■ Zungenbrecherstandort Deutschland
: Klebt der Kaplan noch Plakate?

In abgelebten Tagen hat man sich in Deutschland an Dampfschiffern, Postkutschkästen, frischgefischten Fischen, Bürsten mit weißen Borsten und zweierlei Zwetschgenzweigen die Zunge gebrochen. Später kam als Zungenbrecher der Whisky-Mixer dazu, der den Whisky mixte, und der gemixte Whisky, der vom Whisky- Mixer gemixt wurde und Schnellsprecher zu zotigen Fehlleistungen verleiten sollte. Aber im Zeitalter von Iglo, Erdal und Telekom spielen Schuhbürsten und Postkutschkästen nur noch eine untergeordnete Rolle, Fische und Zwetschgen kommen aus der Steckdose, und gemixter Whisky wird sowieso nur in der Phantasie von Spirituosenbanausen serviert, die noch nie einen Schluck Whisky von innen gesehen hat.

Wo bleiben junge, zeitgemäße Zungenbrecherkreationen? Der Volksmund, so scheint es, kriegt die Zähne nicht mehr auseinander. Zungenbrecherisches ist in den letzten 20 Jahren immer nur importiert worden, in Gestalt der Namen von Zbigniew Brzezinski und eines Fußballvereins aus der Stadt Dnjepropetrowsk. Die Exportbilanz des Zungenbrecherstandorts Deutschlands sieht miserabel aus.

Und die Konkurrernz schläft nicht. Die Schweiz brilliert zur Zeit mit folgendem Exportschlager: „De Papscht het s Spackchpschteckch z Spiez z spoot pschtelt.“ Noch einmal, zum Mitsprechen: „De Papscht het s Spackchpschteckch z Spiez z spoot pschtelt.“ Das bedeutet, frei übersetzt: Der Papst hat das Speckbesteck in Spiez zu spät bestellt. Nörgler werden einwenden, daß dieser Zungenbrecher nur die spezifisch schweizerische Weltfremdheit dokumentiere: Speckbesteck, was soll das sein? In Spiez wird jedenfalls keins hergestellt. Und der Papst hat Besseres zu tun, als Speckbesteck in Spiez zu bestellen. Mit Speck kommt man im Vatikan auch ohne Speckbesteck aus Spiez zurecht, und überhaupt, ums Speckbesteckbestellen muß sich der Papst bestimmt nicht persönlich kümmern, das wird zweifellos von subalternen Speckbesteckbestellern besorgt.

Aber zungenbrechertechnisch ist die Schweiz auf dem Vormarsch. Dafür liefert die Linguistin Paula Dieterle aus Aarau einen Beweis: „Sebzäh schlaui Spitzspächtschnabel-Schnitzer sitze z früe z Speuz zom Schnitzmässerspitzwetz-Verzelle zwäg.“ Das heißt: „Siebzehn schlaue Spitzspechtschnabel-Schnitzer sitzen zu früh in Erlinsbach zum Schnitzmesserspitzwetzwitz-Erzählen bereit.“ Diesem Zungenbrecher gebricht es merklich an Lebensnähe, aber was können wir ihm entgegenhalten?

„Der Kaplan klebt Plakate“, das ist alles. Und: „Besserwisser wetzen Messer besser als Messerwetzer Besserwisser metzeln.“ Das sind Beispiele, die die in Schaffhausen amtierende Ethnologin und Zungenbrecher-Expertin Käthi Staufer gesammelt hat. Doch auch Käthi Staufers imponierende Sammlung beweist nur die drückende Überlegenheit der Engländer, Schweizer, Italiener und Russen auf dem Zungenbrechersektor.

„She sits on the shore in the sand and she sells seashells“, sagt der Engländer, wenn's ihm zu wohl wird. Oder auch: „Betty Botter bought some butter. But shie said: ,The butter's bitter. If I put it in my batter, it'll make my batter bitter.‘ So she bought some better butter, better than bitter butter, and it made her batter better...“

Der Schweizer aber sagt: „Wänn de choge Chriesichratte / nid im Chuchichaschte schtoht, / dänn cha d Chöchin chuum / cho Chracher-Chriesi choche.“ Das bedeutet: Wenn der verflixte Kirschenkorb nicht im Küchenschrank steht, dann kann die Köchin kaum Kracher-Kirschen kochen kommen.

Der Italiener wiederum sagt: „Sopra la panca la capra campa, sotto la panca la capra crepa.“ Und er möchte damit sagen: Auf der Bank lebt die Ziege, unter der Bank krepiert die Ziege.

Was aber der Russe sagt, kann hier nur in frei lautmalerischer Wiedergabe, nach den Aufzeichnungen Käthi Staufers, zu Protokoll gegeben werden: „Prischól Prokóp, kipít ukróp, I pri Prokópe kipít ukróp. I uschól Prokóp, kipít ukróp, I bez Prokópa kipít ukróp.“ Zu deutsch: Es kam Prokop, es kocht der Dill, Prokop ist da, es kocht der Dill. Und es ging Prokop, es kocht der Dill, Prokop ist weg, es kocht der Dill.

Und wir? Müssen wir bis ans Ende unserer Tage mit Fischers Fritze, Whisky-Mixern und plakateklebenden Kaplanen auskommen? Oder gibt es neue, unverbrauchte und zeitgemäße Zungenbrecher? Ist Prokop weg? Und kocht er noch, der Dill? Gerhard Henschel