Im Quietscheentchen lauert der Krebs

■ EU-Bericht bestätigt: Weichmacherstoffe in Babyspielzeug sind krebserregend. Doch die Kommission in Brüssel reagiert nicht. Und auch die Bundesregierung will die gefährlichen Artikel in Deutschland nicht vom Markt nehmen

Berlin/Brüssel (taz) – Trotz eindringlicher Warnungen vor krebserregenden Stoffen in Kleinkinderspielzeug ist kein Verbot giftiger Rasseln, Beißringe und Quietscheenten in Sicht. Bei der Bundesregierung in Bonn wie bei der Brüsseler EU-Kommission kommen keine Initiativen in Gang, Kunststoffprodukte mit krebserregenden Phthalaten vom Markt zu nehmen – obwohl der wissenschaftliche Ausschuß der EU-Kommission in einem Bericht zu dem Ergebnis kommt, daß die Weichmacher in Babyartikeln gefährlich sind. Die sogenannten Phthalate gäben „Anlaß zur Besorgis“, heißt es mit Datum vom 27. November.

Die EU-Kommission hatte den Ausschuß mit der Prüfung beauftragt, nachdem sie im Juli ein Verbot von Kinderspielzeug mit gefährlichen Phthalaten abgelehnt hatte. Damals setzte sich der deutsche Industriekommissar Martin Bangemann (FDP) gegen seine für Verbraucherschutz zuständige italienische Kollegin Emma Bonino durch.

Trotz des Berichts ist derzeit unklar, wann die Kommission über die neuen Erkenntnisse beraten wird. Ein Sprecher der Kommission sagte der taz, die Ergebnisse der Studie müßten erst in einer „politischen Risikoabwägung“ besprochen werden. Eine Diskussion oder gar Entscheidung könne sich bis in die nächsten Wochen oder Monate hinziehen. Zugleich lehnt das Bundesgesundheitsministerium unter Andrea Fischer (Grüne) ein nur für Deutschland gültiges Verbot als Alternative ab. Die Bundesrepublik sei immer dafür eingetreten, daß die Frage auf europäischer Ebene bleibe, sagte Ministeriumssprecher Hartmut Schlegel der taz.

Im Gegensatz dazu hat Dänemark Phthalate in Babyspielzeug bereits verboten. Österreich kündigte ein Verbot zum 1.Januar an. Die alte Bundesregierung versuchte, diese Initiativen auszuhebeln. Sie intervenierte in Brüssel gegen die nationalen Vorstöße, weil sie wettbewerbshemmend seien. Trotz des Regierungswechsels ändert sich an dieser Haltung nichts. Der Ministeriumssprecher erklärte zur Begründung, eine „europäische Lösung“ sei wirkungsvoller als eine nationale. Ob ein nationales Verbot in Frage kommt, wenn es keine Maßnahmen der EU gibt, wollte er nicht sagen.

Wie viele Produkte mit den gefährlichen Weichmacherstoffen etwa im Weihnachtsgeschäft über die Ladentheken gehen, ist unklar. Große Hersteller und Handelsketten haben in einer Selbstverpflichtung erklärt, sie hätten die Phthalate durch unbedenkliche Weichmacher ersetzt. Nach Einschätzung des Gesundheitsministeriums gibt es in Deutschland nahezu kein derartiges Spielzeug mehr. „Babyartikel mit Phthalaten sind die ganz, ganz große Ausnahme“, erklärte Sprecher Schlegel. Dagegen erklärte das Bundesinstitut für den gesundheitlichen Verbraucherschutz, es gebe immer noch Spielzeug mit Phthalaten, weil Importeure aus Ostasien nicht auf die billigen Weichmacher verzichten wollten. Ein Beamter der EU- Kommission sagte: „Wir wissen nicht, was wirklich auf dem Markt ist.“

Der Bericht des EU-Ausschusses zur Gefährlichkeit von Phthalaten bezieht sich auf neue Studien. Die Wissenschaftler untersuchten unter anderem, welche Mengen der Stoffe freigesetzt werden, wenn Spielzeug in den Mund genommen wird. Eine der Substanzen gehe stärker in den Speichel über, als bisher vermutet, heißt es in dem Bericht. Bei Tierversuchen hätten Forscher festgestellt, daß Leber- und Nierenkrebs sowie Schädigungen der Hoden ausgelöst werden können.

Georg Löwisch/Alois Berger

Tagesthema Seite 3