Bakunin liebt Labskaus

Pökelfleisch, Kartoffeln, Senf, Tomatenmark und manchmal auch ein Fisch: Geschichten über ein Hamburger Nationalgericht  ■ Von Volker Stahl

Bakunin hat eigentlich einen recht anspruchslosen Speiseplan. Normalerweise stürzt sich der schwarze Kater auf jede Art von Dosenfutter, egal, ob vom Huhn, von der Leber oder mit Fisch. Unlängst erhielt sein Besitzer von wohlmeinenden Freunden nun ein Döschen Labskaus geschenkt. Der Katzenhalter nahm vorsichtig eine Gabelspitze der hanseatischen Spezialität zu sich – verzichtete angesichts des ungewohnten Geschmacks jedoch auf weitere Kostproben und überließ den Rest der Dose dem Kater. Bakunin zeigte einen gesunden Appetit. Nach dem feudalen Mahl schnurrte er zufrieden und leckte sich den Bart.

Ungeübte Hanseaten mögen nun fragen, welche Substanzen der für Katzengaumen so schmackhafte Brei denn enthielt? Die Antwort fällt leicht: eine aus Wasser, Rindfleisch, Gewürzen und Nitritsalz gewonnene Fleischbrühe, fettes Pökelfleisch vom Rind, Stampfkartoffeln, Gewürzgurken, Zwiebeln, Tomatenmark und Senf. So lautete zumindest die Angabe auf der Dose. Doch Labskaus hat verschiedene Seiten. Heidi Kabel etwa hütet ihr Rezept wie ein Geheimnis. Und im „Old Commercial Room“, dem Traditionslokal an der Englischen Planke, wo sich früher Reeder und Kapitäne Seemannsgarn vertellten, wird der Brei mit Roter Beete serviert.

Der inzwischen verstorbene Hamburger Szene-Gastwirt Paul Rauch nahm dem kalorienreichen Mahl vor zwanzig Jahren den Makel des Arme-Leute-Essens. Er kochte Labskaus so, wie die alten Walfänger es taten. Die Kreation, die dabei herauskam, verlieh seinem Brei über die Grenzen der Elbmetropole hinaus Kultstatus.

Bei Rauch kehrte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt nach dem weihnachtlichen Glockenspiel im Michel bisweilen zum zünftigen Abendbrot mit Matjes, Labskaus und Roter Grütze ein. Der saudische Prinz Feisal ließ sich den Rindfleischbrei sogar in seinen Palast schicken. Und die New York Times widmete Rauch und seinem Produkt in den 80er Jahren eine breit angelegte Story.

Andernorts, etwa im „Dübelsbrücker Kajüt“, tummelt sich neben dem Labskaus ein Spiegelei auf dem Teller, obenauf liegt auch noch ein Rollmops. Doch Fisch gehört auf keinen Fall ins Hamburger Nationalgericht, meint der ehemalige Koch und Labskaus-Fabrikant Peter Pagels. „Auf den Schiffen hätten Matrosen dem Smutje dafür den Hals umgedreht.“ Denn Fisch gab's früher an Bord reichlich zu Mittag. Labskaus sollte eine Alternative sein und wurde daher aus allem zusammengemixt, was der Proviantraum hergab. Das Rezept, so lästerten Generationen von Seeleuten, wußten immer nur der Koch und der liebe Gott. Böse Zungen sollen sogar behauptet haben, zu Labskaus würde all das verarbeitet, was der Klabautermann auf seinem letzten Törn verloren habe.

Ursprünglich ist Labskaus jedoch wohl eine englische Erfindung. Jedenfalls weist der Begriff „lobs course“ direkt in die englische Kombüse, wobei „lob“ für einen ruppigen, handfesten Mann steht und „course“ für eine deftige Speisefolge. Die Norweger sollen das Doppelwort dann zu „Labskaus“ verkürzt haben. Bakunin ist das egal. Er schnappt neuerdings ein, wenn ihm „Whiskas“ im Napf serviert wird und schwört auf Dosenfutter vom Feinkosthändler.