Schadenersatz für Zwangssterilisierte

Schwedens Regierung will die Tausende von Menschen entschädigen, die zwischen 1935 und 1975 gegen ihren Willen sterilisiert worden waren. Die Summen für die Opfer aber sind lächerlich gering  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Zwei Jahre nachdem Presseberichte in Schweden aufgedeckt hatten, daß zwischen 1935 und 1975 rund 63.000 Menschen zwangssterilisiert worden waren, hat sich Schwedens Regierung jetzt zur Zahlung von Schadenersatz bereit erklärt. Die Menschen, 95 Prozent davon Frauen, waren auf Beschluß staatlicher Behörden unfruchtbar gemacht worden, ein Großteil davon gegen ihren Willen, manche gar ohne ihr Wissen. Zigeuner oder „rassisch gemischt“ zu sein reichte aus, um eine Nachkommenschaft als „unerwünscht für die Gesellschaft“ begründen zu können. Viele junge Mädchen wurden nur deshalb sterilisiert, weil Verwandte oder Behörden meinten, sie führten einen „unmoralischen Lebenswandel“.

Handhabe für die Zwangsmaßnahmen gaben zwei Sterilisierungsgesetze aus den Jahren 1934 und 1941, die vom „rassenhygienischen“ Geist dieser Zeit geprägt waren, die aber noch in weitem Umfang in den fünfziger Jahren und vereinzelt sogar bis in die siebziger Jahre Anwendung fanden.

Jetzt will die Regierung in Stockholm einen Schlußstrich ziehen. Eine von ihr eingesetzte Kommission schlug in dieser Woche vor, daß alle Zwangssterilisierten Schadenersatz erhalten sollen. Damit würde der Staat gleichzeitig eingestehen, daß diesen Menschen unrecht geschehen ist – wenngleich auf gesetzlicher Grundlage. Eine formelle gesetzliche Regelung, die diese Gesetze nachträglich als verfassungswidriges Unrecht brandmarkt, wird es aber nicht geben. Betroffenen wird vielmehr anheimgestellt, hier möglicherweise den Europäischen Gerichtshof unter Bezug auf die Menschenrechtskonvention anzurufen, um so eventuell eine nachträgliche Verurteilung des schwedischen Staats zu erreichen.

Nicht nur diese Halbherzigkeit, auch die Höhe des Schadenersatzes, knapp 40.000 Mark, lösten in der Öffentlichkeit Kritik aus. Auch die Kommission bestreitet nicht, daß die jetzt vorgeschlagene Entschädigungssumme mehr symbolischen Charakter hat: Man könne den geschehenen Eingriff sowieso nicht mit Geld aufwiegen, die Tatsache eines weithin zerstörten Leben könne auch durch einen höheren Betrag nicht wiedergutgemacht werden. Daß man trotzdem glaubt, bei dem ansetzen zu können, was das Opfer eines Verkehrsunfalls als Entschädigung bei Invalidität bekommt, kritisiert beispielsweise die Tageszeitung Dagens Nyheter: „Es ist eine Sache, von einem anderen Menschen verletzt zu werden, eine andere, vom Staat als minderwertig gebrandmarkt zu werden.“

Ein weiterer Kritikpunkt gilt der Tatsache, daß alle, die einen Anspruch stellen, beweisen müssen, auch tatsächlich zwangsweise und nicht freiwillig sterilisiert worden zu sein. Weithin üblich war nämlich die Erpressung der betroffenen Frauen und Mädchen mit Entzug staatlicher Leistungen, wenn sie nicht eine „Einwilligungserklärung“ zu einer Sterilisation unterschrieben. Zwar soll die Frage des „Zwangs“ recht großzügig gehandhabt werden. Die Kommission geht davon aus, daß in rund 80 Prozent aller bislang bekannten Fälle sofort Schadenersatz geleistet werden könnte. Kritische Stimmen verweisen aber darauf, daß viele der Betroffenen, die – soweit überhaupt noch am Leben – heute zwischen 60 und 90 Jahre alt sind, von vornherein durch diesen Prüfmechanismus abgeschreckt werden könnten. Auch sei bekannt, daß eine Unzahl von Frauen aus Scham über das Geschehene nie über die Zwangssterilisation gesprochen habe und aus dem gleichen Grunde auch jetzt darauf verzichten könne, Schadenersatz zu verlangen.

„Es ist gut so“, sagt hingegen Maria Nordin, die als 17jähriges Mädchen sterilisiert wurde. „Ich bin jetzt zufrieden. Aber dem Arzt und den Behörden, die verantwortlich waren, werde ich nie vergeben.“ Wegen einer Sehschwäche war sie als „zurückgeblieben“ eingestuft worden. „Der Arzt sagte: Du bist nicht klar im Kopf, du kannst nie Kinder haben.“ Das reichte, um sie unfruchtbar zu machen.