Dabei sein ist alles!

Zwei Wissenschaftler der Bundeswehrhochschule in Hamburg haben einen trockenen aber lesenswerten Überblick über den Stand der Diskussion um die Nato-Osterweiterung herausgegeben. Dabei spielen die Kosten nur eine nebensächliche Rolle  ■  Von Mareile Arndt

Eine trockene Angelegenheit ist manchmal leicht zu entflammen. Das geschieht in „Die Debatte über die Kosten der Nato- Osterweiterung“. Da lodern die nüchtern berechneten Szenarien plötzlich auf, weil – was die Autoren im Frühjahr 1998 noch nicht wissen konnten – in Deutschland eine neue Regierung an der Macht ist, deren Politik neue Reaktionen hervorrufen könnte. In dem vorliegenden Sammelband werden die Debatten in den Nato- und Beitrittsländern dargestellt. Neben der meist auf Linie der Nato-Erweiterung liegenden Regierungen gibt es in vielen Staaten radikale Gegner. Sie sind, bisher, eine recht unbekannte Größe.

In den USA gibt es einige einflußreiche Stimmen, die wie George Kennan die Entscheidung für die Erweiterung als „den verhängnisvollsten Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach Ende des Kalten Krieges“ bezeichnen. Der berüchtigte Waffenliebhaber und ultrarechte republikanische Senator aus North Carolina, Jesse Helms, forderte als Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses die nötige Aufmerksamkeit ein, als er sich zwar für die Erweiterung, aber gegen eine Annäherung an Rußland aussprach. Die Ansichten solcher Meinungsmacher schwanken; bisher konnte Clinton sie geschickt lotsen. Daß seine Außenministerin Madeleine Albright gerne auf Einladung von Bruce I. Jackson, der Direktor beim Waffenhersteller Lockheed Martin ist, im edlen Metropolitan Club in Washington für die Erweiterung warb, dafür nennen die Autoren, die Professoren Mark A. Boyer und John T. Rourke aus Connecticut, auch den Grund: Wer Geld verdienen will, soll die Politik unterstützen. Doch der Senat hat die Erweiterung zu ratifizieren, und in ihm sitzen viele am Thema völlig Desinteressierte.

Andere Nato-Länder instrumentalisieren die Ost-Erweiterung für andere Ziele. Die 40 Millionen Dollar, die Großbritannien für sich als Kosten veranschlagt, seien keine entscheidende Zahl; man rechne in England, so Trevor Taylor, nicht mit weitreichenden Folgen der Ost-Erweiterung. Beim Einzelgänger Frankreich steht im Vordergrund, ein eigenes „Klientelsystem“ zu schaffen. Rumänien ist das ausgewählte Patenkind der Atommacht. Das soll ein Gegengewicht zu den deutschlandorientierten slawischen Osteuropäern bilden. Wegen dieses Überhangs kamen Zweifel an der inneren Einsatzbereitschaft der Nato auch in Italien auf: „Niemand wollte für Danzig sterben.“ Italien, traditionell mit guten Beziehungen zu Rußland, tritt für behutsame Ausweitung ein. In Spanien spielen die Länder Osteuropas kaum eine Rolle. In der Bevölkerung lehnen weite Teile die Nato generell ab, aus Antiamerikanismus und politischer Mäßigung nach erlittener Diktaktur.

Ob alle diktatorischen Spuren in den Beitrittsländern – Polen. Tschechien, Ungarn – beseitigt sind, war oberflächlich bestimmend für die Aufnahme. Je mehr der Westen sich ihnen auftut, umso mehr wächst die politische Kultur. In Polen entwickelt die Bevölkerung, nach Ansicht von Erhard Cziomer von der Universität Krakau, zunehmend differenziertere und ambivalentere Ansichten. Josef Fucik, Oberst a.D., faßt im Tschechien-Beitrag zusammen, was die drei Staaten aus den Zeiten des Warschauer Vertrages mitbringen: Unbrauchbare Erfahrungen. Das kostet nicht nur – das bringt auch Geld. Im Metropolitan Club in Washington wird man sich die Hände gerieben haben.

