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: Die Rache als Gerechtigkeit?

Seit vergangenem Mittwoch steht die Todeszelle Nummer 45 des Eyman Prisons in Arizona leer. Karl, der jüngere der Brüder LaGrand wurde kurz vor vier Uhr morgens doch hingerichtet. Morgen wird auch die Zelle 46, wo jetzt der 37jährige Walter auf seine letzte Stunde wartet, frei.

17 Jahre nach ihrem Verbrechen und 15 Jahre nach dem Todesurteil wurden die Todeskandidaten plötzich in der Bundesrepublik bekannt. Deutschland hat zwei verlorene Söhne wiedergefunden. Juristen, Priester und Politiker versuchten im letzten Moment, das verpfuschte Leben dieser zwei Mörder zu retten. Zu spät. Zumindest für den einen: Karl LaGrand. Weder Präsident Herzog noch Kanzler Schröder oder die Bundesjustizministerin konnten im Hort der Menschenrechte – als den sich die USA gerne geben – etwas für zwei amerikanisierte, aber immerhin, wie sich vor kurzem herausstellte – deutsche Bürger erreichen. Es war rührend zu sehen, mit welcher Entschlossenheit die höchsten Autoritäten auf das Menschliche der Brüder LaGrand gesetzt haben. Die Blutsbande verpflichten.

Mit einer anderen Art der Entschlossenheit haben sich die gleichen Politiker zur gleichen Zeit, mit der Justizministerin an der Spitze, vorgenommen, die kurdischen Teilnehmer der letzten Ausschreitungen schnellstens zu bestrafen. Und wenn die amerikanische Justiz mit blinden Augen gnadenlos das Urteil der Geschworenen nach 15 Jahren Wartezeit durchzieht, dann richtet sich die deutsche Justiz mit scheinbar rachesuchendem Willen nach den Gesetzen des Wilden Westens.

Die angesagte Abschiebung mutmaßlicher Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei in die Türkei bedeutet für diese Folter und Todesurteile. Das ist allen klar. Daß man der Türkei Versprechungen abverlangt, die aus Deutschland abgeschobenen Kurden in den Gefängnissen besser zu behandeln als ihre Brüder aus den kurdischen Dörfern, klingt gefährlich kindisch, und bedeutet nichts weiter als einen selbstbetrügerischen Kompromiß in einer parteipolitischen Schlacht.

Ein solches Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei existiert seit langem auf dem Papier. Wer aber soll es in einzelnen Fällen prüfen? Das Deutsche Rote Kreuz? Amnesty International oder Frau Däubler-Gmelin höchst persönlich? Auch wenn die betroffenen Kurden zum Teil seit vielen Jahrzehnten in Deutschland leben – in diesem Fall gibt es keine Blutsbande. Und das ist entscheidend.

Selbstverständlich darf für militanten Terrorismus kein Platz in der Bundesrepublik, in Europa und nirgendwo sein.

Aber Rache, Schrecken, Drohungen und Todesangst sind auch keine Mittel der modernen Justiz. Oder etwa doch: Auge um Auge? Zahn um Zahn?

Joanna Wlorkiewicz

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