Mit Rammstein im Stadtwald

Wächter und Supervisor, kritischer Schriftsteller und schlechtgelaunter Flaneur: Bodo Morshäuser kümmert sich lieber um die Peripherie, vergewissert sich seiner selbst und schreibt in seiner „Liebeserklärung an eine häßliche Stadt“ ein paar Berliner Gefühle auf  ■ Von Gerrit Bartels

Da kann ein altgedienter Berliner schon mal ins Grübeln kommen, wenn seit einigen Monaten immer wieder Schlagworte wie „Generation Berlin“, „Stadt im Aufbruch“, „Innovations- oder neues Kreativpotential“ fallen. Gehört er auch mit dazu, mischt er da mit? Oder fahren die ganzen Züge ohne ihn ab, ist er ein sogenannter Modernisierungsverlierer? Oder schlichtweg ein Modernisierungsverweigerer?

Und was macht ein Schriftsteller wie Bodo Morshäuser, geboren in Berlin, Vorwendeberliner und sicher auch im nächsten Jahrtausend noch in der Stadt, wenn sich die Verlage um Schriftsteller aus Berlin nur so zu reißen scheinen? Um Bücher aus Berlin, über Berlin, um Berliner Szeneromane? Was macht er da, wenn er im Moment nur wenig auf der Halde hat?

Er veröffentlicht eine „Liebeserklärung an eine häßliche Stadt“, ein schmales Bändchen mit Einwürfen, Beobachtungen und Petitessen zu Berlin, mit sogenannten Berlintexten. Was Morshäuser darin aber nicht macht, weil er nicht will oder weil er es nicht kann: über die hiesige überdrehte Aufbruchsstimmung schreiben, über die ganzen neuen Hauptstadtfans, seien sie nun Lackaffen oder nicht, über den Spaß der neuen Mitte in Mitte.

Morshäuser ist lieber Wächter und Supervisor; der kritische Schriftsteller, der sich an den immer gleichen zweifelhaften Plänen Berliner Politiker abarbeitet, am „Aktionsplan Sauberes Berlin“ aus dem Sommer 1996 oder an der von einheimischen Ordnungspolitikern gern diskutierten New Yorker „Zero Tolerance“-Strategie. Ganz engagiert und böse gibt er sich da. Durchschaut jeden Politikerimpetus und disst den „Aktionsplan Sauberes Berlin“ als Programm für Touristen, als zunehmende Einengung und Verknappung des öffentlichen Raums. Oder entlarvt die „Zero Tolerance“-Strategie als „Auslaufmodell“, dessen wichtigste Funktion es sei, „abzulenken von den Problemen der Stadt, abzulenken davon, was in großem Stil schiefläuft, und abzulenken von der Unfähigkeit der Stadtregierung, die Stadt zu regieren“.

Und wenn alle Welt von In-Bezirken wie Mitte, Prenzlauer Berg oder neuerdings auch Friedrichshain spricht, kümmert sich Morshäuser lieber um die Peripherie. Fragt ganz schlau, warum es beim Thema Stadtbild nicht mal um die „heruntergekommene Siemensstadt“ oder „die Horrorecke Tempelhofer Damm und Ordensmeisterstraße“ gehe. Oder schreibt zwei ganz hübsche und treffende Texte über Charlottenburg, über die Veränderungen dort einerseits, über die Verschnarchtheit andererseits. Das mag ganz gut beobachtet sein, der Mann bleibt dran, stellt fest, daß in Szenekneipen keine Türken sind, versteht so manche Alltagsmechanismen.

Doch öfters bekommt man beim Lesen auch den Eindruck, daß Morshäuser selbst eine Art Auslaufmodell ist. Ein Schriftsteller, der sich irgendwie nicht mehr zurechtfindet in der Stadt und mit den späten Neunzigern; einer, der die alten Kämpfe kämpft und die alten Geschichten vom alten Westberlin und dessen Verhältnis zum Ostteil der Stadt erzählt, und das weniger, um Verständnisbrücken zu bauen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, als vielmehr, um sich zu erinnern und seiner selbst zu vergewissern. Berliner Gefühle heißt der Untertitel des Bandes, und Morshäuser kann sich bei seinen Gefühlswallungen eigentlich nie so recht entscheiden, ob er nun Drifter und Flaneur sein soll oder ein zwar oft richtig liegender, aber schlechtgelaunter Stadtkritiker.

Ganz komisch wird es dann, wenn er Befreiungsschläge für die Berliner Band Rammstein unternimmt. Seine Gedanken zu Rammstein empfanden er und sein Verlag als so wichtig, daß sie seine restlichen Texte mehr oder weniger einrahmen: „Rammstein“ steht zu Beginn der Textsammlung, „Rammstein 2“ ist das vorletzte Stück. Die Musik von Rammstein meint Morshäuser da vor „Korrektheitskontrolleuren“ verteidigen zu müssen, auweia, Rammstein haben das auch nötig, und wie jeder weiß, haben ihre Texte „mit rechts und links nichts zu tun“. Schön, daß er das noch mal aufschreibt, doch an der Stelle, an der ein Kumpel von ihm sagt, „ich hab' gehört, Rammstein machen auf rechts“, blendet Morshäuser aus mit „ich glaub', ich steh' im Stadtwald“.

Da wird es ja eigentlich erst interessant, dort, wo Rammstein mit ihrem ganzen Deutsch-Romantik- Riefenstahl-Brimborium einerseits an den Seelenzuständen vieler mißverstandener Böhse-Onkelz- Fans und anderer Zukurzgekommener rühren und andererseits ihre Lektionen in Sachen Pop verstanden haben. Doch Morshäuser scheint in Rammstein lediglich Leidensgenossen zu sehen, die wie er mit seinen Texten „Hauptsache Deutsch“ und „Warten auf den Führer“ „blinde Flecken in der Irrsinnsargumentation Rechts/Links aufgespürt“ haben. Da gibt es von ihm zur Belohnung noch eine Verteidigung in Sachen Ästhetik, frei nach dem Motto: Noch nie gab es so gute deutsche Texte wie die von Rammstein, „so eine klare Aussprache“, solche klaren Rs und Ts.

Und damit ihn auch ja keiner falsch versteht, grenzt er Rammstein am Ende gegen Joachim Witt ab, der zwar in denselben trüben Gewässern fischt, aber beileibe nicht so authentisch ist: Zuviel Elektronik, zuviel „übliches Vokabular an Düsternis- und Endzeitworten“. Wer's glaubt, wird Rammstein-Fan und entspannt sich wie Morshäuser mit Kruder & Dorfmeister.

Bodo Morshäuser: „Liebeserklärung an eine häßliche Stadt“. Suhrkamp Taschenbuch, 155 Seiten, 12,80DM