Wenn über zukünftige Kosten geredet wird, deren Höhe man gar nicht richtig beziffern kann, so dienen sie jeder politischen Richtung für ihre Argumentation. Nur aus Österreich werden Kalkulationen über Kalkulationen geboten – Österreich erfüllt eben alle politischen Vorgaben, von Demokratie und Marktwirtschaft über zivile Kontrolle über die Armee und Interoperabilität der Waffensysteme bis zu guten Nachbarschaftsbeziehungen. Einige der bisher nicht aufgenommenen, hier abgehandelten Länder – Rumänien, Slowenien, Österreich, Bulgarien, Lettland, Slowakei – versuchen in der pseudo-objektiven Kostenfrage sich möglichst billig zu machen. Die inoffiziellen Mitbestimmer, die Rüstungslobby, so können sie nur hoffen, verschrecken sie dadurch nicht. In Rumänien entscheidet man sich jetzt schon für Nato-kompatible Rüstungsgüter. Überhaupt liefern die Autoren ein Bild davon, wie sehr Rumänien Nato-Mitglied werden will. An der militärischen Operation Alba hat Rumänien teilgenommen – und betont, Ungarn und Polen sei das zu teuer gewesen. Die Entscheidung des Madrider Gipfela im Juli 1997 gegen Rumänien wurde mit Enttäuschung aufgenommen, aber nun will man bis 1999 wirtschaftlich und institutionell aufholen. Den Termin möchte auch Slowenien nutzen und bemüht sich deswegen, sich „zumindest symbolisch“ vom unruhigen Balkan weit abzusetzen. Einzig in Bulgarien gibt es bedeutende, besonders aus einem wirren religiösen Dunstkreis stammende Gegner, die einen orthodox geprägten Sonderweg wollen. „Desinformation und Manipulation“ gegen den Nato- Beitritt sieht Svetlozar V. Eldarov, von denen sich aber ein Großteil der Bulgaren nicht habe beirren lassen. Das Scheingefecht um die Kosten bringt Ivo Samson auf den Punkt: „Die Slowakei wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren nicht so sehr über die Kosten der Nato-Integration, sondern eher über die Kosten, die die langfristige Nicht-Integration in die Nato verursachen könnte, zu diskutieren haben.“

Wer strategische Vorteile bietet, ist in der Nato. Die Türkei ist dafür ein Beispiel, trotz wachsender Kritik an der Kurdenpolitik und sinkender geostrategischer Bedeutung. Und dann ist da noch Deutschland, das so sehr für die Aufnahme der Osteuropäer stand, daß es den Terminus „Nato- Öffnung“ statt „Nato-Erweiterung“ zum Standard zu machen versuchte.

Die Kostendebatten im Vergleich zu lesen, ist ergiebig. Die Fokussierung auf den finanziellen Aspekt läßt jedoch leicht vergessen, daß man weitaus distanzierter an die Sicherheitspolitik der Nato und der ostmitteleuropäischen Länder herangehen könnte. Die Herausgeber sind an der Universität der Bundeswehr in Hamburg tätig. Die Graue Eminenz unter den in diesem Buch behandelten Ländern ist Rußland; so oft, wie über die russischen Reaktionen spekuliert wird, hätte es mit einem Beitrag zu seiner Einstellung zur Nato-Erweiterung bedacht werden müssen.

Der Republikaner Jesse Helms warnt, die Nato verkomme zu einem „Laboratorium für Sozialarbeit“. Daß die ideologisch gähnende Leere plötzlich fletschende Zähne zeigt, wird die Ost-Erweiterung nicht verhindern können. Aber sie senkt das Risiko militärischer Alleingänge.

August Pradetto/Fouzieh Melanie Alamir (Hg.): „Die Debatte über die Kosten der Nato-Osterweiterung“; Baden-Baden: Nomos 1998, 282 S., 48 DM