Die Wirklichkeit hat wieder die Oberhand

Was der Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Márquez mit dem kolumbianischen Wochenmagazin vorhat, das er gekauft hat, und wie der Schriftsteller jungen Reportern Journalismus beibringt  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Ein einziges Mal verschwand das verschmitzte Lächeln des kolumbianischen Großschriftstellers aus seinem Gesicht. Dabei hatte die junge Frau Gabriel Garcia Márquez nur einmal harmlos über sein neuestes Projekt befragen wollen, als sie Ende November in einer Reportertraube mit ihm über die Buchmesse in Mexiko-Stadt zockelte: Ob er denn jetzt zum Unternehmer geworden sei. „Du als Reporterin solltest sowas nicht sagen“, fuhr Gabriel Garcia Márquez darauf die junge Dame unwirsch an. „Alles Geld“, sagte er dann pathetisch, „wurde mit der Schreibmaschine verdient“ – die Eigentümer des fraglichen Unternehmens seien schließlich „alle Journalisten“.

Weiteren Fragen verweigerte Garcia Márquez sich – mehr wollte er zu seiner neuen Verlegerrolle partout nicht preisgeben.

Gerade eine Woche zuvor hatte Gabo, wie der schnauzbärtige 71jährige von seinen Landsleuten liebevoll genannt wird, für eine Million Dollar fünfzig Prozent von der kolumbianischen Wochenzeitschrift Cambio (Wandel) gekauft; die andere Hälfte wird von einer Gruppe renommierter Journalisten gehalten. Mit der Übernahme einer Zeitschrift erfüllt sich ein alter Traum des Literaturnobelpreisträgers. Schon als er 1982 das Stockholmer Preisgeld bekam, wollte er eine neue Tageszeitung für Kolumbien gründen: El Otro (Die Andere).

Doch das Geld hatte nicht gereicht, und Gabo mußte 16 Jahre warten, bis sich die Gelegenheit zum Einstieg in das bestehende Magazin Cambio bot – ein kolumbianischer Ableger des spanischen Cambio 16. Dieses soll nun, so will es der neue Chefredakteur, das Meistverkaufte in ganz Kolumbien werden. Kein leichtes Unterfangen: Wie die ehemalige Inhaberin Patricia Lara berichtet, hatte besonders die Führungsriege der konkurrierenden Wochenzeitung Semana den prestigeträchtigen Deal bis zuletzt vereiteln wollen. Und Semana ist bislang die Marktführerin. Ein weiteres Problem: Die bisherigen Aktionäre um Daniel Samper, der Bruder des wegen seiner Verbindungen zur Drogenmafia diskreditierten Ex-Präsidenten, weigerten sich, ihr Aktienpaket zu verkaufen – die beiden halten aber nur ein halbes Prozent an Cambio und dürften kaum allzuviel Einfluß auf die journalistische Linie erlangen.

Die vormalige Inhaberin hatte beim Verkauf keinerlei Bedenken. „Cambio in die Händen von Gabito zu legen, ist ein bißchen so, als würde ich sie meinem Vater überlassen“, sagt Patricia Lara. Der Autor sei schon seit fünf Jahren eine Art „klandestiner Mitarbeiter“ des Blattes gewesen. Er solle nun „den Jungens mal beibringen, wie man eine Reportage schreibt“.

Kein Neuanfang also, sondern eine Rückkehr zu den Wurzeln. Schon seit Ende der vierziger Jahre hatte Garcia Márquez als rasender Reporter seine Empanadas verdient und das Handwerk gelernt – von der Pieke auf. Bei nahezu allen großen kolumbianischen Tageszeitungen redigierte er zunächst Kurzmeldungen und bastelte Überschriften, schrieb Kolumnen und Filmkritiken, später auch Kurzgeschichten und literarische Reportagen. In den fünfziger Jahren berichtete er als Korrespondent aus dem Nachkriegseuropa.

