Auf Elefanten Richtung Rhino!

Jede Menge Leoparden, Lippenbären, Hirsche, Krokodile, vierhundert Arten von Vögeln und natürlich Affen und Nashörner sollen im Royal Chitwan National Park in Nepal leben. Die Reiseveranstalter preisen vollmundig die Tierwelt dieses Gartens Eden. Eine Elefantensafari auf der Suche nach dem erhebenden Augenblick  ■ von Franz Lerchenmüller (Fotos & Text)

Elefanten lassen gern mal einen fahren. Sie orgeln dann wie ein löchriger Blasebalg, setzen eine kräftige Duftspur frei, und Mr. Clarke grinst jedesmal breit in die Runde. Flatulenz bei Elefanten – ein Thema, über das im allgemeinen nur selten gesprochen wird.

Ebenso Nashörner. Das Indische Panzernashorn etwa, Rhinoceros unicornis L. Nach Alfred Brehm, dem Allwissenden, erreicht es „3,75m Gesamtlänge, 1,70m Schulterhöhe, etwa 2.000kg an Gewicht“ und gilt „unter den asiatischen Arten als ein außerordentlich bösartiges Geschöpf“.

Es gab Zeiten, da machten nur noch wenige dieser gemeinen Geschöpfe Asien unsicher. Das hat sich geändert, zumindest hier: Durch den rund tausend Quadratkilometer großen Royal Chitwan Nationalpark im Süden Nepals ziehen heute zwischen 450 und 500 Exemplare. Auch an die hundert Tiger sind hier zu Hause, jede Menge Leoparden, Lippenbären, Hirsche, Krokodile sowie vierhundert Arten Vögel. Ein Garten Eden also, der 1984 von der Unesco zum „World Heritage Natural Site“ erkärt wurde. Und: ein Paradies mit Besucherprogramm. Sieben Lodges liegen im Park und schicken ihre Gäste per Elefant auf Safari.

Einmal einem Tiger gegenüberstehen, der nicht auf den Namen „Sita“ hört und Pfötchen gibt? Nun ja. Man soll das Schicksal nicht von vornherein mit überzogenen Erwartungen verärgern. Ein bösartig schnaubender Nashornbulle aber... Schließlich hatte sich der deutsche Reiseveranstalter weit vorgewagt: „Die Tiere, die Sie sonst zu sehen bekommen, sind Affen, Nashörner und Krokodile.“

Aus diesem Grund finden Leser und Leserin sich auf dem Rücken einer Elefantendame namens Apukali wieder. Zusammen mit Mr. und Mrs. Clarke aus London, Ford-Manager im Ruhestand nebst Ehefrau und Mutter von sechs wohlgeratenen Kindern. Sowie dem Berichterstatter im Einsatz. Die drei teilen sich ein Sitzgestell, das an einen umgedrehten Tisch erinnert und mit Baumwollmatratzen gepolstert ist. Jeder hat ein Tischbein zwischen seinen Schenkeln. Tamiram, der Elephant-driver, thront auf Apukalis Nacken und stupst sie dauernd mit dem linken Fuß zärtlich hinterm Ohr. Ab und zu zieht er ihr mit einem Stock, einmal auch mit einer Eisenstange, kräftig eins über den Schädel, wofür es, deutet man sein Murmeln richtig, durchaus gute Gründe gibt.

Aus der Ebene steigen Nebelschleier, die Wedel des Elefantengrases ragen darüber wie buddhistische Gebetsfahnen. Unbeirrbar wackelt Apukali, die halbblinde 37jährige, vor sich hin, wackelt nach links, nach rechts, vor und zurück, wenn sie Böschungen erklimmt, wackelt wie ein Schiff, das in schwerem Wetter ein Wellental hochpflügt – ein schiefes Bild, ohne Zweifel, aber der Schräglage der Situation angemessen.

Etwas kollert: Ein Pfau hoch oben im Baum. Kameras klicken, Dutzende unterbelichteter Bilder. Etwas blubbert: Mr. Clarke lächelt vergnügt. Dem ersten Reitelefanten seines Lebens sieht man einiges nach.

