen Beständen auswählte, um sie im Harvard University Art Museum und auf Europa-Tournee zu zeigen. Zwei Blätter von Johns formulieren das Spannungsfeld am Anfang des Rundgangs.

Eine Tuschzeichnung von 1991 wirkt wie ein großformatiges Negativ, in dem verschattete Formen und Holzmaserungen à la Max Ernst eine spiegelverkehrte Innenwelt andeuten. Nebenan öffnet sich der weiße Grund von „WildernessI“ (1963–70) fragmentarisch zum Betrachter: Ein Holzlineal ist direkt auf die Leinwand geklebt, und aus der rechten oberen Ecke ragt eine Hand, an die ein Pinsel gebunden ist. Anfang der 90er schmolz Serra schwarze Ölkreidestifte zu brikettartigen Blöcken ein. Hätte er sie auf Leinwand aufgezogen, man sähe sie als Gemälde an.

Die Blätter verstehen sich andererseits als seismographisches Echo seiner Bildhauerarbeiten. In Ausmaß und Schwere geben sie die Monumentalität von Serras Basalt- und Stahlprojekten wieder. In der Oberfläche sind sie jedoch so fein gearbeitet wie die benachbarten Zeichnungen von Hesse und Marden. Nicht umsonst ehrt die Ausstellung das augenscheinliche schwarze Schaf, indem sie seine Arbeiten zentral präsentiert und sich von ihm das Titelzitat borgt: „Zeichnung ist eine andere Art von Sprache.“ Die Hängung bringt im übrigen einen fruchtbaren Dialog zwischen den Arbeiten zustande, dem man wie Klopfzeichen aus einer anderen Welt lauscht. Lawrence Weiners „Zeitraster“ etwa notiert 1966 mit dem Symbol „m“ (für Masse) eine Partitur zur Rhythmisierung des Raums. In der Serie „Serpent Mounds Ohio“ die nach Luftfotos von der indianischen Kultstätte angefertigt wurde, setzt er dieses Interesse 20 Jahre später fort. Hier sind es die stofflichen Veränderungen an der Erdoberfläche, die es in fortschreitenden Perspektiven zu entschlüsseln gilt.

William Anastasi betreibt in seinen „Subway Drawings“, die 1993 durch die Erschütterungen des fahrenden Bahnwaggons entstanden, die gleiche Entsystematisierung der Kunst wie John Cage, der nach dem Zufallsprinzip des chinesischen IGing arbeitet. Die Subway Drawings sind allerdings eher den linearen Grafiken verwandt, die von den Meßgeräten in den Räumen der Akademie erstellt werden. Wie auf dem Millimeterpapier vermerkt ist, protokollieren sie die „Luftfeuchtigkeit für amerikanische Zeichnungen“.

„Zeichnen ist eine andere Art von Sprache – Neuere amerikanische Zeichnungen“. Bis zum 25.4. in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten, Katalog: 48DM. Im Begleitprogramm gibt es u.a. einen Vortrag von Boris Groys, am 8. April, 19 Uhr im Clubraum