Bin ich schön?

Bei den Pariser Männermodenschauen für den Winter 1999/2000 trug der Mann Rock und zeigte viel Haut. Aber was wird aus dem Anzug? Und was bleibt den Frauen?  ■ Von Anja Seeliger

Das Jahrhundert endet mit einer Revolution. Männer beherrschen die Welt wie eh und je. Jetzt werden sie auch noch schön. Ach was, das ist eine schamlose Untertreibung! Sie bekommen Witz, Phantasie, Sex und Chic.

Und dies, meine Herren, ohne jede Einschränkung in Sachen praktischer, bequemer Kleidung. Es gab bei diesen Schauen in Paris kein einziges Kleidungsstück, in dem ein Mann sich nicht problemlos hinsetzen könnte; es gab absolut kein Äquivalent zu Korsetts, Stilettos oder durchsichtigen Kleidern. Die Übernahme von Sportswear-Elementen in die Tagesmode, die schon bei den Schauen im Juli stark an weiblichen Putz erinnerten, hat sich zu einer subtilen Übernahme weiblicher Strategien entwickelt.

Zum Beispiel ein Anzug von Dries van Noten. Eine grünlich braune Hose ist weder besonders eng noch besonders voluminös. Sie ist schlicht von bequemer Weite. Die schwarze Jacke idealisiert die männliche Figur so diskret, daß es kaum auffällt. Sie ist leicht tailliert und hat mäßig gepolsterte Schultern. Statt den Körper zu modellieren, scheint sie ihm nur sanft zu folgen. Darunter ein sandfarbenes Hemd. Die aus der Sportswear übernommenen Tunnelgürtel, eingentlich nur lose baumelnde Schnüre, die er im Juli an Hosen und Jacken gezeigt hatte, sind jetzt zu ihrem eigentlichen Ursprung zurückgekehrt.

Es sind Bänder. Früher nannte man das? Galants. Van Noten hat sie in kräftigen klaren Farben wie Rot, Blau oder Gold an Jackenärmel oder Revers geheftet. Sie halten nichts mehr, sie sind eindeutig nur Zierde. Außer den Bändern gab es an Putz große Sicherheitsnadeln, die wie Broschen angesteckt waren, Hüte – eine Mischung aus Kapotthut und jenem kecken kleinen Ding, das Gene Hackman in „French Connection“ trug. Statt Pullovern zeigte van Noten fast nur ärmellose, enganliegende Strickpollunder. Die nackten Arme waren bis zum Ellbogen mit fingerlosen gestrickten Handschuhen bedeckt.

Nackte Arme konnte man bei vielen Designern sehen, unter anderem bei Paul & Joe und bei Masaki Matsushima. Nackte Haut gab es auch bei der Abendmode. Daniel Faret zeigte Smokings, die ohne Hemd getragen wurden. Am schönsten ein cremefarbener Smoking aus Cord mit Satinkragen. Was völlig fehlte war das verschwitzte Unterhemd des Proletariers. Die männlichen Models bei diesen Schauen hatten in der Regel keine Muskeln. Es waren meistens Jungs mit einer zarten unbehaarten Brust und schönen glatten Armen.

Bänder, Hüte, Satinkragen oder farbige Samtkragen: Es gab erstaunlich viel Putz oder andere interessante Details. Masushima hatte Mäntel, bei denen Kragen und Revers mindestens vier Zentimeter dick gepolstert waren, andere Mäntel hatten Schründe im Stoff, als wäre jemand fest mit dem Fingernagel darüber gefahren.

Und dann erst die Röcke.

Rei Kawakubo schickte ihr erstes Model für Comme des Garçons in einer blauen Hose los, deren Schritt kurz über den Knöcheln hing. Dazu trug der junge Mann einen kurzen blauen Blouson mit weißen Ziernähten. Über die kurzen Haare war ein elegantes Kopftuch im Hermèsstil geschlungen, das damenhaft unter dem Kinn zusammengebunden war.

Es folgte ein cremefarbener Samtanzug, über den ein goldener Faltenrock getragen wurde. Oder wie wär's mit einem weißen Faltenrock aus Plastik oder einem blaugrün karierten aus einer Art Seide? Dazu trugen die Models große goldene Broschen, die vage an Ordenssterne erinnerten oder funkelnde Diademe.

Es gab noch mehr: Anzüge aus gekochter, verfilzter Wolle – das einzige überzeugende Äquivalent zu vom Butler eingetragenen Jacken – waren mit großen pistaziengrünen oder mohnroten Blumengirlanden verziert, die um den Hals geschlungen waren. Ein flaschengrüner Pullover hatte von der Kehle bis zum Bauchnabel eine Wollrüsche wie ein Smokinghemd. Die Models amüsierten sich, das Publikum amüsierte sich, das Leben war wunderbar.

Und Kawakubo war nicht allein mit dem Männerrock. Yamamoto hatte fünf Musikkapellen aus Osteuropa und Spanien eingeladen. Wir sahen verlegen lächelnde kleine Männer in langen weiten Faltenkleidern. Ein Tubaspieler mit mächtigem Bauch trug ein schwarzes Strickkostüm: langer Rock und eine Jacke, die an den Rändern mit breiten Goldborten verziert waren.