Anderthalb Stunden staksen fünf Elefanten im Abstand von zwei-, dreihundert Metern querfeldein. Und fressen. Denn der Elefant ist das, was man im Süden der Republik einen „guten Esser“ nennt. Im Vorüberstapfen greift er sich rüsselweise Grasbüschel, rupft Blätter, knackt Zweige und schaufelt alles in sich hinein. Auf der anderen Seite, auch darüber wird nur selten gesprochen, kullern währenddessen hellgrüne, handballgroße Kugeln zu Boden und pflastern seinen Weg.

Im Morgenlicht taucht ein Baum mit großen, zappligen Früchten auf: Affen – aber die, pardon, kennt man ja nun wirklich aus den Tempeln von Kathmandu, wo sie nicht nur Junge lausen und über Äste jagen, sondern, viel publikumswirksamer, Glocken bimmeln und Erdnüsse klauen.

Das war's fürs erste an Tropenfauna. Kein Nashorn. Anlaufschwierigkeiten, beruhigt sich der Berichterstatter. Zum Ausgleich blieben wenigstens die befürchteten Moskitos aus. Zurück in die Zivilisation.

Die Chitwan Jungle Lodge umfaßt 68 Betten, neun Elefanten, achtzehn Treiber, sechs Ranger, einen Manager sowie zahlreiche Zimmerjungen, Kellner und Köche. Die Bungalows haben jeweils vier Räume mit dünnen Wänden. Abends verteilen die Angestellten blakende Petroleumlampen, elektrisches Licht gibt es nur in den Badezimmern, von genau 18 bis präzise 21 Uhr. Die Mahlzeiten finden in einem runden Pavillon statt.

„Es geht nichts über einen gepflegten Elefantenausritt vor dem Frühstück“, sagt Mrs. Clarke und reckt sich wohlig. Mr. Clarke schweigt und speist: harten Toast, laue Bratkartoffeln, fette Würstchen. Anschließend schafft er Ordnung auf dem Teller seiner Gattin. Die Clarkes sind das, was man gemeinhin „ganz reizende Herrschaften“ nennt. Oder auch: „bezaubernde Plauderer“. Eben kommen sie aus Tibet und haben Erstaunliches zu berichten: von fliegenumschwärmten Yakvierteln im Staub der Straße, von schmutzstarrenden Bettlaken und von der gewöhnungsbedürftigen Sitte der Menschen dort, tote Freunde auf einen Berg zu schleppen, in Stücke zu schneiden und den Geiern zu überlassen. „Luftbegräbnis“, sagt Mr. Clarke. Und: „Tja. Tibet!“

Mrs. Clarke, die sich unter Landsleuten am Nebentisch umhört, erfährt alarmierende Neuigkeiten: Seit zwei Tagen schon soll den Gästen dieser Lodge kein Nashorn mehr vor Augen gekommen sein. Andererseits hat angeblich eines der Elefantenteams an diesem Morgen einen Leoparden gesichtet. Verdammt!

Vormittags steht ein Waldspaziergang auf dem Programm, Jungle Walk in diesen Breiten. Die Ausbeute befriedigt nicht ganz: Ein von einem Lippenbär zertrümmerter Termitenhügel. Ein glitschiger Blutegel an der linken Wade des Berichterstatters. Sowie ein paar eisengraue, faustgroße Knollen mitten auf dem Weg. „Tiger“, verrät Ranger Harka der plötzlich enger zusammenrückenden Gruppe. Freilich mindestens drei Wochen alt, was bedeutet, daß die Dinger im Lauf dieser Zeit von rund vierhundert Touristen begutachtet worden sein dürften. Die meistbestaunte Tigerscheiße der Welt. Aber keine Nashörner.

Ranger Harka fühlt sich persönlich verantwortlich. Es gebe Tiere da draußen, Ehrenwort. Aber das hohe Gras biete zu viele Verstecke. Im März, wenn seine Kollegen das Gras abgebrannt hätten und das frische Grün sprieße, da – da träten sich hier draußen die wilden Tiere gewissermaßen auf die Zehen. Schakale im Überfluß. Wildrinder sonder Zahl. Nashörner ohne Ende. Im März also. Hat einem wieder mal keiner gesagt.

