Schläge in Hitlers Gesicht

Über sechzigtausend Zuschauer waren in das New Yorker Yankee- Stadion gekommen, um Zeuge zu sein, wie ihr jüdischer Boxstar Max Baer den Meister aus Nazideutschland Max Schmeling niederstrecken würde. Baer siegte auch tatsächlich durch technischen K.o. Aber ein Jude war er nicht  ■ Von Martin Krauß

Was denn der Führer dazu gesagt habe, daß ich gegen den Juden Max Baer boxen würde? Ob denn das nicht im Neuen Reich als sportliche Rassenschande verboten sei? Wir lachten nur.“ Die Herren, die der frühere Boxweltmeister Max Schmeling da in seinen „Erinnerungen“ fröhlich lachen läßt, waren einige Freunde aus New York. Es war kurz vor dem Kampf, den der Deutsche gegen den amerikanischen Schwergewichtler Max Baer am 8. Juni 1933 durch technischen K.o. verlieren sollte.

Nichts hat der Führer dazu gesagt. Und auch der Völkische Beobachter, die Tageszeitung der NSDAP, sprach nicht vom Juden Baer, sondern bloß vom „Deutschamerikaner“. Auch andere Blätter erwähnten nicht, daß der Mann, der den deutschen Boxmeister zu Boden gezwungen hatte, mit einer Hose in den Ring trat, auf die ein großer Davidstern gestickt war.

Dieser Maximilian Adalbert Baer wurde vor neunzig Jahren, am 11. Februar 1909 in Omaha, Nebraska, geboren. 1929 wurde er Profiboxer und schon ein Jahr später verschaffte er sich traurigen Respekt, als sein Gegner Frankie Campbell nach K.o. starb. Baer erhielt eine Sperre von einem Jahr, aber schon ein halbes Jahr später boxte er wieder. Er schlug damals große Gegner wie Ernie Schaaf, Johnny Risko oder King Levinsky, aber gute Kritiken erntete er dennoch nicht: „California Clown“ war einer der Spitznamen, den die Fachpresse ihm verpaßte, ein anderer lautete „Merry Madcap“.

1933 schlug er Max Schmeling, und 1934 wurde er gegen den italienischen Titelhalter Primo Carnera Schwergewichtsweltmeister. Ein Titel, den er jedoch schon ein Jahr später an Jim Braddock wieder verlor.

Nebenher arbeitete Baer als Filmschauspieler: Seinen berühmtesten Auftritt hatte er 1956 an der Seite von Humphrey Bogart in „The Harder They Fall“. Doch seine Filmkarriere dauerte nicht lange. Schon drei Jahre später, am 21. November 1959, starb der Boxer mit dem Judenstern im Alter von fünfzig Jahren, an den Folgen eines Herzinfarkts.

Nach seinem Tode wurde immer klarer, daß Max Baer gar kein Jude war: Sein Vater stammte aus Irland, die Mutter aus Schottland. Beide waren Katholiken. Baer selbst sprach einmal in einem Interview, dessen Authentizität schwer zu ermitteln ist, lediglich davon, daß sein Vater und seine Großmutter jüdisch gewesen seien. Nach jüdischem Recht war Max Baer also kein Jude. „Er gab sich nur als Jude aus“, erzählt Maxie Shapiro, „er wollte ein Jude sein. Ich weiß nicht, warum.“

Shapiro selbst war einer der guten jüdischen Boxer in den Vereinigten Staaten der zwanziger und dreißiger Jahre. Andere bekannte Namen sind Benny Leonard, der Leichtgewichtsweltmeister von 1917 bis 1923; Barnie Ross, der gleich in drei Gewichtsklassen Weltmeister war; oder Maxie Rosenbloom, der 1933 den Bonner Adolf Heuser geschlagen hatte – ein Kampf, der nie die gleiche Bedeutung erhielt wie Baer-Schmeling.

„Es gab eben nicht allzu viele jüdische Kämpfer im Schwergewicht“, erinnert sich der frühere Profimanager Leo Bodner, „die meisten Juden waren Halbschwer- und Mittelgewichtler, es gab auch viele Leicht- und Federgewichtler, aber jüdische Schwergewichtler, die gab es kaum. Außer Baer, aber der war kein Jude.“

Nat Fleischer, Herausgeber des Fachblattes The Ring, schreibt, seines Wissens sei ein Großvater von Baer Jude gewesen. Und der Historiker Peter Levine, der in dem Buch „Ellis Island to Ebbets Field“ die Bedeutung des Sports für Juden in den USA erforschte, vermutet, Baers Attitüde sei „einfach ein cleverer Trick gewesen, um seinen Wert als boxerische Attraktion zu steigern“.

