Mahnwachen vor dem Gefängnistor

■ Auf den Philippinen steht die erste Hinrichtung seit 22 Jahren bevor. Das führt zu Protesten der Kirche und heftigen politischen Debatten

Berlin (taz) – Seit gestern hat Leo Echegaray Gewißheit. Das philippinische Justizministerium verschob den bisher nicht veröffentlichten Termin seiner Hinrichtung auf die erste Januarwoche. Auf den Philippinen, wo 85 Prozent der Bevölkerung katholisch sind, würde eine Hinrichtung noch vor Weihnachten gegen den christlichen Geist verstoßen, sagte der Justizminister zur Begründung.

Schon seit Wochen wartet Echegaray im Block 1 des Hochsicherheitstrakts des Bilibid-Gefängnisses am Stadtrand von Manila auf die Todesspritze. Sie soll den 38jährigen, der im September 1994 wegen mehrfacher Vergewaltigung seiner zehnjährigen Stieftochter zum Tode verurteilt wurde, in spätestens drei Minuten ins Jenseits befördern. Vor dem Gefängnis halten Angehörige und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen eine Mahnwache. Denn der Anstreicher Echegaray ist der erste, der auf den Philippinen seit 22 Jahren hingerichtet werden soll. Das Oberste Gericht hat das Urteil bestätigt und alle drei Berufungsanträge seines Anwalts abgelehnt. Sie haben bereits dazu geführt, daß die Exekution nicht wie vorgeschrieben spätestens 18 Monate nach der Urteilsverkündung stattfand.

Echegarays letzte Überlebenschance wäre eine Begnadigung durch Präsident Joseph Estrada. Doch der hat dies bereits abgelehnt, obwohl ihn die philippinische Bischofskonferenz dazu aufgefordert hatte. Die Bischöfe nannten die Hinrichtung einen „Akt der Sünde von wahrhaft teuflischem Ausmaß“. Doch Estrada sagte dazu: „Unsere Priester sollen anfangen, für seine Seele zu beten.“ Auch der Papst sowie die Europäische Union und Kanada konnten den Präsidenten nicht umstimmen. Er sieht die Hinrichtung als Lektion für Vergewaltiger.

Zuletzt wurde in den Philippinen die Todesstrafe 1976 mit dem elektrischen Stuhl vollstreckt. Seit dessen Einführung 1924 wurden 102 Menschen hingerichtet. Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur wurde die Todesstrafe 1987 abgeschafft, doch 1994 vom Parlament wiedereingeführt. Neben den Philippinen ist die Giftinjektion als Hinrichtungsmethode nur in den USA, China, Taiwan und Guatemala zugelassen.

Seit 1994 wurden auf den Philippinen 820 Menschen zum Tode verurteilt, davon 79 im Oktober. 450 sind Vergewaltiger, darunter 159, die ihre eigenen Kinder oder Verwandten mißhandelten. Die Todesstrafe gilt auch für Mord, Raubmord, Kidnapping, Drogenhandel, Brandstiftung und schwere Korruption. Bei über 20 Todeskandidaten sind inzwischen alle Rechtsmittel mit Ausnahme der Begnadigung ausgeschöpft.

Die anstehende erste Hinrichtung hat heftige Debatten ausgelöst, die es bei Wiedereinführung der Todesstafe in diesem Ausmaß nicht gab. Senatspräsident Marcelo Fernan schätzt die Chancen für eine Gesetzesänderung auf 50 Prozent. Amnesty international zufolge stammen fast alle zum Tode Verurteilten aus armen Bevölkerungsschichten, die sich keine guten Anwälte leisten können. Zudem seien nicht alle Verfahren fair. Einige Verurteilte hätten den Vorwurf erhoben, sie seien unter Folter zu Geständnissen gezwungen worden.

Auch Echegarays Anwalt sieht dessen Schuld als nicht zweifelsfrei erwiesen. Kritiker halten die Todesstrafe für ungeeignet zur Eindämmung schwerer Verbrechen. „Jeden Morgen grüßen uns Berichte über Vergewaltigungen und Kidnappings. Das beweist, daß Kriminelle die Todesstrafe nicht fürchten“, sagt Senatorin Miriam Defensor Santiago. Befürworter argumentieren, die Zahl der Verbrechen habe deshalb nicht abgenommen, weil bisher niemand exekutiert wurde. „Laßt uns erst mal fünf hinrichten, bevor wir das Gesetz überprüfen“, meint Senator Renato Cayetano. Er fordert die TV-Übertragung von Exekutionen: „Was nützt eine Hinrichtung, wenn man sie hinter verschlossenen Türen durchführt, wo sie nur wenige Leute sehen können?“

Echegaray könnte somit zur ersten Testperson für die Todesstrafe werden. Angesichts der bevorstehenden Hinrichtung ist das Gefängnispersonal bereits viel freundlicher zu ihm geworden. Sven Hansen