Der „gute Jesus“ und der Affengott

In einer abgelegenen Stammesregion des indischen Bundesstaates Gujarat wollen radikale Hindus den christlichen Kirchen die Seelen der Adivasi-Ureinwohner entreißen. Was die dazu denken, interessiert am wenigsten  ■ Aus Gujarat Bernhard Imhasly

Unnai ist, wie die meisten Thermalquellen in Indien, mehr als nur ein Heißwasserbad. Der rotbemalte Felsbrocken vor der Quelle, die Girlanden im Becken ebenso wie die Tempelanlage drumherum zeigen den sakralen Charakter des blubbernden und brodelnden Wassers aus der Erde. Es ist für die Hindus Ausdruck einer göttlichen Energie: Die Göttin Sita soll darin gebadet haben. Und für die Angehörigen der fünf Ureinwohnerstämme (Kuknas, Bhil, Kunbi, Gond und Warli) in den Hügelgebieten der Western Ghats bricht im Wasser von Unnai die Energie der Berggottheit Dungar Devi durch, deren Gestalt sie im riesigen Stein vor der Quelle zu erblicken meinen.

Heute benutzt der „Vanvasi Kalyaan Ashram“, die Wohlfahrtsorganisation des „Welt-Hindu-Rates“, die Quelle, um Christen zu Hindus „zurückzubekehren“. Nicht weniger als 60 Personen aus drei Dörfern mußten in der ersten Januarwoche ins Wasser steigen. Soma, ein Adivasi – so heißen die Ureinwohner in Indien –, aus dem kleinen Nest Gogli erzählte, er habe sich zuerst geweigert, als junge Anhänger der „Hindu Jagran Manch“ ihn aufforderten, seinem Glauben abzuschwören. Aber dann seien zwei Polizisten – vermutlich Aktivisten in geborgten Uniformen – erschienen, und diese hätten ihm gedroht, er werde seine Rationenkarte und seinen Stammesausweis verlieren; zudem werde sein Haus abgebrannt werden, falls er seine Bekehrung zum Christentum nicht rückgängig mache. Er sei nach Unnai gebracht worden, habe ins Wasser steigen müssen, ein Swami habe ihm die Hände auf den Kopf gelegt, und danach habe er Bilder von Ram und Sita erhalten sowie ein Buch mit Versen auf den Affengott Hanuman.

Zwar kennt der Hinduismus keine Taufe – je nach Ansicht wird man als Hindu geboren, oder jeder Mensch ist im Grunde ein Hindu. Doch man lernt vom Gegner. Swami Aneesh Anand, der treibende Geist hinter dem Vanvasi Ashram, nutzte den sakralen Charakter der Quelle für eine Taufzeremonie, die jener der Christen ähnelt. „Die Stammesleute sind Hindus“, sagt er in seinem Zentrum in Waghai. „Die Missionare sind dabei, mit ihren Versprechungen von Gratisschulen und Gratisspitälern die armen Adivasi-Hindus ihrem Glauben abspenstig zu machen. Wir müssen dies rückgängig machen.“

Die Rückbekehrungen waren der vorläufige Schlußpunkt einer Hetzkampagne, die Weihnachten ihren Höhepunkt erreichte. Sie hatte laut dem Pastor der Pfarrei der „Church of North India“ im Bezirkshauptort Ahwa, T.V. Gaikwad, am 29. Juni begonnen, als der Distriktpräsident der hindunationalistischen BJP-Partei und Führer einer radikalen Hindu- Organisation, Bala Chaudhary, ein großes Treffen organisierte, in dem zur Vertreibung aller Missionare aufgerufen wurde. In den Dörfern seien darauf Komitees der „Hindu Jagran Manch“ und der „Bajrang Dal“ gegründet und Priester bedroht worden. Am 19.Dezember erschienen Flugblätter, die vor christlichen Plänen einer Massenkonversion am Weihnachtstag warnten und zu einer großen Kundgebung in Ahwa aufriefen, mit einer Prozession, die an der Kirche vorbeiführte.

