Der Staat ist retro

■ Der Leipziger Neo Rauch stellt DDR-Erinnerungen als gemaltes Fortschrittsmärchen in der Galerie Eigen + Art aus

Wenn alle mit anpacken, wird die Welt ein wenig besser, das Dorf endlich schöner und das Leben sehr viel lebenswerter. Der Aufbau der 50er Jahre läßt grüßen: Da sind zum Beispiel die Produktionshallen, in denen glatt gebürstete Arbeiter an den Geräten werkeln und der neue Tag mit gelbem Sonnenlicht die Räume durchflutet; oder die Tankstellen, wo sich propere Kerle um die Zapfsäulen versammeln und schwere Kanister davonschleppen. Privat sind die Männer dauernd mit der Pflege ihrer Gewehre beschäftigt, manche müssen auch in Panzerhallen Motoren montieren für den Sieg des..., ja, wessen Sieg eigentlich?

Wie Spielweisen sozialistischer Propaganda hängen die großformatigen Gemälde von Neo Rauch in der Galerie Eigen + Art an der Wand – eigentümlich in einer fremden Vergangenheit eingeschlossen, und doch amüsiert über den Konflikt mit der Gegenwart. Helden der Arbeit durchziehen das ×uvre des 1960 geborenen Leipziger Malers, bei denen sich Bazon Brock an einige Strophen von Hölderlin erinnert fühlt: „Dennoch gelinge der Wunsch, Rechtgläubige zweifeln an Einer / Stunde nicht und der Lust bleibe geweihet der Tag“. Später nahm Hanns Eisler den Text für seine Nationalhymne der DDR.

Bei den Bildern von Rauch kann man sich an Utopien immer noch festhalten, so wie es in den zwanziger Jahren bereits das Bauhaus, die sowjetischen Konstruktivisten und George Grosz vorgemacht haben. Aber der Bruch liegt ebenfalls offen: Klassizistisch türmen sich Hochhäuser und Industriebauten, vor denen Figuren im Stil der Neuen Sachlichkeit ihrem Beruf nachgehen; gleich daneben öffnen sich allerdings abstrakte Felder, werden Werbereklamen zitiert oder rote und orange Farbflächen gestisch zerschabt. In diesem Gegensatz scheinen sich zwar die dreißiger, fünfziger und neunziger Jahre zu begegnen, doch die Wirkung bleibt in der Schwebe: „Ich simuliere den unschuldigen Blick auf die Dämonen meiner Kindheit“, hat Rauch dem Spiegel erzählt. Mittlerweile gilt er schlicht als Prachtexemplar einer „Neuen darstellenden Malerei“ – ein Meister der rückwärtsgewandten Formen (immerhin studierte er bei Bernhard Heisig), dessen Bildsprache konzeptuell verstanden wird – Deutschland, ein vermurkstes Fortschrittsmärchen.

Tatsächlich geht es Rauch darum, wie sich der einzelne mit einem Gefühl der Überwältigung dem SED-Staat unterordnete – und was die Kunst dazu beigetragen hat. Der „Bitterfelder Weg“, der den Künstler als Teil des produzierenden Kollektivs sah, lebt auf Rauchs Bildern plötzlich in den Gesichtern wieder auf, indem er seinen Werktätigen die eigenen Züge gibt. Damit konterkariert er nicht bloß die Parteiforderungen aus den fünfziger Jahren, sondern überhaupt das Bestreben der Moderne, wonach sich der Künstler gesellschaftlich einbringen sollte.

An diesem Punkt trifft er sich mit Sigmar Polkes kapitalistischem Realismus, der seinerzeit mit gemalten Wirtschaftswunderwerten die US-Pop-art ironisierte: Daß inzwischen die Systeme Ost und West miteinander verwachsen sind, läßt sich auch als eine Bestätigung für den Sieg über Sonne, Mond und Sterne lesen. Für Rauch ist Malerei „die Fortsetzung des Traums mit anderen Mitteln“. Seine Kindheit in der DDR muß mächtig gewesen sein. Harald Fricke

Bis 30.1., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr; Galerie Eigen + Art, Auguststraße 26