„Halleluja! Ich mache wieder Gymnastik“

Wenn Taube wieder hören und Fußlahme wieder joggen, hat wohl der texanische Wunderheiler Billy Smith wieder die Hände im Spiel. Das glauben zumindest die 500 Gläubigen, die Abend für Abend in die Nazarethkirche pilgern  ■ Von Kirsten Küppers

In der Weddinger Neuen Nazarethkirche geht es an diesem Abend amerikanisch zu. Vorne steht ein Chor mit Gitarre und Schlagzeug und leitet wiegenden Schrittes die inbrünstig singende Gemeinde an. Ein Overheadprojektor wirft die Liedtexte an die Wand: „Laßt es uns ausrufen: Jesus ist der Herr!“ Viele Gemeindemitglieder halten die Hände in die Höhe, klatschen den Rhythmus mit. Manche haben die Augen geschlossen.

An diesem Abend ist die evangelische Kirche aber nicht wegen der Gospelstimmung überfüllt. Die Kirchenbesucher warten auf Billy Smith. Der Evangelist aus Texas heilt seit einer Woche jeden Abend ab 19 Uhr die Leiden gläubiger Christen. Eine taube Frau soll wieder hören können, Asthmakranke sollen wieder frei atmen, Lahme wieder gehen können, nur weil Billy für sie gebetet hat. Es sei, so glauben viele, wie ein Wunder.

Und da kommt er auch schon. Ein weißhaariger Mann mit breitem Lachen und grünem, kurzärmeligem Hemd, darüber eine Lederweste. Vor seinem stattlichen Bauch prangt auf der silbernen Gürtelschnalle das Wort „Texas“. Händeschüttelnd läuft er zum Altar.

„Praise the Lord!“ schmettert Billy los. Dann ein paar Witzchen über die Miesepetrigkeit der Deutschen, schließlich habe ja auch der liebe Gott Humor. Die rund 500 Gemeindemitglieder klatschen euphorisch. Aber Smith will beweisen, daß er nicht bloß ein lustiger Scharlatan ist. „Alle, die von mir schon geheilt wurden, bitte ich, Zeugnis abzulegen!“ fordert er die Nutznießer vorangegangener Gottesdienste auf.

Da ist eine alte Frau mit Kopftuch. Sie schwört, Billy hätte nur ihr linkes Ohr berührt, und schon sei sie nicht mehr schwerhörig gewesen. Unter Tränen erzählt eine andere, ihre Depressionen seien wie weggeblasen, seit der Gast aus Amerika für sie gebetet habe. Verschnieft liefert sie schachtelweise die unnützen Schlaftabletten bei ihm ab. Die Menge tobt. Gute Gelegenheit für Billy, Werbung für seine Bücher zu machen, die es am Engang zu kaufen gibt.

Zwischendurch ist es Zeit für das sogenannte Liebesopfer. Blaue Plastikeimerchen werden zur Kollekte herumgereicht. Smiths Hotelzimmer im Holiday Inn und das Flugticket nach Deutschland wollen bezahlt sein. Jede Kollekte bringt etwa 1.500 Mark ein. Und Smith ist das ganze Jahr in Sachen Heilung unterwegs. 42 Länder hat er schon bereist, bis zum Jahr 2000 ist er ausgebucht, seine nächste Station nach Berlin ist Schweinfurt.

Trotz mangelndem Theologiestudium ist der Heiler bei Pfarrern aus aller Welt ein gern gesehener Gast, weil er die dürftig besuchten Gottesdienste füllt. „Heute sind fünfmal so viele Leute da wie sonst“, konstatiert Pastor Matutis von der Nazarathkirche zufrieden. Ein Pastor aus Prenzlau erzählt, letzten März seien wegen Billy 700 Menschen statt üblicherweise 25 in seine Kirche geströmt. Doch der Texaner ist den Rummel gewohnt. In Indien habe er schon vor 40.000 Indern gebetet.

Und jetzt alle mit Rückenschmerzen bitte nach vorn. Sofort drängeln sich etwa zwanzig Leute um den guten Mann aus Amerika. Fast alle sind nichtdeutscher Herkunft. Eine alte polnische Frau setzt sich wimmernd auf den Behandlungsstuhl. Nur unter Klagen kann sie die Beine ausstrecken.

„Hätte sie keine Schmerzen, hätte ich keinen Job“, witzelt Billy. Als junger Mann habe er selbst unter einem Herzfehler, Diabetes, unzähligen Rückenoperationen und kaputten Knien gelitten. Bei einem epileptischen Anfall in einer Kirche half ihm das Gebet der Kirchenbesucher. Und siehe da, seit 25 Jahren hat er nun schon keinen solchen Ausbruch mehr gehabt. Seine anderen Krankheiten seien mit wachsender Gottesgläubigkeit verschwunden. So ist er zur Heilerei gekommen. Eine blonde Frau in der ersten Reihe nickt.

Jetzt streicht er der polnischen Alten ein paarmal über die Füße, murmelt ein Gebet, tief durchatmen. Plötzlich steht sie leichtfüßig auf. „Halleluja! Jetzt kann ich wieder Gymnastik machen!“ juchzt sie und reißt die Arme in die Luft. Es ist wie ein Zaubertrick, aber die Polin ist echt.

Aber das war erst der Anfang. Billy Smith heilt jetzt wie am Fließband. Über achtzig Bittsteller stellen sich an, ein Sammelsurium an Krankheiten. Rheumatiker sind dabei, Zuckerkranke, Asthmatiker. Einem kleinen Mädchen mit Gummistiefel flüstert er ins Ohr, damit sie wieder hören kann. Eine Berührung und das Vertrauen ins Gebet scheinen zu genügen. Ein erschrockener Blick des Patienten, Nicken, Tasten, Kopfschütteln. Ja, die Schmerzen seien weg. Ein kleiner asiatischer Junge kriegt symbolisch einen neuen Herzmuskel verpaßt, eine Frau eine starke Lunge. Als Zeichen der Genesung soll sie eine Runde durch das Kirchenschiff rennen. Schüchtern trippelt sie los.

Angeblich hätten zahlreiche Ärzte Billys Erfolge attestiert. Trotzdem würden auch in kirchlichen Kreisen die texanischen Heilkräfte mitunter angezweifelt, gibt Pastor Gernot Brandt zu. Er und Vertreter fünf anderer Kirchengemeinden haben das „Urgestein Smith“ nach Berlin eingeladen. „Aber Billy ist einfach ein Christ, der die Gabe der Heilung besitzt. Das haben auch schon Bischöfe bestätigt. Im ersten Brief der Korinther, Vers 12 bis 14, werden solche Heilungen beschrieben.“ Neidisch ob der wundersamen Fähigkeiten des Kollegen ist Pastor Brandt jedoch nicht. „Wir beten ja auch für Kranke. Die Heilung dauert dann eben länger“, sagt er.

Derweil befreit Smith dem letzten Kandidaten die Nasennebenhöhlen. Zum Abschied zückt er seine Geldbörse und schenkt drei jungen Frauen jeweils 100 Mark. „Gott hat mir gesagt, daß ihr das Geld braucht“, meint er in Sugardaddy-Manier, hebt den Kopf und ruft der entzückten Menge zu: „Geht oft in die Kirche, nicht nur, wenn Billy da ist!“ Das werden sie jetzt wohl tun.