Mit einem Mussolini über dem Bett

■ Schreiben ist ein Beruf, der sich von schrecklichen Dingen nährt. Natalia Ginzburgs Helden arbeiten sich jedoch zu freundlicher Nachsicht vor. Romane und Geschichten, neu zu entdecken

Der Wagenbach Verlag verwaltet Natalia Ginzburgs Werk mit Umsicht. Immer wieder werden Übersetzungen durchgesehen und die Romane und Geschichten neuaufgelegt, so daß die 1991 mit 75 Jahren verstorbene Autorin dem Leser im Bewußtsein bleibt: Zuletzt wurde der Roman „Alle unsere Gestern“ herausgebracht und die Geschichtensammlung „Die kaputten Schuhe“ in neuem Gewand präsentiert.

„Alle unsere Gestern“ erzählt die Geschichte der heranwachsenden Kinder Ippolito, Concettina, Anna und Giustino: Als Italien sich unter Mussolini anschickt, in den Krieg einzutreten, stirbt der Vater. Er hatte jahrelang an einem Buch gearbeitet, das, einmal publiziert, das wahre Gesicht der neuen Herren im Land gezeigt hätte. Das Manuskript aber verbrannte er in einem Anfall von geistesverwirrter Klarsicht im Ofen. Er hinterläßt seinen Kindern ein herrschaftliches Haus, ein bißchen Geld und die altjüngferliche Tante Maria.

Der älteste Sohn Ippolito und seine Freunde treffen sich in verschwörerischer Absicht, reden, lesen Zeitungen, hören Radio und planen Aktionen, zu denen es nie kommt. Die verwöhnte Concettina heiratet einen Faschisten, obwohl die Familie nichts davon hält. Ippolitos Freund Emanuele ist überzeugt, Concettina verdiene Mitleid, denn sie müsse im Schlafzimmer über dem Ehebett gewiß ein Bild von Mussolini ertragen. Als ihm berichtet wird, daß kein solches Bild gesichtet wurde, weiß er bestimmt, daß Mussolini nur für die Dauer des Besuchs der Verwandten abgehängt worden war.

In diesem ganzen Trubel fällt niemandem auf, daß die fünfzehnjährige Anna in Schwierigkeiten gerät. Aus Kinobesuchen mit Giuma ist eine kleine Liebe geworden, die zum Desaster führt: Anna wird schwanger, und der ebenfalls jugendliche Kindsvater rät ungerührt zu Chinin und gibt ihr, für den Fall, daß Chinin nichts nützen sollte, einen Tausendlireschein.

Natalia Ginzburgs Erzählton ist einzigartig: Mit liebevoller Fürsorge schildert sie ihre Helden, deren Hoffnungen und Nöte. Die Neigung der Autorin zu ihren Figuren äußert sich zuvorderst in einem Bemühen um Genauigkeit bei der Darstellung der Charaktere. Ginzburgs Lakonie läßt einzelnen Wörtern viel Raum zum Wirken. Die jugendliche Anna will eigentlich gar nicht mit Giuma ausgehen; aber irgendwie, sie selbst weiß am wenigsten warum, bringt sie sich dazu, es zu tun. Sie betrachtet den Galan aus gutem Hause nicht mit dem Blick eines verliebten Mädels, sondern mit skeptischer Verwunderung: „Fuchszähne“ attestiert sie ihrem Geliebten und zeigt damit, daß sie trotz der sexuellen Intimität nichts von Giuma weiß, daß sie nur sein Äußeres gut kennt.

Diese innere Unbekanntheit läßt sie früh vermuten, daß aus ihr und Giuma nie ein wirkliches Paar werden wird. Sie wünscht sich, sie wäre nie mit ihm ins Gebüsch am Fluß gegangen. Verzweifelt hofft sie, die Schwangerschaft würde sich irgendwie verflüchtigen. Am Ende des Romans, nach dem Ende des Krieges, soviel darf gesagt werden, sitzt Anna im schattigen Garten fröhlich in einer Runde von Freunden und Verwandten.

Ginzburgs Helden durchleben Leiden und Schrecknisse, die sie, wenn sie daraus lebendig hervorgehen, ein bißchen geläutert haben. Sie sind ein bißchen nachsichtiger, ein bißchen freundlicher und moderner. Allerdings weiß der Ginzburg-Leser, daß diese Läuterung nur bis zur nächsten Abzweigung in der Biographie anhält. Dann geht das aufreibende und melancholisch-komische Sich- Abarbeiten am Leben weiter.

Aus der Sammlung „Die kaputten Schuhe“ sei nur die Liebeserklärung „Mein Beruf“ erwähnt: Gleichermaßen aufschlußreich für angehende Schriftsteller und langjährige Ginzburg-Leser ist das Verhältnis der Autorin zum beruflichen Erzählen, das dem Leser formvollendet als ein quasi naturhaftes Erzählen erscheint. Schreiben war für Ginzburg ein Beruf, keine Beschäftigung nebenbei – wiewohl sie oft nachts, wenn die Kinder schliefen, schrieb. Schreiben „ist ein Beruf, der sich auch von schrecklichen Dingen ernährt, er nimmt sich das Beste und Schlimmste in unserem Leben, unsere bösen wie unsere guten Gefühle fließen in ihn ein“. Stefanie Holzer

Natalia Ginzburg: „Alle unsere Gestern.“ Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Wagenbach Verlag, Berlin 1998. 329 Seiten, 39,80 DM

Natalia Ginzburg: „Die kaputten Schuhe.“ Neuausgabe. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Wagenbach Verlag, Berlin 1998. 76 Seiten, 14,80 DM