■ In Frankreich hat jeder vierte fremde Vorfahren
: „Ausländerpolitik“ ist undenkbar

„Ausländerpolitik“ – schon das Wort, das auch in dieser Zeitung immer häufiger „wertfrei“ benutzt wird, ist in Frankreich undenkbar. Wenn es um die Situation jener Menschen geht, die dort leben und ursprünglich aus einer anderen Weltgegend stammen, ist einfach von „Einwanderern“ die Rede. Unbekannt sind auch die absurden Kategorien der „ersten“, „zweiten“ und „dritten“ Einwanderungsgeneration. Und die Religion als weiteres Kriterium der „Andersartigkeit“ darf im laizistischen Frankreich offiziell gar nicht erfaßt werden.

Daß Frankreich ein Einwanderungsland ist, gehört zu den republikanischen Grundüberzeugungen. Neben der kolonialen Geschichte trägt dazu auch die Tatsache bei, daß jeder vierte citoyen zumindest ein „ausländisches“ Großelternteil hat. Ebenfalls zu den Grundüberzeugungen gehört es, daß Franzose ist, wer in Frankreich geboren ist – egal, welche Sprache seine Mutter spricht. Zu den Dutzenden von Gesetzen, die diese Essentials spiegeln, gehört auch das Recht auf die doppelte Staatsangehörigkeit, das, wenngleich vielfach reformiert, weiterhin Bestand hat.

Angesichts derart großer rechtlicher, ideologischer und politischer Unterschiede ist es nicht erstaunlich, daß das deutsche Blutrecht im Nachbarland auf Unverständnis stößt. Es gilt als Überbleibsel der Vorgeschichte. Die hitzige Debatte über seine Anpassung an die europäische Realität und über die Einführung einer doppelten Staatsangehörigkeit sorgt für gewaltige Irritationen. Aber Frankreich ist dennoch nicht das Paradies im Westen, das weder Fremdenhaß noch Antisemitismus kennt. Auch dort gibt es reichlich Populisten, die in jeder Krisensituation versuchen, diese Ressentiments für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Nicht nur die Millionen von nordafrikanischen und schwarzafrikanischen Immigranten und die jüdische Gemeinde des Landes – die größte Europas – werden immer wieder Opfer derartiger xenophober Stimmungsmacher.

Bloß ist es in Frankreich im Unterschied zu Deutschland klar, wer den Fremdenhaß schürt und zu welchem Zweck. Eine Kampagne, wie die CDU sie in Hessen geführt hat, trüge in Frankreich das Label „Front National“. Aber die Front National würde damit „nur“ 15 Prozent der Wählerstimmen bekommen. Denn ihre Überzeugungen gelten – jenseits des Rheins – als „rechtsextrem, rassistisch, kollaborationistisch und antirepublikanisch“. Dorothea Hahn