Mutmaßungen über Antonio

Gegen den Strich gebürstet: Der österreichische Konzeptkünstler und documenta-Teilnehmer Peter Friedl zeigt in Berlin, wie kritische Kunst zur Spielwiese mutiert  ■ Von Harald Fricke

Jean Baudrillard muß es wissen. Auf die Frage nach dem Stellenwert moderner Kunst angesprochen, hatte er schon Anfang der neunziger Jahre geantwortet, daß ihn Ästhetik eigentlich erst dann interessiere, wenn alle anderen Probleme gelöst sind. Mittlerweile polemisiert der französische Kulturphilosoph jedoch ganz offen gegen eine Kunst, die nichts zu sagen hat, weil sie keine echten Werte mehr transportiert, sondern nur noch von Marktgesetzen und der amerikanischen Vormachtstellung lebt.

Diesem pessimistischen Ausblick dürfte auch der Österreicher Peter Friedl zustimmen. Seine Ausstellung in den lichten Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins macht die Feinde der Kunst allerdings nicht unter geldgierigen Galeriebetreibern, sondern im politisch engagierten Lager aus. Dem 1960 geborenen Konzeptkünstler geht es darum, wie die Grenzen zwischen kritischem Anspruch und blanker Dienstleistung verwischen. Eine Ausstellung, die sich um ein soziales Anliegen bemüht, muß im institutionellen Rahmen scheitern, so könnte der Kommentar lauten, mit dem Friedl dem erweiterten Kunstkontext begegnet.

Statt dessen geht Friedl den umgekehrten Weg: Zur letzten documenta verwirrte er die Besucher mit einem roten Kino-Schild, das auf dem Dach der documenta- Halle angebracht war. Daß dort jeden Abend über Neokolonialismus und Globalisierung diskutiert wurde, erschien ihm als Beleg für die Festivalisierung kulturpolitischer Debatten. Als er im letzten Jahr zu einer Ausstellung über Kunst im öffentlichen Raum nach Bremen eingeladen war, fiel sein Beitrag noch schroffer aus: Friedl ließ von seinem Projektgeld braune Maßschuhe für die beiden KuratorInnen anfertigen – schließlich will ja Kunst im Stadtraum vor allem touristisch erwandert sein. In Leipzigs Galerie für Zeitgenössische Kunst bestand seine Arbeit zuletzt aus der Ankündigung, gemeinsam mit der für ihn zuständigen Kuratorin die Teilnahme an einer Gruppenausstellung abzusagen. Die Verweigerung wurde dann brav dokumentiert.

Auch in Berlin setzt Friedl auf Konflikt. Bis auf ein paar beiläufige Eingriffe bleibt der Raum leer. Die rechte Wand wurde bis zur Schulterhöhe silbern angestrichen, links stehen neun verlorene Holzkästchen herum, die sonst in Kindertagesstätten als Möbel benutzt werden. Und an der Längswand kann man in Pastellfarben aus dem sozialen Wohnungsbau das Wort „NINO“ lesen – ein sprödes minimalistisches Allover als Hommage an die Nintendo-Generation? Vielleicht. Den konzeptuellen Rahmen zu Friedls Inszenierung findet man jedoch eher in den „Gefängnisheften“ des italienischen Revolutionärs und marxistischen Theoretikers Antonio Gramsci. Die Ausstellung versteht sich als biografische Auseinandersetzung mit dessen Thesen zu Hegemonie und Gegenhegemonie. Was Gramsci als Problem einer kulturell ohnmächtigen Arbeiterklasse für Italien formuliert hat, erscheint nun noch einmal im Kindchenschema durchgespielt: Kinder stehen gesellschaftlich zwar auf der untersten Stufe, sind aber Garanten für die Zukunft. Dazwischen liegt ein langer Weg der Erziehung, Prägung und Anpassung.

Anders die Kunst. Wo sie als Vademecum für gesellschaftliche Widersprüche herhält, wird Friedl hellwach. Die Vorlage dafür bildet die kürzlich abgehaltene Berlin Biennale mit ihrem Trend zu Party, schmuddeligen Bildlabyrinthen und ganzheitlichen Spielwiesen. Friedls Installation zeigt, wie sich der Kunstverein in Zeiten ökonomischer Konflikte zum Regressionsraum gewandelt hat.

Was auf der Biennale mit Anleihen bei der Minimal art als Clubambiente vorgeführt wurde, findet sich nun als Kindergartensituation zugespitzt. Dabei nutzt Friedl vor allem Zitate aus den Sixties: Die Hocker könnten aus einem Setting von Donald Judd stammen, der silberne Anstrich findet sein Pendant in den mit Silberfolie ausgekleideten Räumen Andy Warhols. Soweit kann man der Kritik an einer neuen Kuscheligkeit in der Kunst folgen, die lieber mit Versatzstücken der Popkultur spielt, als sich den Mängeln im Modell der Freizeitgesellschaft zu stellen.

Aber Empörung über die Spielregeln der Neuen Mitte allein genügt Friedl nicht. Damit er mit seiner Installation nicht bloß in die Kerbe von Gesellschaftkritik schlägt, bürstet er auch das eigene Anliegen gegen den Strich. Von Gramsci lernen, heißt für ihn – Mythen zerstören. So ist der Verweis auf den 1937 im Gefängnis gestorbenen Märtyrer auch eine Auseinandersetzung mit dessen Biografie. Friedl ist auf Widersprüche im revolutionären Lebensentwurf gestoßen: Gramsci war ein Macho, der Frauen schwängerte und sitzenließ; er war kein Held der Massen, sondern ein kleinwüchsiger Katholik mit Machtallüren. Dieses unkorrekte Gramsci-Bild wiederum ist unterschwellig in der Ausstellung präsent: Das kindgerechte „NINO“ soll auf den Kosenamen Gramscis innerhalb seiner Familie verweisen, die silberne Wand erinnert an die Moskauer „Silberwald“-Klinik, in der sich der Revolutionär in eine Krankenschwester verliebte.

Das alles kann man auf einem Infoblatt nachlesen, das am Tresen des Kunstvereins ausliegt. Die Ausstellung selbst trägt diese Art von Doppelstrategie, Dekonstruktion und Rereading nicht. Dabei wäre es doch sehr interessant gewesen, die Gramsci-Rezeption wenigstens ansatzweise zu dokumentieren, um Unterschiede zwischen künstlerischem Blick und literarischer Exegese sichtbar zu machen. Doch davon wird vermutlich der Katalog handeln, der erst zur Finissage vorliegt. Bis dahin bleibt das Puzzle im Kunstverein bloß ein Stückwerk aus Mutmaßungen über Antonio.

Bis 28.2., Neuer Berliner Kunstverein, Berlin. Der begleitende Katalog wird am 24.2. in der Ausstellung vorgestellt.