Vorsicht an der Bahnsteigkante!

Die PDS freut sich klammheimlich über Oskar Lafontaines Annäherungskurs. Der SPD-Chef selbst hat Mühe, eine parteiinterne Debatte darüber zu verhindern  ■ Von Jens König und Markus Franz

Berlin/Bonn (taz) – Lothar Bisky konnte seine Freude über die Bemerkungen von SPD-Chef Oskar Lafontaine und Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner kaum verbergen. „Die Aufhebung der Dresdner Erklärung irritiert uns genausowenig wie deren Verabschiedung“, versuchte der PDS- Chef Gelassenheit zu demonstrieren. Aber es gelang ihm nicht so richtig.

Die Forderung Lafontaines und Schreiners, zur PDS ein neues Verhältnis zu entwickeln, kommt der PDS-Spitze gerade recht. Schon seit einigen Wochen hatten Bisky und Gysi davon gesprochen, daß die Partei auf Bundesebene im Jahre 2002 koalitionsfähig sein müsse. Und jetzt sieht es so aus, als sei auch den Sozialdemokraten aus machtstrategischen Gründen diese Frage nicht ganz egal. Das Tabu scheint durchbrochen. Mal ganz davon abgesehen, daß die PDS gerade nicht über das reden muß, was ihr am meisten zu schaffen macht: ihre eigenen Probleme.

Bisky sprach gestern denn auch von einem richtigen Schritt „in Richtung Anerkennung der Realitäten“. Das Debakel der SPD bei der Hessenwahl habe gezeigt, daß es in Bonn eine stabile Mehrheit diesseits der Union ohne die PDS nicht gebe. Gleichzeitig gibt sich der PDS-Chef keinen Illusionen hin. Die SPD wolle mit ihrem Annäherungskurs das Ergebnis der Hessenwahl kompensieren, erklärte er. Den Sozialdemokraten seien nach Hessen die Koalitionsoptionen CDU und FDP entfallen. Die PDS dagegen sei als Option nicht mehr abweisbar.

Beim neuen Annäherungskurs des SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine müssen nach den Worten Biskys allerdings Taten zählen. Die Dresdner SPD-Erklärung von 1994 gegen eine Zusammenarbeit mit der PDS, die jetzt aufgegeben werden solle, sei für das Tolerierungsmodell in Sachsen-Anhalt und für die rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern bereits belanglos gewesen. Andererseits entstehe nach Erklärungen der SPD in Berlin und in Brandenburg der Eindruck, daß die Äußerungen Lafontaines und von SPD- Generalsekretär Ottmar Schreiner selbst belanglos seien. „Ohne inhaltliche Bewegungen ist die Sache sowieso nichts wert“, so Bisky.

Auch PDS-Fraktionschef Gregor Gysi hält eine weitere Annäherung zwischen beiden Parteien für möglich. Eine Kooperation mit der PDS, die auch innerhalb der PDS umstritten sei, werde es aber nicht um jeden Preis geben, erklärte Gysi gegenüber der taz. Die PDS stehe für mehr soziale Gerechtigkeit. „Wenn die SPD lieber einen neoliberalen Kurs fahren will, dann soll sie es tun. Aber ohne uns“, so Gysi. Eine kleine Warnung aus den Reihen der PDS gab es auch. Die Berliner Landeschefin Petra Pau bemerkte, in der Partei solle keiner denken, „nun wäre die Arbeit getan“.

SPD-Parteichef Oskar Lafontaine ist die ganze PDS-Debatte offenbar leid. Auf einer Pressekonferenz in Bonn flüchtete er sich in Ironie. Die Äußerungen zur PDS seien ja eine „wirklich ungeheuerliche Mitteilung“ gewesen, die jeden „redlichen Staatsbürger vom Stuhle hauen“ mußte, weil sie „ja wirklich so was Neues“ gewesen seien, bemerkte Lafontaine. Für uns, fuhr er fort, „kam das so überraschend, es hat uns so erschlagen, daß wir keine Zeit hatten, darauf mit einer Presseerklärung zu reagieren“. Die Versuche, so Lafontaine ernsthaft weiter, die Diskussion über das Zusammenwirken von SPD und PDS zu schüren, „kommen immer aus denselben Quellen, es sind immer dieselben Medien“. Dieses Thema werde „ausgelutscht“, wenn es kein anderes, wichtigeres gebe. Das „ständige Aufwärmen dieser Brühe“ führe aber nicht weiter.

Lafontaine versuchte, die Unstimmigkeit innerhalb der SPD über den Umgang mit der PDS zu überspielen. Die Parteiführung habe schon vor längerer Zeit ohne Gegenstimmen entschieden, daß die Landesverbände selbständig entscheiden sollten, ob sie mit der PDS zusammenarbeiten oder nicht. „Wir geben keine Ratschläge oder Empfehlungen“. Im übrigen sei die Dramatik aus dem Thema raus. Auf die Frage eines Journalisten, ob es nicht sinnvoll sei, wenn die SPD die Dresdner Erklärung auf einem Parteitag durch eine neue verbindliche Anweisung zum Umgang mit der PDS ersetze, entgegnete Lafontaine allerdings: „Ich gebe Ihnen recht“.

Einer, der das nicht so locker sieht, wie Lafontaine, ist der Bonner SPD-Fraktionschef Peter Struck. Er wandte sich scharf gegen eine parteiinterne Debatte über die Zusammenarbeit mit der PDS. Er stellte klar, daß es auf Bundesebene keine Zusammenarbeit mit der PDS geben werde. Anders sei es in den Ländern, wo die SPD-Verbände jeweils für sich entscheiden müßten.

Die schärfsten Worte fand gestern Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Sie griff die PDS frontal an. Man könne „nur feststellen, daß ein paar PDSler leider durchgeknallt sind“, sagte Simonis der taz. „Deshalb muß man sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante!“ Namentlich nannte sie Michael Benjamin, der die Kommunistische Plattform im PDS-Vorstand vertritt. „Persönlich glaube ich, daß die PDS Schwierigkeiten hat, sich als demokratische Partei darzustellen, wenn es ihr nicht gelingt, einige Störenfriede rauszuwerfen.“

Angesichts eines Stimmenanteils von 25 Prozent in Ostdeutschland könne die PDS allerdings nicht einfach als Minderheit abgetan werden. Das SPD-Präsidium habe schon vor längerem beschlossen, daß jede Parteigliederung für sich alleine über Partner für eine Zusammenarbeit entscheide. Lafontaine habe diesen Beschluß lediglich öffentlich wiederholt, erinnerte Simonis. „Die Aufregung ist doch Quatsch.“ Ohnehin komme eine Zusammenarbeit nur im Osten in Frage. „Ich mische mich nicht ein in das, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert. Allerdings möchte ich auch nicht vorgeschrieben bekommen, mit irgendwelchen verrückten PDS-Leuten zusammengemischt zu werden.“