„Heide, das hast du fein gemacht“

■ Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) über die Probleme ihrer Partei mit Frauen, den schwierigen Bonner Start von Rot-Grün nach sechzehn Kohl-Jahren, über die Psyche der Grünen und das Durchhaltevermögen des Kanzlers

taz: Frau Simonis, mit Schröder, Scharping und Lafontaine sitzen in Bonn drei frühere Ministerpräsidenten am Kabinettstisch. Wären Sie auch gern dabei?

Heide Simonis: (lacht) Nein, nicht im Moment.

1995 gehörten Sie zum Kreis der Hoffnungsträger der SPD...

...da zähle ich mich heute noch dazu...

...seitdem hat Lafontaine den Parteivorsitz erobert, und Schröder ist Kanzler geworden. Nur Sie sind geblieben, was Sie damals schon waren. Warum eigentlich?

Ich finde das gar nicht so schlecht, Ministerpräsidentin zu sein. So rasend viele haben wir davon ja nicht. Da muß ich eigentlich sagen: Heide, das hast du fein gemacht.

Sie sind in Kiel geblieben, Renate Schmidt in München. Und jetzt wird auch noch Johannes Rau Bundespräsident. Hat die SPD Probleme mit ihren Frauen?

Alle Parteien haben Probleme mit Frauen. Die Grünen ja auch. Deren Proporzsystem Männlein- Weiblein hört sofort auf, wenn zwei Männlein was werden wollen. Es gibt auch bei der SPD keine gerade Linie, die von der Ministerin zur Ministerpräsidentin zur Bundeskanzlerin führt. Aber viel wichtiger als die Frage, ob eine Spitzenfrau noch ein Stückchen weiterkommt, ist die Breite. Wir haben noch nicht genug Bürgermeisterinnen in den großen Städten, es gibt Kongresse, da sitzen auf dem Podium nur Männer. Das ist trostlos.

Bei der Nominierung für das Bundespräsidentenamt hätte die SPD die Chance gehabt, ein Signal zu setzen.

Das ist jetzt entschieden. Die Partei hat sich auf Johannes Rau festgelegt. Es hätte im übrigen auch nicht gereicht, eine Frau als Gegenkandidatin hinzustellen. Daran müssen die Frauen systematisch arbeiten. Sie dürfen nicht nur mit einer Kandidatin nach vorne ziehen, sondern müssen über längere Zeit hinweg Frauen mit unterschiedlichen Stärken aufbauen.

Wie man es nicht machen sollte, kann man bei der FDP sehen. Die hat bei der letzten Bundespräsidentenwahl Frau Hamm-Brücher in ein aussichtsloses Rennen geschickt und sich danach nicht mehr besonders um sie gekümmert – trotz ihrer herausragenden Lebensleistung.

Sind Frauen nur als Zählkandidatinnen gefragt?

Wenn es einem mit Kandidatinnen ernst ist, sollten sie später wenigstens eine angemessene Position in der Politik bekommen. Aber damit ist es vorbei, sobald das Spiel gelaufen ist.

Mit anderen Worten, Sie fordern die CDU auf, nach der Bundespräsidentenwahl Frau Schipanski einen Job zu geben...

...dann könnte ich die Absicht wenigstens ernst nehmen.

Frau Simonis, helfen Sie uns doch mal, den Kanzler zu verstehen. Einst war da der Machtmensch und Currywurst-Macho, jetzt vergeht kaum ein Interview, in dem er sich nicht für Fehler der Regierung entschuldigt. Ist Gerhard Schröder doch ein Softie?

So persönlich kenne ich ihn nicht, um das beurteilen zu können. Richtig ist, daß man sich für Fehler entschuldigen sollte. Das ist immer noch besser, als sie als gloriose Action darzustellen. Was die Currywurst angeht: Die kann sowohl einem Machtmensch wie einem Softie schmecken.

Sie halten sich mit Entschuldigungen für Ihre Regierung in Kiel eher zurück. Machen Sie bessere Arbeit als Rot-Grün in Bonn, oder sind Sie weniger selbstkritisch?

Wenn wir dicke Fehler machen, geben auch wir das zu. Es hat ja keinen Sinn, das schönzureden. Ich glaube aber, daß der Start in Bonn nach 16 Jahren bestimmt nicht einfach war.

Atomausstieg und Doppelpaß – Schröder sagt, grüne Themen standen zu sehr im Vordergrund.

Das sind ja beides auch Stammthemen der SPD. Aber es ist uns nicht gelungen, den Eindruck zu vermeiden, da werden zwei Minderheiten-Lieblingsthemen nach vorne gestellt, und alles andere kippt nach hinten rüber. Das ist eine Frage von Koordination.

Kanzleramtsminister Hombach war immerhin Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen. Warum tut er sich als Koordinator so schwer?

Weiß ich nicht. Er kommt ja eigentlich aus der freien Wirtschaft. In Nordrhein-Westfalen war er nur drei Monate Minister. Das könnte unter Umständen nicht ganz ausreichen, um zu wissen, wo eine Verwaltung anders tickt als ein Privatunternehmen.

Offenbar funktioniert ja nicht einmal der Informationsfluß von Bonn in die Länder...

...er könnte manchmal besser sein...

