Permanente Revolte

■ Im Januar starb der Zeichner Andre Franquin. Jetzt erschien der 18. Band mit Geschichten über den Redaktionsboten Gaston auf deutsch

Ein halbes Jahr vor seinem Tod erhielt André Franquin den „Max- und-Moritz-Sonderpreis für ein herausragendes Lebenswerk“. Am Ende von Max und Moritz steht bekanntlich die brutale Wiedereinrichtung der Ordnung, die die beiden Protagonisten kurzzeitig unterlaufen: Sie werden dem Geflügel als Futter vorgeworfen. Franquins Funnies kreisen in ihren besten Momenten um genau jene Aussetzung administrativer, militärischer oder überhaupt staatlicher Macht. Nur daß am Ende anders als bei Wilhelm Busch nicht die Strafe erfolgt (von Franquins „Schwarzen Gedanken“ einmal abgesehen).

Nach einigen Vorarbeiten übernahm der Zeichner 1946 von Jijé die Serie „Spirou“, in der 1951 eine der schillerndsten Comicfiguren zum ersten Mal auftrat: das Marsipulami. Ein geflecktes Dschungeltier, schnell, kräftig, anarchistisch – alles andere als ein treuer Haushundersatz, vielmehr mit einem sehr eigenen Willen ausgestattet. Es ist kein Zufall, daß das Marsipulami als eine Art Wappentier lange an der Wand der Hafenstraße in Hamburg prangte.

Am 3. Januar 1924 wurde Franquin in Brüssel geboren, einer Stadt, der das 19. Jahrhundert brutal durch Nachkriegsbauten ausgetrieben wurde. So laufen in den „Gaston“-Bänden die Eisenmänner, Ballonverkäufer, Trödler und Schrotthändler traurig-ortlos umher wie sonst nur in Fellinis „La Strada“. Diese Figuren sind endgültig von moderner Großstadt und Weltwirtschaft verschluckt worden, im aktuellen letzten Band der „Gesammelten Schriften“ fehlen sie. Nur Gastons Auto verliert noch wie eh und je Schrauben bei jeder Fahrt, qualmt wie ein nasser Ofen und schleicht laut krachend durch die Straßen. Seltsamerweise überlegt nun Gaston selbst, ob er die Kiste nicht besser gegen ein neues Modell eintauschen sollte.

„Es gibt keine echte Clownerie, die nicht die Bestimmung hätte, die herkömmlichen Weltverhältnisse umzukehren“, schrieb Siegfried Kracauer über Grock und Chaplin; er hätte damit auch Franquins Comicfiguren meinen können. Die permanente Revolte des Angestellten Gaston gegen die Beschränkung der Büroordnung und der technischen Apparate zieht aus dieser Umkehrung ihren Witz: Kein Vertrag wird je gültig werden, jeder hochgerüstete Düsenjäger muß seine selbstgebastelten Raketenbausätze fürchten. Mit seinen Apparaten setzt Gaston die Herrschaft der Apparate aus. Eine Hoffnung, die offenbar wenig Tröstliches für Franquin hatte, seine Depressionen wurden immer stärker. In den „Schwarzen Gedanken“ von 1977 finden sie noch einmal ihren Niederschlag, bevor Franquin nahezu verstummte. Am 5. Januar dieses Jahres verstarb er in Nizza. Martin Zeyn

André Franquin: „Gaston – Gesammelte Katastrophen“. Band 18, Carlsen Verlag 1998, 14,90 DM