■ Rettet Herrn Faas, den „geborenen Pünktlichkeits- und Informationsmanager“
: Ersetzt durch einen lächerlichen Automaten

Nehren (taz) – Der Bahnhof des Fleckens Nehren droben im Schwäbischen ist kaum größer als der von Lummerland. Einmal stündlich kommt der Zug aus Aulendorf, rattert bis Tübingen und schnurrt tapfer wieder zurück. Im winzigen, altertümlichen Schalterhäuschen sieht man einen freundlichen bebrillten Mann seinem Tagwerk nachgehen, wie er berät und erklärt durch sein winzig Fensterle. Fahrkarten druckt er nicht etwa aus, sondern schreibt sie per Hand mit leicht zittriger Schrift.

So war das 22 Jahre lang. Doch seit Neujahr ist das Schalter-häusle verwaist. Wolfgang Faas, der Schaltermann, wurde ersetzt durch einen lächerlichen Automaten. Seitdem ist Nehren nicht mehr Nehren. Ein Dorf begehrt auf.

Die Gründe für die fristlose Kündigung durch die Bahn-Mächtigen liegen im dunkeln. Eine Kundin soll sich über ihn beschwert haben. Eine einzelne! Ein bissle gestänkert soll er haben, der Faas, wie es so Art ist. Die Bahn mauert – zu persönlich, heißt es, nicht für die Öffentlichkeit.

War Faas zu gut? Zu engagiert? Wahre Wunderdinge erzählt man sich im ganzen Steinlachtal von ihm. Wie der 55jährige mit Spürsinn, Akribie und Kursbuch jede noch so kuriose Verbindung herausfand, mit der Machete den Tarifdschungel durchteilte und trickreich alle Sparmöglichkeiten aufstöberte. Daß er selbstverständlich Hausbesuche machte in komplizierten Fällen. Daß er bestellte Tickets persönlich per Fahrrad den Kunden vorbeibrachte. Acht Schulen der Umgebung konzipierten alle Klassenfahrten bis weit ins Ausland nur bei Faas. Und nicht selten wußte das charmant-knurzige Fossil bessere Verbindungen auszugraben als die beamteten Kollegen mit ihren Computern im Tübinger Hauptbahnhof.

Nun ist Faas kein Bahnangestellter, sondern Kleinunternehmer. 1976 kaufte er das Nehrener Bahnhofsgebäude, Bahnsteige inklusive, als Wohnstatt für seine Familie. Die Bundesbahn gab Faas eine Lizenz als freie DB-Verkaufsagentur. Später übernahm die private Hohenzollernbahn die Strecke (erfolgreich übrigens).

„Eigentlich“, sagt etwa Katrin Lauhoff, ist Faas „ein geborener Pünktlichkeits- und Informationsmanager“, jenes Kunstprodukt, von dem die Bahn derzeit so viel rede. Lauhoff (33), sonst in der Alternativen Liste der Gegend engagiert, ist zur Frontfrau einer Bürgerinitiative geworden, die den hinterhältigen Putsch rückgängig machen will. Und die Rebellion ist gut angelaufen: Jeden Tag berichtet die Lokalpresse. Faas ist Topthema der Gemeinderatssitzung, der Bürgermeister intervenierte bei der Frankfurter Konzernleitung. Solidaritätslisten kursieren, selbst notorische Autofahrer unterschreiben, und die gute Frau Zürn im Schreibwarenladen zürnt: „Bei mir geht koiner raus ohne Unterschrift.“

Das Quenstedt-Gymnasium in Mössingen wies die Bahnoberen jetzt darauf hin, „daß wir für Herrn Faas in unserem Sekretariat sogar ein eigenes Postfach eingerichtet haben“, was den Wert seiner Arbeit „für uns verdeutlichen“ möge. 1997 machte allein diese Schule bei Faas mit der Aktion „Bahnbrechend Bahnfahren“ 26.000 Mark Umsatz. Seine Schüler planen Demos, Schulleitungen drohen schriftlich mit komplettem Schienenboykott: Demnächst gehe es dann halt in die Busse.

Justizministerin Herta Däubler- Gmelin aus dem Nachbarort Dußlingen hat versprochen, sich für Faas persönlich einzusetzen. Der Grüne Ali Schmidt, im Bundestag wie auch im Bahn-Aufsichtsrat, hat an die Stuttgarter Bahnchefs einen Brief geschrieben, die Kündigung sei „für die Gemeinde völlig kontraproduktiv“ und daher zurückzunehmen.

Wolfgang Faas sagt nicht viel. Er handelt. Die Grenzen seines Grundstücks hat er jetzt mit weißer Farbe markiert und angekündigt, seine Eigentum demnächst einzuzäunen. Der Zaun würde bis an die Gleise gehen – Zugverkehr wäre zwar noch möglich, aber kein Ein- und Aussteigen mehr. Es sei denn, Faas führte private Bahnsteigkarten ein. Während sich die Orts- CDU mit dem Vorschlag eines Notbahnsteigs unbeliebt machte, ist am neuen Fahrkartenautomaten jetzt ein Grobreim-Graffito entstanden: „Steckt Euch den Automat in den Arsch, wir wollen Faas.“

Und kein Schwab hat das bislang weggeputzt! Bernd Müllender