Appelle Gaikwads an die Bezirksverwaltung, das Treffen zu verbieten, fanden kein Gehör. Um Zusammenstöße zu vermeiden, verlegte der Pastor die morgendliche Weihnachtsmesse auf einen nahen Schulplatz. Dennoch erschienen am Abend etwa 2.000 bewaffnete Hindus vor der Kirche. Nachdem sie von der Polizei zerstreut wurden, griffen sie die christliche Mittelschule Deep Darshan an, wo Karmeliterinnen 300 Schüler beherbergen. Am gleichen Abend wurden an vier weiteren Orten Kirchen angezündet, und im Dorf Subir wurde auch die Schule in Brand gesteckt; drei Priester wurden verletzt.

Ghelubhai Nayak, ein Sozialarbeiter, der seit 40 Jahren in der Gegend lebt, behauptet, die Angriffe seien durch Steinwürfe auf die Hindu-Veranstaltung ausgelöst worden. Pastor Gaikwad weist das zurück. „Die Angriffe auf sieben Kirchen und Schulen im Distrikt begannen alle zur gleichen Zeit. Wie erklären Sie sich das?“ Er vermutet eine inszenierte Provokation. Die Steinwürfe seien wohl kaum von Christen gekommen. Dafür sei die Furcht unter der kleinen Minderheit viel zu groß.

Doch wie klein ist eigentlich diese Minderheit? Zwischen 30 und 40 Prozent der Stammesbevölkerung sei heute christlich, meint Nayak. Doch bei der Volkszählung von 1991 wurden unter den 149.000 Adivasis in der betroffenen Region Dangs gerade mal 16.000 Christen gezählt. Zudem sei der Anteil von Christen in ganz Indien zwischen 1981 und 1991 zurückgegangen ist. Doch die radikalen Hindus sind anderer Meinung, und Swami Anand fügt hinzu, die christlichen Massenbekehrungen seien der Grund, warum die Hindu-Organisationen gerade diese abgelegene und bitterarme Gegend ausgewählt hätten. Er und Nayak sehen in der Christianisierung eine internationale westliche Strategie, um die Hindu-Nation ein zweites Mal zu kolonisieren, diesmal ideologisch. Dafür habe die Kirche die schwächsten Glieder in der hinduistischen Gesellschaft ausgewählt – die armen Adivasis, deren Wohlfahrt zugegebenermaßen von den Hindus sträflich vernachlässigt worden sei.

Professor Kamal Chenoy von der Nehru-Universität in Delhi erkennt für die hinduistischen Rückbekehrungen ein politisches Motiv. Nach einem Besuch des Distrikts als Mitglied einer unabhängigen Untersuchungskommission kam er zum Schluß, daß die Ausschreitungen geplant wurden und daß die Lokaladministration mitschuldig war. Der – inzwischen versetzte – Distriktchef Joshi habe nicht nur die Kundgebung zu Weihnachten erlaubt. Er habe daran sogar teilgenommen und ihr damit einen offiziellen Anstrich gegeben. Für Chenoy liegt die Agitation daran, daß in Gujarat die BJP regiert. „Daraus schöpfen die radikalen Hindu-Organisationen die Zuversicht, ungestraft das Gesetz verletzen zu können.“

Niemand bestreitet, daß der Anteil an Christen in den Stammesgebieten von Gujarat mit über zehn Prozent weit über dem nationalen Durchschnitt von 2,5 Prozent liegt. In den tribalen Regionen von Nordostindien sind es sogar über 50 Prozent. Während radikale Hindus wie Swami Anand darin eine Ausbeutung der Adivasi sehen, begründen die Kirchen ihre Aktivitäten in Stammesgebieten damit, daß die Kirche damit ihrem sozialethischen Auftrag nachkomme. Doch auch sie geben zu, daß sich die Adivasi eher zum Christentum bekehren als Hindus – nicht zuletzt deshalb, weil Hinduismus nicht nur eine Religion ist, sondern gleichzeitig ein gesellschaftliches Ordnungsprinzip darstellt.

