Die Grünen in Hessen – vom Wähler und von Joschka Fischer verlassen

■ Hessenwahl: Nicht einmal am AKW-Standort Biblis konnten die Grünen punkten. Der Ruf nach dem großen Chef Fischer wird lauter

Frankfurt (taz) – „Wir waren doch die einzige Partei, die sich gegen den weiteren Ausbau des Rhein-Main Flughafens ausgesprochen hat; aber vielleicht hat uns das kaum noch jemand geglaubt.“ Wolfgang Bleidt, Ortsvereinsvorsitzender der Bündnisgrünen in Bischofsheim, ist enttäuscht vom Ausgang der Wahl im gesamten Flughafenumland. Im Landestrend haben Bleidt und seine Leute verloren. Zu ihren Hochzeiten kamen die Grünen hier auf Wahlergebnisse von knapp 20 Prozent; am Sonntag waren es gerade noch 8,4 Prozent.

Ähnlich desaströs ist das Ergebnis für den gesamten Landkreis Mörfelden-Walldorf, vor knapp 20 Jahren das Widerstandsnest im Kampf gegen die Startbahn 18 West. Von 12,2 Prozent noch 1995 sackten die Bündnisgrünen auf 9,4 Prozentpunkte ab. In dieses magere Ergebnis eingerechnet sind schon die sensationellen 22 Prozent (1995: 12 Prozent), die in Kelsterbach für die Bündnisgrünen in der Wahlurne lagen. Über Kelsterbach würden die Flugzeuge einschweben, wenn die Landebahn Nord durch den geschützten Schwanheimer Bannwald tatsächlich gebaut wird.

Doch zehn Kilometer weiter, etwa in Raunheim, war der Flughafenausbau, den CDU und FDP jetzt „zügig vorantreiben“ wollen, offenbar schon kein wichtiges Thema mehr. Da verloren die Bündnisgrünen 1,4 Prozent, in Rüsselsheim gar 3,7 Prozent und kamen nur noch auf acht Prozent. „Verheerend“ nannte dort die bündnisgrüne Bürgermeisterin Gabi Klug das Ergebnis.

Dabei sind die Bündnisgrünen im Norden des Kreises noch gut bedient. Im Süden ist die Partei voll eingebrochen, und das an sogenannten ökologischen Brennpunkten. In Biebesheim, dem Standort einer umstrittenen Giftmülldeponie und dem Wohnort der grünen Landtagsabgeordneten Ursula Hammann, verloren die Grünen fast zehn Prozent und kamen nur noch auf 7,4 Prozent. Biebesheim ist noch dazu eine der wenigen Kommunen in Hessen, denen ein direkt gewählter grüner Bürgermeister vorsteht. Die „emotionale Reaktion der Menschen auf die Unterschriftensammlung der Union“ sei ursächlich für den enormen Stimmenverlust der Grünen, sagt Hammann, die wieder in den Landtag einziehen wird. Die Grünen-Wähler in Biebesheim: alles Doppelpaßgegner? Noch herber ist die Niederlage am Atommeilerstandort Biblis im Landkreis Bergstaße: unter 5 Prozent.

„Offenbar lockt nicht einmal unser Kampf gegen die Atomenergie die Wähler noch hinter den Öfen hervor“, konstatiert Albrecht Kündiger, Fraktionschef der Bündnisgrünen im Landkreis Main-Taunus. Tief verwurzelt sind die Bündnisgrünen um Kündiger in ihrem Landkreis, dem Wahlkreis von Roland Koch. Mit Andreas Kammerbauer hatten auch sie einen Landtagsabgeordneten in Wiesbaden. Abgesackt sind sie dennoch „im Landestrend“.

Mit Blick auch auf die 19 Wahlkreise vor allem in Nordhessen, in denen es die Bündnisgrünen noch nicht einmal über die Fünfprozenthürde schafften, fordert Kündiger jetzt eine „Erneuerung der Partei an Haupt und Gliedern“. „Zu satt“ seien die Grünen geworden, gerade in Hessen: „Die Dynamik ist weg.“ Der Wahlkampf sei „schlapp bis nicht vorhanden“ gewesen, die Plakate „dumm und wenig aussagekräftig“. Etwa der Slogan: „Wählt grün – und der Bus kommt öfter.“

Alle müßten sich jetzt an die eigenen Nasen fassen: „In Bonn, in Wiesbaden und in jedem kleinen Ortsverein.“ Kampagnenfähig müsse die Partei wieder werden; und sich personell erneuern. Personell erneuern? Der Landesvorstand mit Tom Koenigs kandidiere zwar nicht mehr, sinniert Kündiger. Aber die neue Fraktion im Landtag sei (fast) die alte, „langweilige“. Kündiger zuckt mit den Schultern. Wann greift der große Chef endlich ein? Joschka Fischer ist „irgendwo in Afrika unterwegs“, weiß Kündiger. Klaus-Peter Klingelschmitt