Garcia Márquez selbst sagt zuweilen, er habe den Reporterberuf auch als Schriftsteller eigentlich nie verlassen: Seine Romane seien in gewisser Hinsicht immer noch Reportagen, seine Reportagen Literatur – zuletzt „Das Abenteuer des Miguel Littin – Illegal in Chile“ (1986) und „Nachricht von einer Entführung“, wo auf der Grundlage ausführlicher Interviews das höchst reale Drama eines Entführten im Drogenkrieg nachgezeichnet wird. „Es gibt gar nichts zu erfinden, wichtig ist nur, es artikulieren zu können“, sagte er einmal. „Die Wirklichkeit läßt uns gar keinen Platz für Erfindungen, sie gewinnt immer die Oberhand.“

Die Lehre vom Journalismus als „Kunst des Erzählens“ will der Altmeister nun auch an die Nachkommen weiterreichen. Die von ihm gegründete „Stiftung für einen Neuen Iberoamerikanischen Journalismus“ bemüht sich seit 1995 um Nachwuchsförderung, alle sechs Monate Jahr bietet Garcia Márquez persönlich einen Reportageworkshop für jüngere Kollegen an. Gegen eine Gebühr von 700 Dollar und unter Beachtung strenger Regeln – keinerlei Tonband-Aufnahmen von den Anweisungen des berühmten Lehrers oder gar Interviewversuche – dürfen Reporter drei Tage lang dem verehrten Maestro seine Geheimnisse entlocken.

Und sie notieren dessen goldene Regeln über Anfang und Ende: „Der erste Absatz muß alles enthalten: den Stil, den Rhythmus, den Ton und am besten schon den Plot.“ Und: „Das Ende ist wunderbar, wie ein Orgasmus, wächst und explodiert.“ Also solle man eine Geschichte so aufbauen wie ein Würstchen – „zuerst am Ende zuknoten“. Das Schreiben müsse „ein Akt der Hypnose“ sein: „Wenn man sich beim Schreiben langweilt, langweilt sich der Leser auch beim Lesen.“ Kommaregeln, Orthographie und allzuviel wörtliche Rede erklärt der Meister für überflüssig, die journalistische Ethik dagegen hält er bei aller Liebe zur Imagination hoch.

Heute ist Gabo zweifellos in der großen weiten Welt, dem sogenannten Global village, zu Hause. So wird er nicht nur von Millionen Menschen in fast 20 Sprachen gelesen, sondern auch von den mächtigsten Männern der Welt hofiert. Dabei gelingt ihm der Spagat, mit zwei der verfeindetsten unter ihnen gleichzeitig befreundet zu sein: Bill Clinton und Fidel Castro.

Und selbst Pablo Escobar, ehemaliger Drogenzar Kolumbiens, hatte ihn einst um ein paar private Nachhilfestunden in Journalismus gebeten. Diese Weltläufigkeit spiegelt sich in den ersten Nummern des neuen Cambio wider: Neben verspielten Kolumnen („Warum der ,Graf von Monte Christo‘ mein Lieblingsbuch ist“) finden sich Interviews mit dem umstrittenen Ex-Putschisten und neugewählten Präsidenten Venezuelas, Hugo Chavez, wie auch ein flammender Essay zur Verteidigung des „unvollendeten Liebhabers“ Clinton (der auf Deutsch unlängst in der FAZ nachgedruckt wurde). Clinton, schreibt Garcia Márquez dort, habe „sich selbst durch eine frigide Zigarre ersetzt“ – gegen den Puritanismus seiner politischen Gegner.

Doch um Eitelkeit oder gar Geld wird es dem Schriftsteller, der immerhin als einer der meistverkauften der Welt gilt, mit seinem Einstieg ins Verlegergeschäft wohl kaum gegangen sein. Für ein lukratives, iberoamerikanisches Hochglanzmagazin wäre Spanien sicherlich der bessere Standort gewesen. Der Maestro, der seit über 30 Jahren überwiegend in Mexiko- Stadt lebt und derzeit an der Geschichte seines eigenen Lebens arbeitet, hat auf seine älteren Tage wohl eher die Liebe zu seinem bürgerkriegsgeplagten Heimatland wiederentdeckt. Und hofft nun, dort mit seinem linksliberalen Wochenmagazin und der eigenen Prominenz etwas zu dem mühseligen Versöhnungsprozeß beitragen zu können, der Anfang dieses Jahres mit den ersten Verhandlungsversuchen zwischen Regierung und Rebellen zaghaft in die Gänge gekommen ist.

Seinen Einstand gab der vitale Immer-noch-Reporter im Januar jedenfalls just mit einem Interview einer jungen Guerillera der FARC, einer der zwei Guerillaformationen im Lande. Und, so wird gemunkelt, auch bei der Ansprache des Präsidenten Pastrana habe Ghostwriter Gabo die Finger im Spiel gehabt. „Doch, er will etwas für den Frieden tun“, glaubt auch ein mexikanischer Kollege, der den munteren Kolumbianer bei einem der begehrten Workshops kennengelernt hatte. „Und das aus der bescheidensten aller denkbaren Perspektiven – der des Journalisten.“