Atomgesetz vollständig vertagt

■ Trittin zieht nach Einsprüchen aus verschiedenen Ressorts eigenen Entwurf zurück. Bei den Konsensgespächen sollen nun auch die Umweltschützer und Gewerkschaften zu Wort kommen

Hannover (taz) – Die bisher für den 9. März vorgesehene große Konsensrunde der Bundesregierung mit allen AKW-Betreibern ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Die vier Spitzenpolitiker der Koalition, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Oskar Lafontaine und Jürgen Trittin, haben sich gestern bei einem Treffen im Kanzleramt auf die Vertagung geeinigt. Auf Vorschlag des Bundesumweltministers hat die Viererrunde außerdem vereinbart, jetzt auch Umweltverbände und Gewerkschaften in die Gespräche über den Atomausstieg einzubeziehen.

Am 9. März soll es zunächst ein weiteres Treffen im kleinen Kreis von Kanzler, Wirtschafts- und Umweltminister und den Vorstandsvorsitzenden der drei größten AKW-Betreiber und dem HEW- Vorstandsvorsitzenden Manfred Timm geben. Dem sollen zwei weitere bisher noch nicht terminierte Konsensrunden folgen, in denen die Bundesregierung einmal mit den Umweltverbänden und dann mit den Gewerkschaften über den Ausstieg sprechen will. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums hat Jürgen Trittin das neue Procedere vorgeschlagen.

Wie gestern aus Koalitionskreisen verlautete, stand bei dem Treffen beim Kanzler auch die seit Monaten strittige Änderung des Atomgesetzes auf der Tagesordnung. Trittin selbst soll angeregt haben, seinen eigenen Entwurf nicht wie vorgesehen am 3. März im Bundeskabinett abschließend zu beraten, sondern die Gesetzesänderung auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Zwar soll die Arbeit an dem Gesetzentwurf und die Abstimmung zwischen den Ressorts weitergehen. Trittin fürchtete aber offenbar, mit dem schon arg gerupften Entwurf ein weiteres Mal im Kabinett zu scheitern.

In einer Stellungnahme zu dem Entwurf hatte etwa Bundesinnenminister Otto Schily sogar Bedenken gegen die grundlegende Zielrichtung der Atomgesetznovelle angemeldet – gegen das Ziel, die Atomstromproduktion „geordnet und sicher zu beenden“. Andere Ressorts erhoben Einwände gegen die standortnahe Zwischenlagerung. Weiteren internen Streit gabe es in den letzten Wochen auch über den Zeitpunkt der Beendigung der Wiederaufarbeitung. In einem Protokoll der bei der ersten Konsensrunde eingerichteten Arbeitsgruppe Entsorgung hatte das Bundeskanzleramt festgehalten, es gäbe angeblich Einvernehmen darüber, daß bis zum Jahr 2004 abgebrannte Brennelemente aus deutschen AKWs zur Wiederaufarbeitung ins Ausland geliefert werden sollen. Berücksichtigt man die Lagerzeit der Brennelemente in La Hague und Sellafield, hieße dieser Zeitrahmen, daß die bis zum Jahr 2010 laufenden Wiederaufarbeitungsverträge praktisch vollständig ausgenutzt würden. Gegen die Festlegung auf Lieferungen bis zum Jahr 2004 hatten Vertreter des Bundesumweltministeriums im nachhinein Protest eingelegt.

Am 9. März soll mit den Vorstandvorsitzenden der größten AKW-Betreiber zunächst ausgelotet werden, ob beim entscheidenden Punkt des Ausstiegs, bei den Restlaufzeiten für die Reaktoren, eine Einigung möglich ist. Das gleiche Thema soll dann natürlich auch in den beiden folgenden Runden mit Umweltverbänden und Gewerkschaften auf der Tagesordnung stehen. Auf eine schnelle Novellierung des Atomgesetzes scheint Trittin derweil nicht mehr zu beharren. Der ursprüngliche Zeitplan des Koalitionsvertrages – in den ersten 100 Tagen Rot-Grün eine den Ausstieg vorbereitende Atomgesetznovelle und anschließend die Konsensgespräche – hat sich ohnehin bereits erledigt. Jürgen Voges