Katzenjammer an der rot-grünen Basis

■ Im rot-grünen Frankfurt-Bornheim schwankt die Stimmung nach der Wahl zwischen Frust, Ratlosigkeit und Schadenfreude. Die SPD gewinnt erstmals das Direktmandat – auf Kosten der Grünen

Frankfurt (taz) – Am Tatort in der Innenstadt bettelt nur noch ein weißes Zirkus-Pony um Futter. Der Unterschriftensammel-Container der CDU ist abgebaut, die Wahl der Schnee von gestern. Im genuin rot-grünen Frankfurter Stadtteil Bornheim herrscht dagegen am frühen Montag morgen Katerstimmung. Grün ist hier, im Wahlreis 38, von über 26 auf 22,9 Prozent gesunken.

Die Besitzerin des Wasserhäuschens Sardinia hat ihre italienische Beredsamkeit verloren. Sie schlägt nur die Hände über dem Kopf zusammen und sagt: „Oje, oje!“ Die ganze Nacht über habe sie nicht geschlafen und Schmerzen gehabt. Nein, nicht wegen der Wahl, sondern: „das Rheuma“. Naja, vielleicht doch auch wegen der Wahl. Im Memo, dem besten türkischen Gemüseladen weit und breit, ist die Verkäuferin ratlos: „Wer hat die denn bloß gewählt? Warum nur?“ Und gibt sich selbst die Antwort: „Das war wegen der doppelten Staatsbürgerschaft!“

Die SPD hätte vor Ort eigentlich Grund zur Freude. Sie hat sich in Bornheim weit über den Landesdurchschnitt hinaus um 4,5 auf 32,8 Prozent verbessert. Die Rechnung des SPD-Kandidaten Michael Paris ist, für ihn selbst überraschend, aufgegangen. Zum ersten Mal hat seine Partei der CDU das Direktmandat abgenommen. Noch am Samstag waren seine Wahlhelfer mit Lautsprecherwagen durch die Straßen gefahren und hatten um Leihstimmen der Grünen geworben. Daß diese so einbrechen würden, das hatte an der SPD-Basis niemand erwartet. Sie hatte eher hohe eigene Verluste befürchtet.

„Ins Knie gefickt“ und „selber schuld!“, sagt nun der Taxifahrer am Merianplatz zum sozialdemokratischen Machtverlust trotz des landesweiten Stimmenzuwachses. Er sieht die Ursachen der Niederlage der Wiesbadener Koalition in Bonn: „Wenn die SPD meint, sie kann ihren Partner so über den Tisch ziehen und blamieren, dann muß sie sich nicht wundern.“

Im Nordend, ebenfalls 38er- Wahlkreis, zieht Jochen Vielhauer Bilanz. Er war grüner Fraktionsvorsitzender in Hessens erster rot- grüner Koalition, ist aus der Partei ausgetreten und kann sich „ein bißchen Schadenfreude“ nicht ganz verkneifen. Er ist diesmal gar nicht zur Wahl gegangen und sieht sich nur „als eine Spitze des Eisbergs“: „So wie ich haben es diesmal sicher viele ehemalige Grünen-Wähler gemacht.“ Schuld daran, daß sie zu Hause geblieben sind, seien vor allem „die eigenen Klopse“ der Landes-Grünen: „Was unterscheidet die noch von anderen Parteien?“

Die U-Bahn am Main ist ein kommunikativer Ort. Mit ihr fahren auch die, die „die da“ gewählt haben. Veronika schützt sich mit echtem Pelz gegen den Wintereinbruch, Kerstin rückt ihr Hütchen zurecht. Beide gehören zu jenen 43 Prozent Erstwählerinnen, die die CDU gewählt haben. Sie sind Fans von Roland Koch und machen ihrer Freude lautstark Luft. „Ich hätte es nicht mehr ausgehalten, wenn das in Hessen wieder so weitergegangen wäre“, sagt Veronika. Warum? Schlamperei, Langeweile, Profillosigkeit und Vetternwirtschaft werfen sie den Ex- Regierungsparteien vor: „Da wird der Koch sicher noch einiges sagen. Der ist bekannt für seine deutlichen Worte.“

Kerstin mag vor allem die Grünen nicht: „Die könnte ich nie wählen!“ Warum? „Die sehen mies aus, bedienen sich selbst und blockieren die Wirtschaft.“ Die Unterschriftenkampagne wollen beide differenziert gesehen wissen: „Die, die unterschrieben haben, sind doch nicht gegen Ausländer und Integration.“ Eine zugestiegene Kommilitonin ist wortkarg anderer Meinung. „Ich konnte das Ruder auch nicht rumreißen“, sagt sie und geht ein paar Sitze weiter.

Die Rentnerin Inge B. und ihr Bruder im Wahlkreis 38, Ostend, sind an diesem Vormittag sauer. Sie hatten den Sekt schon kalt gestellt und nicht am rot-grünen Sieg gezweifelt. Die beiden gehören zu jenen Wechselwählern, die die enorme Stimmenwanderung von 72.000 von Grün zur Rot mit verursacht haben: „Das war wohl ein Fehler. Wir waren uns der Grünen zu sicher. Und der Koch ist doch so unsympathisch.“ Zu sicher waren sich auch jene jungen Leute, die am Wahltag ihre Runden in der benachbarten Eissporthalle drehten. „Leider“, sagt eine junge Frau, „wir hatten einfach vergessen, zur Wahl zu gehen.“ Heide Platen