Ob das wirklich Baers wichtigste Motivation war, ist umstritten. Aber wenn er mit seinem Davidstern in den Ring stieg, wurde er von den Zuschauern natürlich für einen Juden gehalten. Entsprechend symbolisch aufgeladen war der Kampf am 8. Juni 1933 im New Yorker Yankee-Stadion zwischen Max Baer und Max Schmeling. Sechzigtausend Zuschauer waren gekommen, um den Kampf des Juden gegen den Vertreter Nazideutschlands zu erleben.

Es war Schmelings letzte Chance, noch einmal einen WM-Kampf zu bestreiten, nachdem sich Jack Sharkey 1932 den Titel zurückgeholt hatte, den Schmeling 1930 in einem Ausscheidungskampf gegen Sharkey gewonnen hatte. Und es war Schmelings erster Kampf seit der Machtübernahme der Nazis.

Der Völkische Beobachter versuchte, eine solche Bedeutung nicht aufkommen zu lassen. Seine Kampfvorberichte verwendeten zwar antisemitsche Stereotype, aber die Information, daß Baer ein jüdisches Image hatte, fehlte. „Max Baer verfiel, als er sich der Presse im Training zeigte, auf einen ziemlich plumpen Trick. Er verfuhr mit seinen Sparringspartnern besonders höflich und bemühte sich, eine möglichst schlechte Figur zu machen, einerseits um die Wetter aufs Glatteis zu führen und Schmeling andererseits zur Vernachlässigung der Deckung im Kampf zu verleiten. Natürlich wird er bei einem so erfahrenen Boxer wie Schmeling mit solchen Tricks keine Erfolge erzielen können“, schrieb das Naziblatt im Vorfeld des Kampfs.

Die Symbolik, die dem Kampf in der ganzen Welt beigemessen wurde, fehlte in der deutschen Presse. Erst recht natürlich nach Schmelings Niederlage. Da wehte zwar „die Flagge des deutschen Sports auf Halbmast“ (Vossische Zeitung), und es wurde vermutet, daß Schmelings Karriere vorbei sei, doch selbst der Kampfabbruch, den Ringrichter Arthur Donovan in der zehnten Runde anordnete, wurde nicht zur Machenschaft umgedeutet. Im Völkischen Beobachter hieß es sachlich, Donovan habe „klar erkannt, daß Schmeling verteidigungsunfähig ist und bricht den Kampf ab“.

Verwundert über diese erstaunlich unvölkische Sportbetrachtung des Naziblattes war auch die in Berlin erscheinende Jüdische Rundschau: „Wir denken nicht, einen Boxer zu einer repräsentativen Figur des Judentums zu stempeln; aber eigentümlich ist es doch, daß der Völkische Beobachter vom 10. Juni in seinem Sportbericht über den Boxkampf Baer- Schmeling erklärt, Schmeling sei in New York von dem ,Deutsch-Amerikaner Max Baer' besiegt worden.“

Nach Schmelings Niederlage wurde Baer Weltmeister, und Schmelings Management bemühte sich um einen Revanchekampf in Deutschland. „Jeder Punch, den ich Schmeling ins Gesicht haue, ist einer in das Gesicht von Adolf Hitler“, antwortete Baer auf Kritik, die in den USA an seinem Plan laut wurde, im Deutschland des Jahres 1935 mit dem Davidstern auf den Hosen in den Ring zu steigen und seinen Weltmeistertitel zu verteidigen.

