„Ich bin ein Werkzeug Gottes“

■ Jon Crosby, der Frontmann von Bostons Rocktheatralikern VAST, über den allmächtigen Co-Piloten der Jugend und der Schwermut

Alles, was junge Menschen zum Leben brauchen, gibt es in Boston an der Massachusetts Avenue. Neben den vielen Plattenläden darf natürlich der „Thrift Store“ der Heilsarmee, in dem man sich für maximal zehn Dollar komplett als Grunger einkleiden kann, nicht fehlen. Aber es gibt Fragen, die weder das M.I.T. noch der linientreue „Revolutionary Book-store“ beantworten können: War Jesus wirklich Gottes Sohn? Und wo tun die Kids von heute eigentlich ihren Frust hin? Die Antwort auf diese Fragen gab es unlängst in dem ebenfalls an der „Mass. Ave“ gelegenen Club „Middle East“.

Dort stellte der erst 22jährige Musiker Jon Crosby sein Projekt VAST vor, dessen Name eine Abkürzung für „Visual Audio Sensory Theatre“ ist. Schließlich ist dem jungen Mann die Welt eine Bühne. Die Leinwand im Bühnenhintergrund zeigt Kerzen im Wind, und aus den Tiefen des Raums erreichen die heiligen Gesänge tibetanischer Mönche unser Ohr. Es folgt eine Anklage mit dem Titel „I'm dying“, die vom Leid berichtet, nicht nur glauben, sondern wissen zu müssen, ob Gott nun die Welt rettet oder nicht. Als wär's ein flottes Kampflied der New Model Army, klampft Crosby auf der 12saitigen Akustikgitarre um seine Seele. Zwei langsam, eines schnell, eines krachen lassen – so geht es munter weiter, bis nach einer Stunde mit großem Knall „Here“ ausgepackt wird. Wohin mit dem Haß, wohin mit dem Frust, wohin mit dem Selbstbetrug?

Was man allerdings gerne auch von Jon Crosby erfahren würde, ist natürlich, woher eigentlich diese ganze Düsternis kommt, die er auch in seinen Songs zum Ausdruck bringt. Lebt der junge Mann auf der dunklen Seite des Mondes oder steht gar ein Gruftrevival an? „Erst einmal sind wir eine sehr philosophische Band, nicht bloß irgendeine Popgruppe. Musik eröffnet einem schließlich ein anderes Verständnis der Welt und hilft einem auch durch manch schwere Zeit. Das, was wir machen, ist eben kein Entertainment. Ich schreibe Songs über meine eigenen Erfahrungen und Gefühle. Sie kommen direkt aus mir heraus, und ich denke mir das alles nicht aus.“

Wobei natürlich ein wichtiger, sozusagen allmächtiger Co-Pilot nicht fehlen darf: „Wenn ich mit diesen mittelalterlichen Gesängen arbeite, habe ich das Gefühl, mit der gesamten Menschheit zusammenzuarbeiten. Diese Musik ist nicht mein Verdienst, und oft denke ich, daß ich nur ein Werkzeug Gottes bin.“ Denn wie viele junge Amerikaner dieser Tage hat auch Jon Crosby nach diversen Eso- und Egotrips zu seinem Schöpfer gefunden. Und ist man erst einmal über den Charles River, biegt von der „Mass. Ave“ links ab und spaziert die nette Newbury Street entlang, schaut die Welt auch wieder ganz anders aus.

Gunnar Lützow 30. Januar, 20 Uhr, Logo