Erfolgreicher verläuft das anschließende Elephant Briefing mit Ranger Maja. Fakten, Fakten, Fakten, Wundersames und Wissenswertes aus der Welt von Elephas maximus L.: Wer vermag schon auf Anhieb zu sagen, daß der Elefant seinen Rüssel mittels vierzigtausend Muskeln bewegt, daß er zwischen den Zehen schwitzt und wegen seines Gewichts allenfalls drei Stunden durchschläft? Und wer käme ohne weiteres auf die Idee, aus seinem Fußumfang auf seine Leibeshöhe schließen zu wollen? Einfach verdoppeln, Mr. Clarke darf nachmessen.

Auch der Besuch der kleinen, aber feinen zoologischen Sammlung des Hauses erweist sich als wissenschaftlicher Gewinn. In Marmeladengläsern krümmen sich handlange Tausendfüßler, blasse Molche, mattschwarze Skorpione und ausgebleichte Frösche. In größeren Behältern – Mixed pickles? – schwimmen Green Pit Viper, Garden Lizard sowie Banded Krait, die giftigste Schlange des Kontinents.

Nach dem Mittagessen – täglich Tee mit ranziger Yakbutter in diesem Tibet! – ruft die Glocke zum Canoe Ride. Ein Jeep bringt die kleine Gruppe zum Fluß, wo ein paar Männer neben grobbehauenen Einbäumen warten. Vorsichtig paddeln sie den Rapti hinunter, die Sonne scheint, ohne zu brennen, die Wellen plätschern, Mrs. Clark streckt sich wohlig und bringt beinahe das Kanu zum Kentern.

Flußabwärts wartet die Karawane. Elefantensafari – die zweite. Wieder hinein in die Botanik. Einiges von dem, was da links und rechts des Trampelpfades hochragt und wächst und sich windet, ist dem Berichterstatter vom heimischen Fensterbrett vertraut: Gummibäume, Philodendren, Orchideen. Der Rest, beschließt er, läßt sich nachschlagen (Sal- und Simalbäume. Würgerfeigen. Kamelfußlianen.)

Treiber Imodan wie Elefant Amarkali scheinen an diesem Abend gleichermaßen von Ehrgeiz gepackt zu sein. Sie verlassen den Pfad und dringen in den Dschungel ein. Wie ein Schlachtschiff bricht der Koloß zwischen den Bäumen hindurch, knackt Äste, so dick wie die Oberschenkel von Gerd Müller, stapft ins Freie, trottet im Eilschritt durchs sechs, sieben Meter hohe Gras und kreuzt raumgreifend durch die Steppe, bis die Sonne blutrot hinter dornigem Gestrüpp versinkt. Die Passagiere fühlen sich nach dem Schleudergang entsprechend: wie frisch gestürzter Wackelpudding. „Remember Hannibal“, tröstet Mr. Clarke. „Six weeks on an elephant's back!“ Allein, es ändert nichts. Bis auf ein verschüchtertes Hirschkitz – kein Wild. Scheinbar entvölkert dämmert die Steppe in die Tropennacht. Die Touristen auf dem Jumbobuckel: ratlos. Mangels Nashorn fotografieren sie sich selbst. Dutzende schiefer Bilder.

Lodgewärts schaukelnd, redet der Berichterstatter sich gut zu: Ein Nationalpark ist nun mal nicht „Animal Kingdom“. Im Nationalpark haben Tiere auch mal frei. Das ist die wahre Wildnis. Eine Einsicht, die mit 250 Dollar freilich doch ein wenig teuer erkauft scheint. „Isn't it wonderful“, ruft Mr. Clark in diesem Augenblick von der anderen Seite. „Great time, we have.“ Great British.

