„Sie hielten mich fest wie eine Geisel“

■ Ein Afghane wird im Wohnheim terrorisiert. Eine eigene Wohnung findet er nicht

Spät am Abend klopfte es: „Aufmachen, Polizei!“ Raschid S. (Name geändert), der vor vier Jahren aus Afghanistan als Asylbewerber nach Deutschland kam, öffnete die Tür seines Zimmers in einem Hamburger Flüchtlingswohnheim. Davor standen vier Männer, ebenfalls Afghanen. Sie drangen in das Zimmer ein und beschimpften S.: „Wir bringen dich um, Schwule haben kein Recht zu leben!“ Drei Stunden lang „hielten sie mich fest wie eine Geisel“, berichtet er. Schließlich habe er einen Asthma-Anfall vorgetäuscht, worauf ihn seine Peiniger in den Flur führten. Dort konnte S. sich losreißen, in sein Zimmer zurückstürzen und die Tür verschließen.

Dieser Vorfall ist einer von vielen, die Raschid S. über sich ergehen lassen muß. Dabei ist er nach Deutschland geflohen, weil er in Afghanistan seine „Neigung zu Männern nicht ausleben“ konnte. „Das wäre dort völlig unmöglich“, erzählt er. Auch in Hamburg knüpfte S. seine schwulen Kontakte möglichst unauffällig und versuchte, sich durch Frauenposter an der Wand zu tarnen. Dennoch kam Gerede unter seinen Landsleuten im Wohnheim auf. „Bei uns wird viel getratscht“, sagt S. Wer keine EheFrau oder Freundin habe und dem gängigen Männerbild nicht entspreche, falle auf. Zunehmend begannen afghanische, arabische und andere Männer im Heim, aber auch Besucher, S. zu terrorisieren; im Bus riefen Kinder aus dem Wohnheim „Schwuli“ hinter ihm her.

Ende November dieses Jahres eskalierte die Situation. Ein Heimbewohner und drei weitere Männer lauern S. im Treppenhaus auf, schlugen ihn zusammen und bedrohen ihn mit einem Messer. Andere BewohnerInnen sahen zu, ohne einzugreifen. S. gelang es schließlich, das Telefon zu erreichen und die Polizei zu rufen. In der Chirurgischen Klinik des UKE werden unter anderem Schädelprellungen und Blutergüsse festgestellt; noch vier Wochen später hört S. auf dem linken Ohr schlecht. Er erstattete jedoch keine Anzeige, weil er glaubt, daß niemand sich als ZeugIn zur Verfügung stellen würde.

Laut Sonja Döring vom Landesbetrieb pflegen & wohnen, der das Heim betreibt, werden „Einzelfälle dieser Art möglichst vor Ort geregelt“. Wenn das nicht möglich sei, werde dem Betreffenden eine andere Unterkunft zur Verfügung gestellt. Auch S. soll zum Jahresanfang in ein anderes Heim ziehen. Doch auch dort wohnen Landsleute. „Da die Afghanen sich untereinander kennen, würde sich das, was hier passiert ist, bald herumsprechen, und alles würde wieder von vorne anfangen“, befürchtet S. Daher will er in eine eigene Wohnung ziehen. Die erforderliche Genehmigung des Sozialamtes hat er; kurzfristig ein preiswertes Appartement oder ein Zimmer zu finden, ist jedoch schwierig.

Dringlich genug ist seine Situation: Erst vorige Woche schlugen wieder drei Männer auf S. ein, als er am Gemeinschaftstelefon im Flur mit einem Freund sprach.

Jakob Michelsen