Parfüms – nichts als duftende Jagdwaffen

Duftstoffe verkaufen sich rasend. Und das schon seit Tausenden von Jahren. Kaiser Nero beliebte, in Rosenwasser zu baden, Kleopatra ließ die Segel ihres Schiffes mit Parfüms tränken. Heutzutage dominieren mehr und mehr olfaktorische Cocktails, die beiden Geschlechtern der Generation X zugleich gefallen sollen – solche vor allem, die in amerikanischen Labors zubereitet wurden. Den eigenen Körpergeruch mit chemischer Hilfe künstlich aufzurüschen scheint jedenfalls einem Grundbedürfnis weiblicher und mnnlicher Menschen zu entsprechen. Über die Hintergründe des mysteriösen Erfolgs des Öl-in- Alkohol-Gemischs ein Bericht  ■ von Uta Andresen

Wenn es in der Parfümbranche so etwas wie eine Genderdebatte gäbe, wäre der Unisexduft das ideale Queer-Parfüm: Ein vorbestimmtes Geschlecht gibt es nicht, es wird konstruiert. Wenn du willst, kannst du Mann und Frau sein. Doch was will uns diese eingeschlechtliche Plörre eigentlich sagen? Eine für alle – also alle gleich?

Ein Parfüm soll die Persönlichkeit unterstreichen, den Träger aus der Menge heben, als exquisit erscheinen lassen. Die Botschaft der Unisexdüfte der neunziger Jahre jedoch ist eine andere: Man trägt Duft, um als Teil eines größeren Ganzen wahrgenommen zu werden. Nur nicht auffallen, die Gruppe ist alles, das Individuum nichts. Die Nutzer „sind Scheidungskinder, daher sind Freunde sehr wichtig. Es gibt keine Regeln. Der Duft paßt sich dieser Haltung an“, behauptet Sheila Hewett, Marketingchefin von Calvin-Klein-Parfüms, der Firma, die den ersten Unisexduft „CKone“ auf den Markt brachte. Generation X?

Düfte transportieren Botschaften, sind Zusteller in flüchtigem Aggregatzustand. Das provenzalische Wort perfumar hieß noch so etwas wie „Rauch verbreiten“. Das war zunächst einmal Weihrauch, eine duftende Petition an die Götter. Mittlerweile tut es der Mitmensch als Adressat persönlicher Anliegen auch.

Einen Duft, in einer bestimmten Situation erlebt, wird man nicht so leicht vergessen – da sei das limbische System vor. Der Sitz der Emotionen ist zugleich die Verarbeitungsstelle für Düfte und sorgt so dafür, daß bei einem bestimmten Geruch auch zugleich Erinnerungen wach werden. Duftreize können Stimmungen auslösen, die rational kaum steuerbar sind. Das Parfüm der Mutter wird, ob man will oder nicht, bestimmte Bilder im Hirn erzeugen. Stimmungen, die man bei sich und anderen zu kontrollieren sucht – eben auch per Parfüm. „Man trägt ein Parfüm nicht aus Zufall“, sagt Duftexperte Ulrich Wetzel. Sondern um attraktiver zu erscheinen: Hey, ich bin angenehm, großartig, liebenswert. Schlichter formuliert: sexy.

Also, rein bei Douglas, ins Regal gegriffen, zahlen, draufsprühen, fertig? Wohl kaum. Die teuren Fläschchen werden hin und her gewendet, es wird geschnuppert, gerümpft, gezickt und geziert. Die Suche nach dem richtigen Duft erfolgt nicht rational, Stimmung und Charakter diktieren die Wahl. Der Sprüher ist ein User und damit nicht Herr der Sinne, sondern Sklave seiner psychischen Konstitution. Untersuchungen besagen, daß zwischen der Persönlichkeitsstruktur eines Menschen und seinem ästhetischen Duftempfinden ein signifikanter Zusammenhang besteht. Wer zum Parfüm greift, langt stets zum gleichen, zumindest zu siebzig Prozent und unter Laborbedingungen. Wer sich parfümiert, will seine Persönlichkeit untermauern, haben Psychologen herausgefunden: Laß mich dein Parfüm schnuppern, und ich sage dir, wer du bist.

Der klassische Extrovertierte steht auf frische, fruchtige Düfte. „Dieser Typ nutzt das Parfüm zur eigenen Stimulation, als zusätzlichen Kick“, sagt Ulrich Wetzel. Der Introvertierte dagegen hat's gern orientalisch. „Er versucht sich mit dem Parfüm einzuhüllen, seiner Person per Duft mehr Komplexität zu verleihen.“ Schwieriger wird es da schon mit dem launischen Typ. Er ist hohem Streß ausgesetzt – und sei es selbstfabriziertem. „Der“, weiß der Duftexperte, „braucht deshalb etwas Stabilisierendes.“ Einen Duft also, der harmonisch daherkommt. Und das wird dann eine eher pudrige, blumige Angelegenheit.

So weit, so übersichtlich. Doch im Laufe ihrer Untersuchungen mußten die Forscher feststellen, daß ein und derselbe Duft von den unterschiedlichsten Charakteren präferiert wird. So „Cool Water“: „Jeder Typ hatte den Duft entsprechend seinem Persönlichkeitsmuster beschrieben“, erinnert sich Parfümforscher Wetzel an die Verwirrung im Labor. Doch man fing sich, und die neueste Theorie aus der Welt der Parfümpsychologen lautet nun: Jeder riecht sich sein Parfüm so zurecht, wie er es gerne hätte. Soll heißen: Der Introvertierte nimmt vor allem die orientalischen Duftnoten des Produktes wahr, der Extrovertierte die eher frischen. „Es liegt an der Genialität des Duftes, ob er für verschiedene Stimmungslagen oder Persönlichkeitsmuster in Frage kommt.“

Die Duftrichtungen nivellieren – und das Wässerchen verkauft sich hundertprozentig? Nein, wehrt der Duftforscher ab, im Gegenteil: Nicht Nivellierung, sondern Vielschichtigkeit führe zum Erfolg. Je komplexer ein Parfüm, je mehr Duftnoten es verbinde, desto unterschiedlichere Schnüffelbedürfnisse könne es bedienen.

