El Cóndor pasa

Bei der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Chile: Junge Leute aus Deutschland schreiben für die erzkonservativen Deutsch-Chilenen. Doch die Leserschaft stirbt aus  ■ Von Heike Spannagel

Oscar Schilling findet die Schlagzeile gelungen. „3:2 mit Verlängerung – Pinochet weiter unter Arrest in London“, das höre sich neutral an und von einem „Diktator“ sei diesmal auch nicht die Rede. Augusto Pinochet wird beim Cóndor, der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Chile, allenfalls mit Ex-General oder Senator auf Lebenszeit genannt – Diktator? Nein, so will man von einem solchen Mann nicht sprechen.

Zumindest Herausgeber Oscar Schilling will das nicht. Wenn er donnerstags bei der Redaktionskonferenz in Santiago mit am Tisch sitzt, gibt er das Chefredakteur Malte Sieber oft genug zu verstehen. Seit Pinochets Verhaftung muß sich der 36jährige Journalist aus Brandenburg einiges einfallen lassen, um seinem Vorgesetzten einerseits und seinem journalistischen Gewissen andererseits gerecht zu werden.

Mitten in Santiagos vornehmem Geschäftsviertel Providencia tagt in der Cóndor-Redaktion mittwochs das „Kreativ-Komitee“. Zwei Redakteure machen das Blatt und zwei Praktikanten, die regelmäßig neu mit dem Versprechen auf einen Zeitungsjob an der Sonne aus Deutschland geworben werden. Nur junge Leute aus Deutschland basteln also an der Schlagzeile. Pfiffig soll sie sein, aber bloß keinem Leser auf den Schlips treten. Hart an der Grenze ist das Bild der Londoner Pinochet-Klinik mit der Unterzeile „Der Herbst des Patriarchen“ – Eingeweihte erinnern sich an Gabriel Garcia Márquez' Roman über den Niedergang eines Diktators.

Allenfalls versteckte Kritik ist möglich

Die Cóndor-Macher können sich, wenn überhaupt, nur versteckte Kritik erlauben. Kommentare sind in der „chilenischen Wochenzeitung in deutscher Sprache“ erst gar nicht vorgesehen. „Wir verzichten freiwillig auf unfruchtbare Kontroversen zu Themen, die von ideologischen Grabenkämpfen geprägt sind“ – so drückt es Malte Sieber aus. Von seiner linksliberalen Vergangenheit als Gründer der ersten unabhängigen Studentenzeitung Unaufgefordert an der Ostberliner Humboldt-Uni scheint sich der Chefredakteur nur seine langen Haare bewahrt zu haben.

Irgendwie blieb Sieber beim Cóndor hängen, nachdem er seiner Freundin vor fünf Jahren nach Chile gefolgt war – eigentlich sollte es vorübergehend sein. Später starb die alte Chefredakteurin an Herzversagen, seitdem versucht sich die junge Mannschaft aus Deutschland mit Sieber an dem Blatt. Und der Chefredakteur muß fast täglich mit politischen Widersprüchlichkeiten wie im Fall Pinochet leben. Der Cóndor nähere sich der Gesellschaftskritik auf anderen Wegen, rechtfertigt er sich. Tatsache: Statt einer heiklen Reportage über die Colonia Dignidad – eine Einladung der berüchtigten Deutschensiedlung schlug der Cóndor aus – schreibt man über Umweltskandale und Diskriminierung der Ureinwohner.

Seit der Cóndor 1995 sein neues Layout verpaßt bekam und auch inhaltlich generalüberholt wurde, gibt er sich nach außen modern und professionell: Bunt und kurzweilig kommen die Neuigkeiten aus Chile und Deutschland jede Woche auf 16 Seiten daher. Malte Sieber spricht von einem „Spagat“. Auf der einen Seite seien die sogenannten „Retornados“, ehemalige Exilanten, die zum Ende der Pinochet-Ära wieder aus Deutschland zurückkehrten und die er gern als Leser gewinnen würde. Auf der anderen Seite aber stehen die erzkonservativen, Pinochet-treuen Deutsch-Chilenen, die traditionell die Leserschaft dominieren.

Der durchschnittliche Cóndor- Leser ist 63,2 Jahre alt, männlich und in Chile geboren. Das hat eine Leserumfrage von 1997 ergeben – eine Beschreibung, die auf Oscar Schilling wie angegossen paßt. Mit dem Cóndor ist der in den 30er Jahren im südchilenischen Osorno Geborene sozusagen verwachsen. Bevor er vor zwei Jahren in den Ruhestand ging, war er Geschäftsleiter der Firma Merck in Santiago. Heute hat er beim Cóndor das Ehrenamt des Herausgebers und schaut den Zeitungsmachern auf die Finger. Oscar Schilling ist ein älterer Herr der Sorte graue Eminenz: korrekt gekleidet, zuvorkommend im Gespräch und eisenhart, wenn er seinen Kopf durchsetzen will. Geht es wie neulich darum, einen Leserbrief gegen den Willen der Chefredaktion zu veröffentlichen, muß eben der Cóndor-Vorstand Druck machen.

Zwar hat dieses Männergremium faktisch kein Vetorecht, praktisch zieht es die Strippen im Hintergrund dennoch. Zum Vorstand gehören fünf Vertreter deutsch-chilenischer Institutionen. Den Ton gibt der erzkonservative Deutsch-Chilenische Bund (DCB) an, der den Cóndor 1938 gründete und bis 1988 als Mitteilungsblatt seiner Gemeinschaft nutzte.

„Keiner kauft das Blatt der Nachrichten wegen“

Bis heute hat der DCB die meisten Cóndor-Leser auf seiner Seite. „Die Zeitung kauft keiner wegen den Nachrichten“, weiß Oscar Schilling. Vielmehr lese man den Cóndor zur Erhaltung der deutschen Sprache, die ja das bindende Glied unter den rund 40.000 deutschstämmigen Chilenen sei.

Entsprechend groß ist das Leserpotential – theoretisch. In Wahrheit stagniert die Auflage gerade mal bei an die 2.200, was nicht zuletzt dem schlechten Ruf des Blattes bei Deutschen außerhalb der Gemeinschaft zu verdanken ist. Als „deutschsprachige Zeitung mit schwarzbrauner Tendenz“ bezeichnet ein deutscher Chile-Reiseführer den Cóndor – das ist übertrieben, zumindest was die 90er Jahre betrifft. Einst aber machte der Cóndor mit Geburtstagsgrüßen an Adolf Hitler auf, später begrüßte er Pinochets Putsch als „Ein neues Beginnen“. 1994 mußte der damalige Chefredakteur Jörg Schwarz seinen Hut nehmen. Er hatte sich erlaubt, über Themen wie Juden in Chile oder den Altnazi Erich Priebke zu berichten.

Erst letztes Jahr, zu seinem 60. Geburtstag, wagte sich der Cóndor vorsichtig an die dunklen Kapitel seiner Geschichte – um alsdann aber „ohne Scheuklappen“ in die Zukunft schauen zu wollen. Grund, optimistisch zu sein, haben die Cóndor-Macher allerdings nicht gerade. Zwar gehe zur Zeit die wirtschaftliche Rechnung noch auf, aber für die Zukunft sieht Herausgeber Schilling schwarz. „Der Cóndor-Leser stirbt aus“, sagt er. Seine Enkel würden nur noch mit der spanischen Sprache aufwachsen. Malte Sieber hingegen rechnet seinem Blatt eine Überlebenschance aus. Er will mit der deutschsprachigen Tradition brechen – künftig sollen einige Seiten des Cóndor auf spanisch erscheinen.