Auch die extreme Armut unter den Ureinwohnern Gujarats läßt sich nicht übersehen. Wie in den anderen Adivasi-Regionen Indiens produziert der gutgemeinte Schutz der Stammeskulturen durch den Staat das paradoxe Resultat, daß sie von der wirtschaftlichen Entwicklung weitgehend ausgeschlossen sind. Das hat einerseits eine unberührte Landschaft von Teak- und Bambuswäldern erhalten. Doch die schönste Region des Staates Gujarat wird von dessen ärmsten Einwohnern besiedelt. Die reichen Wälder gehören seit der Kolonialzeit schon dem Staat. Wenn ein Bhil ein Haus bauen will, sagt Father Jikhario Nair, muß er ein Gesuch für Holz, Bambus und selbst für die Blätter auf dem Dach stellen. „Er bekommt alles gratis – aber er muß darum bitten.“ Die Lastwagen, die mit schwankenden Ladungen von Bambus aus den Wäldern fahren, bringen die geschlagenen Rohre in eine Papierfabrik im Tiefland. Viele Stammesbewohner müssen sich dort als Tagelöhner verdingen, weil es bei ihnen keine einzige Fabrik gibt. Die zwei Züge, die täglich bis zum Grenzort Waghai fahren, werden noch heute von Dampflokomotiven gezogen.

Die „Deep Darshan“- Schule in Ahwa ist ein Beispiel für die Sozialarbeit der christlichen Kirchen. Dank ausländischer Hilfe und Regierungsgeldern bietet sie 840 Kindern eine Grund- und Mittelschulausbildung. Da viele Schüler aus abgelegenen Dörfern kommen, erhalten sie auch gratis Unterkunft. Die Schule wird vom Karmeliterinnen-Orden geführt, doch ihre Vorsteherin, Schwester Carmel Gomes aus Goa, weist den Vorwurf, die Schule als Lockmittel für Bekehrungen zu mißbrauchen, empört zurück. „Das ist absurd. Weniger als 100 unserer Schüler sind Christen. Es gibt keinen Religionsunterricht, und wir singen keine religiösen Lieder. Von den 24 Lehrern sind nur sieben Christen. Die anderen sind Hindus.“

Für Schwester Carmel, wie für viele der Priester, die manchmal seit Jahrzehnten das bitterarme Leben der Adivasi teilen, liegt der Sinn des Evangeliums nicht im Bekehren, sondern im sozialethischen Auftrag, eine Kirche für die Armen zu sein. „Natürlich taufen wir Leute, die zu uns kommen. Und wir verkünden das Evangelium – das ist unser Auftrag. Aber“, sagt Father Martin, ein indischer Theologe der Church of North India, „es gibt keinen einzigen registrierten Fall von erzwungener Konversion – eine solche lehnen wir ab.“

Schwester Carmel zufolge passieren die meisten Bekehrungern nicht in den etablierten Kirchen, „sondern bei den verschiedenen evangelischen Missionen in den abgelegenen Dörfern“. Die Bekehrungsmuster sind dabei immer die gleichen. Zum Beispiel bei Soma, der von Swami Anand zwangsweise rückbekehrt wurde: Sein Kind war schwer krank, für ihn das Indiz einer Besessenheit durch einen bösen Geist; sein Stammesschamane konnte es nicht heilen. Er brachte es in eine Missionsspital – ohne Erfolg. „Schließlich sagte mir der Patel (der Dorfälteste), ,Geh doch zu den Christen, dort werden Kinder manchmal geheilt.‘ Ich brachte es zu einem ,Heilungsgebet‘ in einem anderen Dorf, und das Mädchen wurde gesund.“

Daß die Bekehrung von Soma zum Christentum von Swami Anish Anand in Unnai nun wieder rückgängig gemacht wurde, verletzt das Verfassungsprinzip der Religionsfreiheit, doch das kümmert den Swami nicht. Während Christen wie Schwester Carmel darüber rätseln, warum Heilungsgebete oft mehr Erfolg haben als Schamanen oder Medikamente, sind solche Bekehrungen für den Swami nichts weiter als eine subtile Form des Zwangs. In seiner Logik braucht es daher das zweite Unrecht der Zwangstaufe, um dieses erste Unrecht wiedergutzumachen. Die angeblichen Nutznießer – eingeschüchterte Adivasi wie Soma – werden nicht gefragt.

Ob die Bilder von Hanuman sie nun dazu bringen, den „guten Jesus“ aus ihrem Pantheon zu verbannen? Warum nicht ein Bild von Jesus neben jenem des Affengottes? Swami Aneesh Anand ist sich seiner Sache offenbar auch nicht so sicher. Er läßt von jedem Adivasi ein Foto machen, bevor er ihn als wiedergewonnenen Hindu in sein Dorf zurückschickt.