■ Nebensachen aus Managua
: Ganz besondere Vibrationen

Nicaraguas Hauptstadt Managua hat mehr als eine Million Bewohner. Trotzdem ist es keine richtige Stadt. Ein dort lebender Freund vergleicht Managua gern mit einem Kuhfladen: einfach so hingeschissen an den Rand des Managua-Sees, ohne Struktur, aber mit enormer Ausdehnung. Es gibt kein Zentrum und kaum signifikante Gebäude. Ein einziges Hochhaus, ein Hotel in Form einer gekappten Pyramide und eine neue Kathedrale aus Beton, die aussieht wie eine Kreuzung aus Moschee und Atomkraftwerk. Alles, was Managua einmal Charakter gab und es zur Stadt machte, wurde durch das Erdbeben 1972 zerstört.

Weil der damals herrschende Diktator Anastasio Somoza alle danach einlaufende internationale Hilfe in die eigenen Taschen steckte, wurde nichts wieder aufgebaut. Noch heute weiden zwischen den Ruinen des ehemaligen Zentrums Kühe.

Doch ganz untergründig hatte Managua immer etwas Besonderes. Man spürte es sofort, wenn man am Flughafen in ein Taxi stieg und losfuhr. Managua hatte Vibrationen, ganz einzigartige Schwingungen. Abgebrühte und bürgerkriegsgestählte Korrespondentenkollegen erzählten früher gern, das komme von den bis zu 400 tektonischen Bewegungen, die das seismographische Institut täglich registriert. Managua sei ein einziger Vulkan.

Die Erde unter Managua bewegt sich noch immer, trotzdem werden die speziellen Vibrationen immer weniger. Denn sie haben einen anderen Grund: Somoza sammelte seinerzeit nicht nur Geld, sondern auch Ländereien und Fabriken. Und eine davon stellte Verbundsteine aus Zement her. Mit diesen Steinen ließ er Managuas Straßen pflastern, so daß das Geld des Straßenbauministeriums ganz legal in seine Taschen floß. Dem Besucher Managuas bescherten diese gepflasterten Straßen, auf denen sich selbst ein Kleinwagen ein wenig anhört wie ein Panzer, diese ganz spezifischen Vibrationen.

Die sechseckigen grauen Verbundsteine waren durchaus praktisch. In der Regenzeit schluckten die damit belegten Straßen die vom Himmel stürzenden Wassermassen einfach weg. Tat sich einmal ein Schlagloch auf, war es schnell wieder zugepflastert. Und doch brachen die Steine dem Diktator das Genick. Denn auch für die sandinistische Guerrilla waren sie praktisch: Sie ließen sich leicht herausreißen und zum Bau von Barrikaden verwenden. Die Tageszeitung Barricada, Zentralorgan der Sandinisten, schmückte noch Jahre nach der Revolution den Titel mit einer Guerrillera mit Gewehr im Anschlag, hinter einer Barrikade von Verbundsteinen aus Somozas Fabrik.

Auch als die Sandinisten 1990 abgewählt wurden, behielten die Steine ihren praktischen Wert. Bei jedem größeren Streik, egal von wem, wurden Löcher in die gepflasterten Straßen gerissen und aus den Steinen Sperren errichtet. Innerhalb kürzester Zeit entstand so ein doppeltes Verkehrshindernis: ein großes Loch und eine solide Mauer. Und in genauso kurzer Zeit war nach Beendigung des Protests alles wieder aufgeräumt.

Seit fast zwei Jahren nun regiert Präsident Arnoldo Aleman. In seiner Jugend war er ein enger Freund des Somoza-Clans. Doch er hat aus Somozas Fehlern gelernt. Kilometer für Kilometer läßt er die Pflastersteine von den Straßen Managuas entfernen und statt dessen mit Asphalt belegen. Die Sandinisten verlieren seither stetig an Bedeutung. Auch die Streiks werden weniger. Und Managua verliert seine ganz speziellen Vibrationen. Toni Keppeler