Vivienne Westwood und Jean- Paul Gaultier, seit Jahren unermüdliche Verfechter des Rocks für den Mann, hatten in Mailand ihre Versionen des neuen Kostüms vorgestellt: Gaultier zeigte Faltenröcke mit glitzernden Paillettenpullovern, Motorradstiefeln und Schirmmütze. Wenn es sehr kalt wird, favorisiert er allerdings eine Bärenfellmütze. Fast wie Röcke sahen seine Hosen aus, die so weit waren, daß sie an Tangohosen erinnerten. Westwood zeigte klassische handgearbeitete Kilts mit engen Polohemden oder mit verwegenen, asymetrisch geschnittenen Jacken.

Ihr Therma war diesmal die Mongolei. Also schmückte sie die männliche Brust am Abend nicht mit einem weißen Hemd, sondern mit einem silbernen Kleid, das aussah wie ein Kettenhemd und hinten wie eine Schürze gebunden wurde. Schultern und Rücken blieben nackt.

Wenn der Mann Rock trägt, was wird dann aus dem Anzug? Den übernehmen die Jungs.

Raf Simons' Models trugen bei ihrem Einzug in den Saal große schwarze Fahnen, auf denen dramatische Slogans wie „Teenage Riot“ und „Isolation“ geschrieben stand. In Schwarz, so daß man es kaum lesen konnte. Egal, Hauptsache, es sieht gut aus. Simons macht wunderbar schmal geschnittene Anzüge für Jungs. Seine Models sahen aus wie Eliteschüler aus Eton, mit kurzen, gescheitelten, naß gekämmten Haaren, weißen Hemden und tadellos sitzenden schwarzen Anzügen.

Ein 40jähriger im Anzug paßt ins System. Es ist normal. Ein 16jähriger, der einen Anzug trägt, als wäre er darin geboren, ist beängstigend. Simons illustrierte diese Angst perfekt, als er seine Models alle auf einmal in schwarzen Hosen und schwarzen Capes nach draußen schickte. Wie unheimliche schwarze Vögel standen sie da. Geborene Opfer oder geborene Mörder? Aber nicht einmal diese spektakuläre Inszenierung konnte davon ablenken, daß jedes Cape anders geschnitten war: eins mit Kapuze, eins mit hohem Kragen oder einer Art Schal, einige ohne Armlöcher, andere mit weiten Ärmeln, die so lang wie der Mantel waren.

In Sachen Anzug hat Simons nur einen ernsthaften Konkurrenten: Hedi Slimane, 29, der seit zwei Jahren die Männerkollektion für Yves Saint-Laurent entwirft. Slimane hat dasselbe Ideal wie Simons: den Schüler. Aber wo Simons einen Rückzieher macht, indem er ganz altmodisch Jugend mit Angst verbindet, nützt Slimane die Überlegenheit der Jungen hemmungslos aus. Seine Models sehen so perfekt aus wie Androide. Sie sind sehr schlank, und die strengen, aber sehr schmalen Anzüge unterstreichen die Biegsamkeit des Körpers, die nur Frauen und ganz junge Männer haben. Die Hemden sind weit aufgeknöpft oder gewickelt.

Ein Overall, aus grauem Flanell, der so offiziell wie ein Anzug geschnitten ist, hat um die Mitte eine Naht, die die Taille markiert. Slimane wagt es sogar, die Hüften darunter ein klein wenig rund zu schneidern. Vorn ist der Overall bis zur Taille geöffnet. Ein Model trägt zu einer schmalen schwarzen Lederhose ein dünnes schwarzes T-Shirt, mit einem wie ein Wasserfall drapiertem Ausschnitt, der die halbe Brust entblößt läßt. Diese Jungs präsentieren ihre zarte nackte Brust so ungerührt, als wäre sie unverletzbar.

Können Frauen so perfekt aussehen?

„Hundert Jahre lang war die Männermode langweilig. Wir sollten das mit Würde beenden“, erklärte Gaultier im französischen Fernsehen. Haben ihm alle zugehört? Modisch gesehen endet dieses Jahrhundert sehr seltsam. Die Frauen haben sich emanzipiert. Aber wie äußert sich das in der Kleidung?

In den letzten Jahren jagte ein Coup den anderen: immer nackter, immer unpraktischer und als das nicht mehr ging: bieder. Bei den Schauen für die Frauenmode sah man zuletzt Streublümchenmuster, lange Röcke mit Volants und bestickte Bauernblusen. Der Versuch, ein Äquivalent zum Männeranzug zu schaffen, ist komplett gescheitert. Das durchsichtige Kleid ist es nicht, und der wadenlange Volantrock ist es ganz sicher auch nicht. Die Frauenmode ist, was Erneuerung angeht, mausetot. Und die Männer? „Die Frau ist die Zukunft des Mannes“, hat Malraux gesagt. Aber wenn die Männer immer weiblicher werden – was bleibt dann den Frauen?

Vielleicht der Anzug?