Die andere Seite der Backstreet Boys

■ Mit Konfettiregen und Seifenblasen rockten die amerikanische Neo-Punkrock-Band The Offspring und ihre Fans die Columbiahalle

Für viele der um den Platz der Luftbrücke herumlaufenden Jungsgruppen ist der Abend schon frühzeitig gelaufen. Das Offspring- Konzert ist ausverkauft, da können sie höchstens noch mehr Büchsbier trinken und vor der Columbiahalle ein paar Töne der Band aufschnappen. Innendrin ist es dementsprechend heiß und stickig, es riecht nach süßlichem Teenieschweiß, und die Vorband, die der Jugendsender Fritz am Abend vorher per Hörerumfrage ermittelt hatte, bemüht sich mit launigen Rammstein- und Spice-Girls-Coverversionen redlich, das Publikum auf Touren zu bringen.

Was eigentlich nicht nötig ist: Die ersten Akkorde von The Offspring bringen gleich die ganze Halle in Wallung, da muß vorne gleich das Absperrgitter dran glauben, und da gibt es selbst an den Theken kein ruhiges Plätzchen.

The Offspring gehören zu der Generation von Bands, die vor drei Jahren die von Nirvana hinterlassene Leerstelle gefüllt haben: Neo- Punkrock hieß das nächste große Ding, Bands wie Green Day, Rancid, Bad Religion und eben The Offspring, allesamt schon seit vielen Jahren in kleinen Clubs unterwegs, erfreuten sich plötzlich einer Beliebtheit, die weit über die Grenzen von Punk und der einheimischen Bay Area in Kalifornien hinaus ging. „Smash“ war das Album, das ein Jahr nach seiner Veröffentlichung 1994 auch für The Offspring in Europa das Ding ins Rollen brachte, die Singles „Come Out And Play“ und „Self Esteem“ dauerrotierten auf MTV und Viva, und eine Bubblegum-Version von Punkrock war plötzlich die Musik für Teens geworden.

Das Durchschnittsalter in der Columbiahalle liegt dann sicher auch bei 17, 18. Die Kids tragen ihre Offspring-, Green Day-, Napalm Death- und Batik-T-Shirts spazieren (eins von den Böhsen Onkelz wurde auch gesichtet, du Lümmel!), und sie sind gekommen, um sich tanzend und pogend zwei Stunden zu amüsieren. Beliebte Rituale wie Stagediving oder die Band mit Bier zu bewerfen und anzupöbeln gibt es nicht, nur eins, zwei, drei nach rechts und links.

Auch die Band verzichtet auf intensivere Kommunikation, sie hält sich an ihre Songs. Ihr Outfit ist schmucklos, ihr Equipment mit Gitarre, Bass und Schlagzeug ebenso. Live verlieren die Songs von The Offspring die wenigen Feinheiten, Sperenzchen und Breaks, die sie auf ihren Alben haben, und die Vocals von Dexter Holland versteht natürlich auch kein Mensch. Doch so was juckt hier keinen.

Irgendwann gesteht Holland, daß er die Backstreet Boys hasse, und erwartet auf Anfrage die Bestätigung des Publikums. Die fällt zwar nicht so laut aus wie erwartet, doch es ist den meisten wohl sowieso klar: Hier Offspring, dort die Backstreet Boys, hier Sweet, dort die Bay City Rollers, und große Unterschiede sind hier wie dort nicht auszumachen.

Bei einer kleinen Pause, in der die Band Ringelpiez mit Anfassen spielt und es Konfetti regnet (später gibt es Seifenblasen!), darf mal Luft geholt werden und vielleicht auch drüber nachgedacht, warum ausgerechnet The Offspring einen ihrer Songs „The Kids Aren't Allright“ genannt haben. An diesem Abend jedenfalls geht alles in Ordnung, da brauchen keine Eltern zu befürchten, daß ihre Kleinen auf Abwege geraten. Auch der Vater aus Frankfurt (Oder) nicht, der draußen darauf wartet, seine Kinder wieder nach Hause kutschieren zu können. Gerrit Bartels