Freier Flaschengeist

Eventkultur, importiert aus europäischer Tradition: Das Literaturhaus versucht ein Philosophisches Café  ■ Von Frauke Hamann

Was in Paris überaus erfolgreich ist, müßte auch in Hamburg zu etablieren sein – das philosophische Café. Es schüfe einen Sprechraum, eine gedankengeladene Atmosphäre, sagt der Publizist Reinhard Kahl, Mitinitiator und Moderator des morgen zum ersten Mal und fortan allmonatlich im Literaturhaus stattfindenden philosophischen Cafés. In Frankreich gibt es derweil über 200 dieser Denkstätten, in Hamburg, ist Kahl überzeugt, „habe das philosophische Café eine vielversprechende Zukunft“. Doch zweifellos ist Hamburg nicht Paris: Die französischen Philosophen riskieren ungleich lebhafter und virtuoser ihre publizistisch vermittelten Positionsbestimmungen als die meisten deutschen –Meisterdenker'. So ist fraglich, ob es hier gelingen wird, den Geist aus der Flasche des Event-Betriebs zu befreien und abseits des Selbstdarstellungsdrangs von Gästen und Publikum wirksam werden zu lassen.

Das ambitionierte Vorhaben präsentiert sich gleichsam als anregender Menü-Vorschlag: Als Hors d–oeuvre ist das geneigte Publikum ab 19 Uhr aufgefordert, in „vielen kleinen Gesprächen“ den eigenen Denkapparat anzuwerfen, seine Argumente abzuschmecken. Als Plat principal folgt das „große Gespräch“ mit dem jeweiligen Philosophen-Gast, der nicht als Experte gefragt ist, sondern mittels dessen Auftritt sich Denken ereignen soll. Denken wäre dieserart keine Einbahnstraße, kein routiniertes Absondern von Statements, sondern ein Prozeß offenen Nachdenkens, bei dem Reflexion und Person zusammengehören und in ihrer Unverwechselbarkeit kenntlich werden.

Als Amuse-gueule des gesamten Vorhabens mutet der erste Abend an. Mit Odo Marquard (* 1928) hat Reinhard Kahl einen großen Denker eingeladen, der schon immer zum Mitdenken animiert hat. Abschied vom Prinzipiellen lautet der programmatische Titel eines seiner Bücher. Mit der Absage an absolutes Wissen geht Marquards Vorbehalt gegen Letztbegründungsansprüche einher. Hier ein für den originellen Denker typischer Minidialog: „Philosoph: Rechtfertige dich! – Laie: Bitte, nach dir.“

Die Philosophie ist nach Marquard unvermeidlich in der Wissenschaft wie in der Wirklichkeit zu Hause, weshalb der Gießener Emeritus seine philosophischen Überlegungen ebenso verständlich wie faszinierend darbietet. Er versteht sich als Skeptiker, wobei nach seiner Definition Skeptiker nicht diejenigen sind, die prinzipiell nichts wissen – sie wissen nur nichts Prinzipielles. Den Ernst des Weltzustands im Bewußtsein, postuliert er: „Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt: an Exile der Heiterkeit.“ Marquard faßt die Philosophie als heitere Wissenschaft auf, deren Komik lebensnotwendig sei. Nur so vermag die Philosophie jene Fragen auszuhalten, „mit denen nicht fertig zu werden ist.“

Gelehrt, witzig, eloquent und eigenwillig tritt uns der Wissenschaftler, Philosoph und Schriftsteller Odo Marquard in seinen Schriften entgegen. Auf den leibhaftigen Auftritt des „Transzendental-Belletristen“ (Marquard über Marquard) im philosophischen Café darf man sich freuen.

Das 1. philosophische Café: Odo Marquard im Gespräch mit Reinhard Kahl, morgen, 19 Uhr, Literaturhaus, Eintritt 10 bzw. 5 Mark. Am 18. Februar 1999 wird Frithjof Bergmann, am 16. März 1999 Heinz Bude zu Gast sein.