■ Der CDU-Fraktionschef in NRW macht den Weg frei
: Der Umbau der Union beginnt unten

Während die Bundespartei in Erstarrung verharrt, kommt auf Landesebene langsam Bewegung in die CDU. Die Garde, die unter Helmut Kohl weitgehend im Schatten und in ministerieller Abhängigkeit blieb, tritt nun hervor. Volker Rühe, ein strategischer Kopf, soll in Schleswig-Holstein als Spitzenkandidat gegen Rot-Grün antreten. Am Wochenende eroberte nun Jürgen Rüttgers in einer Kampfkandidatur den Vorsitz in der nordrhein-westfälischen CDU. Sein Gegenspieler Helmut Linssen zog gestern die Konsequenzen aus seiner Niederlage und legte den Fraktionsvorsitz nieder. Das ist konsequent. Linssen und Rüttgers waren seit langem in zentralen gesellschaftpolitischen Punkten auseinander, auch wenn öffentlich das Gegenteil beteuert wird.

Rüttgers suchte schon seit längerem nach Antworten auf die herannahende Krise der großen Volkspartei. Als vor rund eineinhalb Jahren ein der Partei nahestehender Verein christdemokratischer Deutscher und Türken gegründet wurde, war der damalige Forschungsminister an der Seite des damaligen Landesvorsitzenden Norbert Blüm mit dabei. Linssen hingegen verweigerte, sehr zum Ärger der Parteispitze, seine Unterstützung. Anders als der Fraktionschef hatte Rüttgers erkannt, daß unter den rund 750.000 Türken (die rund ein Viertel aller Ausländer in NRW stellen) ein Zukunftspotential liegt, das – gerade unter den Bedingungen eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts – für eine bürgerliche Partei zu gewinnen ist.

Mit Rüttgers, der im öffentlichen Auftreten blaß wirkt und daher von vielen unterschätzt wird, beginnt in der CDU der langsame Umbau unter den politischen Gegebenheiten der Post-Kohl-Ära. Noch ist nicht auszumachen, welche Linie sich am Ende in der Union durchsetzen wird. Ist es Roland Koch aus Hessen, der die aus Bayern initiierte Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft der neuen Bundesregierung am vehementesten unterstützt? Oder werden es Rühe und nicht zuletzt Rüttgers sein, der den Text der Kampagne abmilderte? Der neue NRW-Landeschef war es, der mit dafür sorgte, daß die Delegierten eines Landesparteitags erstmals einen Türken mit deutschem Paß in einen CDU-Vorstand wählten. Und während Koch in Hessen auf den Straßen Unterschriften sammelte, präsentierte Rüttgers in der vergangenen Woche eine Gruppe eingebürgerter Ausländer, die in die CDU eingetreten waren. Symbolismus? Gewiß. Aber gerade an solchen scheinbaren Kleinigkeiten zeigt sich, wohin die Reise gehen soll. Severin Weiland