Die Initiative zum zweiten Schmeling- Baer-Kampf ging von Walter Rothenburg aus, einem deutschen Promoter, der schon den Kampf zwischen Schmeling und dem Amerikaner Steve Hamas am 10. März 1935 in Hamburg organisiert hatte, für den er extra die Hanseatenhalle errichten ließ. Für einen Baer-Kampf wollte er wieder eine neue Arena bauen, und die geforderte Gage von 300.000 Dollar wollte er auch aufbringen. Denn, so heißt es in einem Erinnerungsbuch Rothenburgs, „hier ging es darum, die Weltmeisterschaft nach Deutschland zu bringen! Der neue Weltmeister war dann an mich gebunden. Der nächste Herausforderer genauso. So wären die Weltmeisterschaften in Deutschland geblieben, wie sie jetzt jahrzehntelang in Amerika waren.“

Als erster Veranstaltungsort wurde dann allerdings zunächst ein niederländisches Dorf nahe Amsterdam gefunden. Alle Verträge waren unterzeichnet, nur Max Baer mußte noch seinen Titel bei einem Pflichtkampf in Long Island City verteidigen. Baer verlor gegen Jim Braddock und mußte seinen Weltmeistergürtel wieder abgeben. Damit war der Plan, daß Deutschland die USA als Boxhochburg ablösen sollte, zunichte gemacht.

Auf deutsche Initiative hin vergab zwar der europäische Verband International Boxing Union (IBU) ab 1935 seine eigenen Weltmeistertitel und verhalf so Adolf Heuser 1938 dazu, nach Schmeling zweiter deutscher Boxweltmeister zu werden, aber schon damals nahm davon niemand so recht Notiz, und die IBU entzog dem Titel wieder die Anerkennung.

Promoter Walter Rothenburg wollte den geschlagenen Baer noch als Ex- Weltmeister nach Deutschland holen. Er bot nunmehr eine Hunderttausenddollargage und nach den Informationen Rothenburgs war Baer immer noch zu diesem Kampf bereit, allein eine Verletzung habe ihn daran gehindert. Daß diese Information richtig ist, muß bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, daß Baer sich in aller Ruhe nach der Juni-Niederlage gegen Braddock auf einen Kampf gegen Joe Louis vorbereitete, der im September 1935 stattfand und den er durch K.o. in der vierten Runde verlor.

Die Nazis wollten zwar Baer in Deutschland boxen sehen, nahmen aber die ideologische Herausforderung durch den auf die Hose gestickten Davidstern nicht an. Ironischerweise verhinderte die Niederlage des Boxers mit dem Davidstern, daß die Nazis sich auch im Boxsport als Hegemonialmacht aufspielen konnten.

Für viele junge Juden in Deutschland und in den USA war Baer eine Identifikationsfigur. Die Zeitschrift American Hebrew schrieb damals, Baers Sieg sei „ein großer Witz auf Kosten von ,Herrn Hitler'“, dessen Nazitheorie von arischer Überlegenheit einfach lächerlich gemacht worden sei. Noch in einem Buch, das 1998 über hundert Jahre jüdischen Sport erschien, steht, daß der Jude Baer mit seinem Sieg über Schmeling „einen Ausgleich für die alltäglichen Demütigungen“ der Juden geschaffen hatte.

Und Buddy Robert S. Silverman, ein Amerikaner, der in dem Buch „The Jewish Athletes Hall of Fame“ (1989) seine private Liste der besten jüdischen Athleten aller Zeiten aufgestellt hat, nahm Max Baer aufgenommen, obwohl er wußte, daß Baer kein Jude war. Er hat ihn aber lediglich auf Platz 43 seine privaten Rangfolge gesetzt: „Wäre Baer nachweislich ein Jude, wäre er besser plaziert worden.“

Was Max Baer dazu bewog, sich als Jude auszugeben, ist nicht mehr zu ermitteln. Sein Sohn, der in Reno ein Casino besitzt, will sich dazu nicht äußern. Der Soziologe Jeffrey T. Sammons, der in „Beyond the Ring“ die Bedeutung des Boxens für die amerikanische Gesellschaft untersucht hat, glaubt: „Obwohl Baer für seine Clownereien bekannt war, waren seine Attacken gegen die Nazis seriöser, als die Presse mehrheitlich annahm.“

Vielleicht war Baers behauptetes Judentum nur ein PR-Gag, vielleicht politisches Kalkül, vielleicht ernsthafte Identifikation. Sicher scheint nur, daß er kein Jude gewesen ist. Denn von seinem Manager ist der Satz überliefert: „Ich habe ihn unter der Dusche gesehen: Er ist ganz sicher kein Jude.“ Wenn das der Schmeling wüßte.

Martin Krauß, 34, lebt als freier Sportjournalist in Berlin und schreibt derzeit an einer Geschichte des deutschen Profiboxens