Was kommt nach dem Wundenlecken?

■ Hessens Grüne brauchen nach dem „Wahldesaster“ vom Sonntag eine Rundumerneuerung. Der gesamte Landesvorstand tritt ab

Wiesbaden (taz) – „Der Landesvorstand muß sofort zurücktreten. Die Partei muß die Chance bekommen, sich zu erneuern.“ Harte Worte der Europaabgeordneten der Bündnisgrünen, Irene Soltwedel-Schäfer, an die Adresse ihrer ParteifreundInnen in Hessen nach dem „Wahldesaster“ vom Sonntag. Die Partei sei „zu Recht abgestraft“ worden, so Soltwedel-Schäfer weiter: „Umweltpolitik ist nur noch Atompolitik.“ Die noch amtierende Umweltministerin Priska Hinz habe „nur Sachverwaltung betrieben“, anstatt neue umweltpolitische Akzente zu setzen. Justizminister Rupert von Plottnitz habe bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts die Lage falsch eingeschätzt.

Auch der ehemalige Landesvorstandssprecher Raimer Hamann forderte seinen Nachfolger Tom Koenigs zum Rücktritt auf. Wunden lecken und dann weitermachen wie bisher – das dürfe die Partei nicht hinnehmen. Gerade die sogenannten Hyperrealos in Hessen hätten den Karren „tief in den Dreck gefahren“.

Nachmittags zog der Landesvorstand dann Konsequenzen. Er will sich am 20. März beim Landesparteitag nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Sprecher Tom Koenigs forderte als Folge der „bitteren Niederlage“ ein grundlegende programmatische Debatte.

Auch Fraktionschef Rupert von Plottnitz (58) mag nicht mehr. Jüngere Leute müßten jetzt ran – in Partei und Fraktion. Und Ministeranwärter im Jahre 2003 möchte er auch nicht mehr werden; nur einfaches MdL bleiben.

Brutal abgestraft worden sei die Partei für „hausgemachte Probleme“, sagte Hinz und meinte damit die Skandale und Skandälchen der vergangenen Legislaturperiode: Ein Viertel der Wähler verloren, abgegeben nach (fast) allen Seiten. In 19 Wahlkreisen vor allem in ländlichen Regionen blieben die Grünen unter 5 Prozent. „Eine Katastrophe“ (Hinz). Die „Meinungsführerschaft als moderne Partei“ bei den jüngeren Wählern und auch bei den Frauen sei verlorengegangen, klagt Hinz. Und warum? Ursachenforschung demnächst.

Von Plottnitz befürchtet, daß die Grünen zwischen den Ansprüchen ihrer Klientel zerrieben werden könnten: Den klassischen Wählern sei die Partei inzwischen nicht mehr radikal genug, den neuen Wählerschichten noch nicht hinreichend professionell. Ein Rückzug auf fundamentalistische Positionen komme aber einer „Selbstghettoisierung“ gleich. Die Partei müsse sich wieder „überall einmischen“ und auf die Meinungsführerschaft zurückerobern, sagt von Plottnitz.

Vielleicht ist das auf den harten Oppositionsbänken leichter zu bewerkstelligen, etwa beim Thema Flughafenausbau, als einzige Partei gegen den Bau einer neuen Landebahn. In einer einzigen Gemeinde in Hessen haben die Grünen mit über 22 Prozent nämlich einen überragenden Erfolg zu verbuchen: In Kelsterbach im Landkreis Groß-Gerau. Im Wald dort soll die Landebahn Nord für den Rhein-Main-Flughafen gebaut werden. Klaus-Peter Klingelschmitt