Kurz vor dem Abendessen gerät der Berichterstatter per Zufall in eine Krisensitzung der Belegschaft. Der vorwurfsvolle Ton des Managers, die resignierten Mienen der Elefantenführer, die ratlosen Gesten der Ranger sprechen für sich: Unerklärlich! Peinlich! Katastrophal! Findet mir das Nashorn! An diesem Abend ist das Nashorn in aller Munde. Selbst Mr. und Mrs. Clarke wenden sich von Tibet – kalte panierte Hühnerkrallen. Zum Morgentee! – ab, und ihm zu. Angeblich werden Nashörner immer noch gewildert, selbst hier im Park, wo die Armee das Sagen hat und mit Karabinern patrouilliert. Allein wegen des angeblich potenzfördernden Horns, für das Chinesen bis zu dreißig Dollar pro Gramm zahlen, der Rest bleibt liegen, ein Berg von Fleisch, zäh wie Sattelleder wahrscheinlich und doch, welch ungeheure Verschwendung... Wie auf Kommando lassen Mr. Clarke und der Berichterstatter die Messer sinken, mit denen sie seit fünf Minuten an ihren Gulaschbrocken herumsäbeln. Und blicken betroffen auf die Teller hinunter: Sollte da jemand den gleichen Gedanken...?

Um sechs Uhr früh klopft einer der Angestellten an die Tür. Vor dem Moskitogitter tropft Tau von Blatt zu Blatt wie sanfter Regen. Noch einmal besteigen Mr. und Mrs. Clarke und der Berichterstatter einen Elefanten, nunmehr schon in geradezu inniger Vertrautheit, sind es doch nicht allzu viele Menschen, mit denen man am Ende seines Lebens einen Elefantenrücken geteilt haben wird.

Wieder der Geruch nach frischem Wald. Der Frühnebel zwischen den Baumsilhouetten. Die konzentrierten Rundblicke aus zusammengekniffenen Augen. Da – ein Specht. Ein Specht im Nationalpark von Chitwan. Ein Specht. Entzückend. Plötzlich, mitten in der Steppe, tanzt ein Mann in einem Baum. Er trägt eine Rangeruniform und gestikuliert mit Händen und Füßen. Aufgeregte Rufe gehen von Elefant zu Elefant. Dann wechseln alle fünf abrupt ihre Richtung.

Zeit für einen Perspektivenwechsel: Mitten in der Steppe, im leise raschelnden Gras, schlummert ein halbstarkes Nashorn namens, sagen wir, Rhino. Es schläft, als habe es Alfred, den Allwissenden, gelesen: „Alle Berichterstatter stimmen darin überein, daß der Schlaf der Tiere ein sehr gesunder ist. Mehrere von ihnen konnten sich ruhenden Nashörnern ohne besondere Vorsicht nähern: diese glichen fühllosen Felsblöcken und rührten sich nicht.“

Doch irgend etwas ist heute anders. Schläfrig blinzelt Rhino in den Morgen – und erstarrt in kalter Panik. Die Welt hat sich über Nacht verdunkelt. Fünf graue Berge türmen sich im Halbkreis auf – nein: Elefanten sind es, jene Kollegen, die dreimal am Tag Touristen und Touristinnen durchs Gelände buckeln.

Tief aus den Genen erreicht ein dumpfes Signal Rhinos graue Zellen: „Seine Wut übersteigt alle Grenzen. Es rächt sich nicht bloß an dem, welcher es wirklich gereizt hat, sondern an allem und jedem, was ihm vorkommt.“ Richtig. Mutig richtet es sich auf die Vorderbeine auf – und erstarrt ein weiteres Mal: Die Welt stürzt ein. Die Luft erzittert vom Trompeten eines der Elefanten, der zudem seine Ohren aufstellt wie Segel. Das war Klartext: Vorsicht, Kleiner. Wenn nötig, fege ich dich mit dem Rüssel von den Beinen – selbst wenn du mir im vollen Lauf entgegenbretterst! „Es geht alles vorüber“, ahnt Rhino. Läßt sich ergeben zurücksinken. Und klappt die Augen wieder zu.

Auf den Rücken der Elefanten aber herrscht eine stille Ausgelassenheit. Es klickt und klackt und blitzt und schnurrt: Dutzende, Hunderte verwackelter Bilder. „Looks so nice“, flüstert Mrs. Clarke ergriffen. „Looks like a Rhino“, präzisiert Mr. Clarke. „Looks like perfect timing“, lobt der Berichterstatter. Und selbst die Elefanten zollen der Feierlichkeit des Augenblicks ihren Tribut. Und lassen für diesmal keinen ziehen.

Franz Lerchenmüller, 46, lebt in Lübeck und ist Buchautor und Reisereporter