Hörhilfe
: Schlecht geschlumpft

■ Eine All-Star-Annäherung: 23 Krimiautoren lesen Friedrich Glauser

Vielleicht konnte er es schon immer. Vielleicht hat er es Anfang der zwanziger Jahre gelernt, als er sich in die Welt der Dadaisten stürzte und eigene, klingende Gedichte schrieb. Oder später in Bern, als er in die Musikerin und Tanzlehrerin Beatrice Gutekunst verliebt war. Vielleicht hat Friedrich Glauser das Hören aber auch während seiner zahlreichen Aufenthalte im Irrenhaus gelernt, wo er während des Drogenentzugs einsam in die Welt hinauslauschte.

„Es war still in der Zelle. Draußen tschilpten Spatzen. Im Hof unten sang ein kleines Mädchen mit dünner Stimme: ,O du liebs Engeli ...‘“, heißt es an einer Stelle in seinem Kriminalroman „Schlumpf Erwin Mord“, der in Gerzenstein spielt – dem „Dorf der Läden und Lautsprecher“. Die Story: Der Handelsreisende Wendelin Witschi ist im benachbarten Wald erschossen worden, Wachtmeister Studer soll den Mord aufklären, und Glauser läßt ihn erst einmal zuhören. „Das Dorf Gerzenstein liebt Musik ...“, stellt Studer fest.

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser liebte die Töne und Klangfarben der Sprache, die er meist ganz überraschend in seine Sätze hineinzauberte. Plötzlich redet Studer „in seinem schönsten Hochdeutsch“, um einem Vorgesetzten gegenüber seine ganze Verachtung auszudrücken, oder ein alter Mann gibt „Laute von sich, ähnlich denen eines Katers, der nicht weiß, ob er behaglich schnurren soll oder spuckend auf den Störenfried losfahren“. Man könnte meinen, daß so ein sprechendes Buch gut zum Vorlesen taugt.

Das haben sich wohl auch die Autoren vom „Syndikat“ gedacht. Der Verband der deutschsprachigen Krimischriftsteller hat Glauser ja bekanntlich als Ahnherren vereinnahmt und vergibt darum zum Beispiel regelmäßig den „Glauser“-Preis für den besten auf deutsch geschriebenen Krimi.

Weil Friedrich Glauser vor 60 Jahren, am 8. Dezember 1938, gestorben ist, haben jetzt 23 „Syndikats“-Mitglieder von Felix Huby über Ingrid Noll bis zu Frank Göhre jeder ein Kapitel aus dem „Schlumpf“ gelesen. Daraus sind sechs CDs geworden – mit einem dünnen Booklet als Beigabe, in dem allerdings mehr über die tollen Einfälle des „Syndikats“ und seine Autoren zu lesen ist als über Friedrich Glauser.

Das ist etwas peinlich, und die CD hat auch einige andere Schönheitsfehler. Zum Beispiel ist das Konzept einer All-Star- Band aus Schriftstellern, die Texte eines anderen Schriftstellers covern, irgendwie fragwürdig. Denn es kann ja nicht ein jeder Mensch gleich gut vorlesen: Ein grundsätzlich durchaus sympathischer S-Fehler geht einem beim Zuhören nach zehn, spätestens fünfzehn Minuten doch ziemlich auf die Nerven, und wie Vorleser aus dem norddeutschen Raum mit Glausers schöner Schwyzer-Schproch umgehen, ist auch nicht so toll.

Das größte Problem der Tribute-CD ist allerdings, daß Glausers „Schlumpf“-Roman einfach so, auf dem Papier, schon ein rechtes Hörbuch ist: Was da im Text maunzt und musiziert, das muß man nicht durch große oder kleine Vortragskunst zum Leben erwecken. Glauser, der Zuhörer, hat mit ganz feinem Pinsel Klangfarben in seine Sätze hineingetuscht: Gutgemeinte Extra-Betonungen und wohldosierte Kunstpausen halten diese Sätze nicht aus – sie fallen dann auseinander.

Glauser selbst, so berichtet ein Zeitgenosse, soll dagegen „mit einer liebevollen Eintönigkeit“ vorgelesen haben: Er „modulierte ganz wenig, einer gewinnenden Bescheidenheit, welche die Effekte der Aufmachung verpönte und nur die Substanz wirken lassen wollte“. Man kann es sich vorstellen. Beim Lesen. Kolja Mensing

Friedrich Glauser: „Schlumpf Erwin Mord“. Gelesen von 23 Krimiautoren. Kein & Aber, Zürich 1999, 6 CDs, 66 DM