Den Mixturen sind keine Grenzen gesetzt. Es gibt eine halbe Million künstliche Riechstoffe sowie 1.500 natürliche ätherische Öle. Für die Komposition von Parfüms werden aus etwa zweitausend Duftnoten die genehmen Stoffe ausgewählt. Der Parfümeur, ganz im Gegensatz zum Psychologen, verläßt sich dabei gern auf seine Nase – und auf die Erfahrung, daß der Kunde kauft, was er gern sein möchte. Nicht die Psychostruktur dient ihm als Leitbild seiner Arbeit, sondern ganz schlicht „der Typ“ – ganz gleich, ob der Kunde ihn verkörpert oder nur verkörpern möchte. Parfümeure wissen: Der Mädchenhafte müffelt gern blumig, der Verträumte orientalisch, der Selbstbewußt-Sportliche eben frisch. Basta.

Dabei scheint Parfümieren ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein. Die Assyrer parfümierten ihre Bärte. Der dem guten Leben nicht abgeneigte Nero pflegte in Rosenwein zu baden. Napoleon verbrauchte ein oder zwei Flaschen Eau de Cologne am Tag, vor Waterloo durfte es auch eine mehr sein. Kleopatra empfing Marc Aurel auf einer Barke, deren Segel parfümgetränkt waren. Sie hätten so wundersam geduftet, schrieb Shakespeare, „daß die Winde von ihnen liebeskrank wurden“.

Ganz klar, Duft will beeindrucken. Für die Einführung von „Giò“ hat Modedesigner Giorgio Armani ein Bürohaus in Manhattan in einen marokkanischen Palast verwandeln lassen. Unter Palmen und Beduinenzelten nippte man an Minztee und Champagner. Eine Million Dollar kostete das Fest, um den Geist in der Flasche zu vermitteln.

Der teuren Illusion geben wir uns nur zu gern hin. Über 1.200 Parfüms sind in Deutschland erhältlich, zwei Drittel davon Frauendüfte. Pro Jahr macht die Branche etwa anderthalb Milliarden Mark Umsatz. Und der Kunde hofft brav darauf, das Öl-in-Alkohol-Gemisch möge ihn begehrenswerter erscheinen lassen.

Eine Hoffnung, die die Werbung nur allzugern nährt. Auf der Werbefotografie für „Obsession for men“ hat sich ein nackter Adonis ein ebensolches Weib kühn über die Schulter geworfen. Das Ensemble legt nur einen Gedanken nahe: Draufsprühen, abschleppen! In einer Studie der Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld gaben die meisten Befragten an, bestimmte Gerüche als stimulierend erfahren zu haben. Dazu gehörten auch parfümverstärkte Körpergerüche. Knapp vierzig Prozent gaben zu Protokoll, sich zu parfümieren, um attraktiver zu werden.

Auch wenn Wissenschaftler geduldig wiederholen, daß kein Parfüm beim ersehnten Partner ein automatisches Begehren auslösen könne, hält sich doch beharrlich die Mär vom Parfüm und dem Reiz-Reaktions-Schema. „Die erogene Wirkung spielt bei Parfüms eine sehr wichtige Rolle“, sagt Karl-Heinz Bork, Parfümeur bei Haarmann und Reimer, einem der größten Parfümhersteller der Welt. Sex-Oma Beate Uhse bietet etwa das Spray „Exzess“ an, das „Frauen wild macht“. Ein „Jahresspray“, verspricht der Katalog, sei ausreichend für „circa dreißig heiße Frauenverführungen“. Frauenmagazine wie Elle stammeln von „explosiven Gemischen“ und Aphrodisiaka im Flakon.

Womit die Parfümeure ihren Produkten fiebernde Erotik zu verleihen gedenken, klingt poetisch – Ambra! Moschus! –, stinkt aber zum Himmel. Das eine die Drüsenabsonderung einer tibetischen Hirschart, das andere die Ausscheidung des Pottwals – ekelerregend, aber allenthalben so potent wie ein röhrender Hirsch. „Wenn Parfüm nur aus angenehmen Noten bestünde, wäre es langweilig“, sagt Bork. Man brauche gewisse „schmutzige“ Stoffe, um einem Duft eine erogene Note zu geben, eine animalische eben.

Die Parfümeure gehen davon aus, daß Moschus oder Ambra besonders anziehend auf den Menschen wirken, weil sie Hormonen ähneln, die auch im menschlichen Schweiß vorkommen. Und der zieht an, wie die Wäschefetischisten unter uns belegen. Doch biologisch läßt sich nicht beweisen, was Parfümeure und Psychologen beschwören: daß künstlich applizierter Duft anmacht. Macht nichts, meint Bork, „das macht die Mystik des Parfüms aus“. Auf der Pirsch nach Sex sind schließlich auch Placebos als Jagdwaffen recht.

Uta Andresen, 28, Redakteurin im taz.mag, schreibt über Natur, Gesundheit, Neofaschismus und Sekten; Gebhard Krewitt, 29, Mitglied der Agentur Visum, lebt in Berlin. Seine Schwerpunktthemen: Elend und Not