Betriebsausflug ohne Celebrities

Wenn die Trashpiloten des audiovisuellen Gewerbes feiern: In Berlin trafen sich Deutschlands Musikvideoschaffende zur Vergabe des „Clip 1999“. Trotz Plexiglaspreisen blieb der Glam-Faktor gegenüber Medien-Events wie Berlinale oder goldene Kamera eher gering  ■ Von Thomas Groß

And the winner is... Zoran Bihac! Deutscher Meister in der Disziplin „Bestes Video“. Herausgefunden hat das eine Jury, der auch Til Schweiger, Sönke Wortmann und Starkameramann Michael Ballhaus angehört haben sollen. Leider konnten sie nicht persönlich erscheinen, ihr versteht schon, Termine.

Freitag nacht war in Berlin mit bloßem Auge zu erkennen, daß es sich bei Zoran Bihac um einen legeren Mann mit Wet-Look-Frisur handelt, der freudig, aber insgesamt unerregt den erstmals verliehenen Preis „Clip 1999“ aus der Hand von Marusha und Smudo (Fantastische Vier) entgegennahm. Bihac ist Regisseur des Videos zum Titel „Tabula Rasa“, eines grobkörnig gefilmten Miniepos, das die HipHopper Mellowbag, Freundeskreis und Gentleman featurt. Auch die hat es nicht auf das gespenstisch verwaiste Gelände des staatlichen Rundfunks der DDR gezogen, was den Glam- Faktor zusätzlich nach unten drückte. Selbstironisch gab der Geehrte seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß in der Hauptstadt auch „No-budget-Produktionen belohnt werden“.

Da lachten die Versammelten wissend. Am Anfang der Idee, eigene Awards für Musikvideoschaffende einzurichten, war nämlich Kränkung. Tage-, nächte-, wochenlang schuften diese Kreativen am Set, leisten wertvolle Beiträgerdienste zur visuellen Optimierung des Produkts. Sie sind, mehr als die Werber, die Vorarbeiter der ästhetischen Innovation, durchaus kann es passieren, daß ein Automobilhersteller anruft und sagt: Ich will, daß mein neues Modell rüberkommt wie Janet Jackson. Eigentlich geht nichts mehr ohne Musikfilmer in diesen Zeiten der Icons und Images, aber die Creds und Props kriegen immer nur andere, und kosten darf es sowieso nichts. Nicht einmal die Praxis, den Namen von Regisseur und Kreativklitsche kurz einzublenden, hat sich bei den Musiksendern wirklich durchgesetzt.

Firmen-Identities wie „Revolver Film Company“, „Plastik GmbH“ oder „Short Productions“ klingen unter diesen Bedingungen realistisch. Die Clipartisten sind die Trashpiloten des audiovisuellen Gewerbes. Außerdem übersieht man sich auch gegenseitig leicht. „Ich kenne fast niemand hier, und niemand kennt mich“, rief Ralf Schmerberg von „Trigger Happy Productions“, der zusammen mit einem anderen Kameramann den Award für „Beste Cinematographie“ erhielt, ins applaudierende Publikum. Wenn schon keine Celebrities, dann wenigstens gute Laune. Eine gewisse soziale Restwärme überstrahlte die vielen coolen Boss-Anzüge und MTV- Moden. Wären Gewerkschaften in der Branche nicht megaout, man hätte den Eindruck gewinnen können, einem Organisationsversuch des Medienedelproletariats beizuwohnen. Doch natürlich ging es nicht um Politik, sondern um Selbstrepräsentanz. „Clip 1999“ agierte auf dem komplizierten Feld der Glam-Erzeugung.

Dort allerdings kann halt nur reüssieren, wer die richtige Mischung aus Stars, Medien, die Stars rüberbringen, und Hipstern, die Medien als visuelle Staffage animieren, Stars wie Veranstaltung positiv rüberzubringen, aufbieten kann. Und die stimmte eindeutig nicht im Komplex an der Nalepastraße mit seiner guterhaltenen realsozialistischen Atmo. Etwas Zug in die Sache kam nur am Schluß, als mit Philipp Stölzl, dem Sohn von Deutsches-Historisches-Museum- Stölzl, ein Berliner in der Kategorie „Beste Regie“ ausgezeichnet wurde. Großes Juchhu der Crew, Applaus vom Rest. Überraschenderweise weigerte sich Stölzl, der blutig-düstere Schlachtplatten von Videos für Rammstein oder Vast anrichtet und auch Witt/Heppners endzeitdräuendes „Die Flut“ gedreht hat, sich zusammen mit seinen Eltern fotografieren zu lassen. Berliner Ökonomie?

Irgend etwas kommunizierte sich noch nicht recht beim Versuch, mit laubgesägtem Plexiglas an Bären, Cometen und goldene Kameras anzuschließen. „Clip 1999“ ähnelte einem Betriebsausflug der Branche, bei dem Dieter Meier von Yello auch nicht weiter auffiel. Nicht eben günstig nahm sich auch die Tatsache aus, daß die Preisträger selbst zur Hälfte nicht erschienen waren. Musikfilmer müssen leider unablässig „drehen“, damit sich das Ganze rechnet. Sogar Torben Ferkau, Chef von „Erste Liebe Filmproduktionen“ und Initiator der Veranstaltung, hätte eigentlich zu Dreharbeiten in Dubrovnik sein sollen.

Das teuerste Musikvideo Europas ist mit mehreren 100.000 Mark (so genau will man sich nicht festlegen) übrigens ein deutsches, nämlich der Clip zu „You Are Not Alone“, der neuen Single von Modern Talking. Keiner der anwesenden Kreativen vermochte allerdings zu sagen, was daran das ganze Geld gekostet hat. Die hampeln doch einfach nur rum wie immer! Na ja, die Optik, die Ausstattung, „das ist schon sehr aufwendig gemacht“. Außerdem hat Dieter Bohlen einen unbezahlbaren Tip von Regisseur Markus Walter erhalten: Nicht grinsen und nicht die Faust ballen.