Ihre Sozialministerin Moser hat letzte Woche über das Bündnis für Arbeit geklagt, die Länder wüßten gern Bescheid, was dort eigentlich verhandelt wird.

Ich finde den Satz des Münchner SPD-Oberbürgermeisters Ude sehr gut, der gesagt hat: „Wir stehen gern hinter der Bundesregierung, wenn wir denn wissen, wo sie steht.“ Ich denke, das Interesse der Bonner wird sich – vielleicht nach der Hessenwahl schneller, als es manchem lieb ist, wieder den Ländern zuwenden – wenn nämlich im Bundesrat Mehrheiten gebraucht werden.

Das Bündnis für Arbeit wirkt noch reichlich handgestrickt...

Nach 16 Jahren Stillstand haben wir jetzt ganz viel nachzuholen. Es hat mich nicht überrascht, daß es manchen im Bündnis schwerfällt, aufeinander zuzugehen, nachdem man sich so lange hinter Maginotlinien verschanzt hat. Da hat der Kanzler Durchhaltevermögen gezeigt und die Teilnehmer trotz Sticheleien hier und dort am Tisch gehalten.

Beim Zickzack um das 630-Mark-Gesetz ist nichts von dem herausgekommen, was angestrebt war: die Flucht aus der Sozialversicherung zu stoppen.

Wir waren auf Zick, wenn die in Bonn auf Zack waren – und umgekehrt. Da wäre ich dankbar gewesen, es wäre ein bißchen später und dann als geschlossenes Konzept vorgetragen worden.

Schröder haut kräftig auf die Grünen ein. Bringt es die Koalition weiter, wenn der Kanzler keine Gelegenheit ausläßt, den kleinen Partner zu demütigen?

Nein, jedenfalls nicht auf Dauer. Der Koalitionspartner muß ja überleben. Ich weiß aus SPD-Präsidiumssitzungen, daß Schröder dort darum wirbt, den Grünen die Möglichkeit zu lassen, ihre Politik darzustellen. Schließlich hat die Hessenwahl gezeigt, daß wir in der SPD nicht davon ausgehen können dazuzugewinnen, was die Grünen an Stimmen verlieren. Was die verlieren, ist einfach weg.

Also mehr Streicheleinheiten für die Grünen?

Sie machen es einem manchmal schwer. Die schleswig-holsteinischen Grünen gehen gerade ihrem Lieblingsspiel nach: Wäre es nicht schön, wenn wir wieder in der Opposition wären?

Wäre die FDP die bequemere Alternative?

Koalitionspartner sind nie bequem. Der einzige Vorteil, den ich zur Zeit an der FDP entdecken kann: Sie sind noch nie von dem Wunsch geplagt worden, in der Opposition zu sein. Da kann man bei den Grünen leider nicht sicher sein.

Meinen Sie die Grünen in Kiel?

Auch Kerstin Müller in Bonn. Es ist völlig in Ordnung, wenn die Grünen sagen, „Jetzt reicht's!“ Wehren dürfen sie sich ja. Aber warum müssen sie immer gleich mit Liebesentzug drohen?

Liegt das an der Psyche der Partei?

Wahrscheinlich. Wir von der SPD kommen aus Großorganisationen, wir denken und rechnen auch in diesen Kategorien. Weil die Grünen aus Bürgerinitiativen entstanden sind, können sie, ohne mit der Wimper zu zucken, zwei vollkommen entgegengesetzte Positionen vertreten. Beispiel Windenergie. Sie haben bei uns Bürgerinitiativen, die sind dafür, und solche, die sind erbittert dagegen. Die Grünen sind dann für beides.

Sind die Grünen festgefahren?

Wir haben ja in allen Parteien das Problem, daß da eine nachwachsende Generation kommt, die uns grottenschlecht und grottenalt findet. Wir träumen noch von unseren Grabenkämpfen vor Brokdorf, und die gucken uns an und fragen: War das in diesem Jahrhundert oder dem letzten?

Wie sehen Sie nach der Hessenwahl die Chancen der Grünen, im nächsten Jahr wieder in den Kieler Landtag zu kommen?

Wenn sie aufhören mit dem Unfug, den manche bei uns jetzt machen, dann sind die Chancen gut. Im Moment sagen aber Teile der Grünen in Schleswig-Holstein: Wir sind eine miserable Partei, haben einen schlechten Spitzenkandidaten und machen eine grauenhafte Politik. Damit locken sie natürlich keinen Wähler hinterm Ofen vor.

Im Wahlkampf in Schleswig- Holstein tritt Volker Rühe gegen Sie an. Er gilt als der stärkste Mann der CDU. Wo sind seine Schwächen?

Er hat diese Ausstrahlung, hart zu sein, stark, über Leute hinwegzugehen. Seine Durchsetzungsfähigkeit kann auch sein Handicap sein, weil die Schleswig-Holsteiner das Gefühl haben könnten, daß er sich mehr für seine Karriere als für ihre Probleme interessiert.

Haben Sie Angst vor Volker Rühe?

Ich habe nie vor Wahlkämpfen Angst, das nützt ja nichts. Die Wähler machen ohnehin, was sie wollen. Interview: Michael Rediske und Patrik Schwarz