Keine schmutzigen Hände

Flucht vor der Malerei, Sprache als Kunst: Der New Yorker Minimalist Lawrence Weiner schreibt in der Nürnberger Kunsthalle Sätze als Wortplastiken an die Wände  ■ Von Martin Pesch

Als Lawrence Weiner eingeladen wurde, an der siebten documenta teilzunehmen, entschied er sich für eine einfache Lösung. Über dem Eingangsportal des Kasseler Fridericianums brachte er einen Schriftzug an: „Many coloured objects placed side by side to form a row of many coloured objects.“ Das ist ein einfacher Satz, den Weiner schon 1979 an die Wände sonst leerer Galerieräume und an Fassaden alter Backsteingebäude geschrieben hatte. Eine einzelne künstlerische Arbeit, die auf andere Arbeiten verweist, aber doch auf sich zurückgeworfen bleibt. Ein Satz, der im Betrachter und Leser die Vorstellung dessen auslöst, was er sagt: bunte Dinge, nebeneinander angeordnet, um eine Reihe bunter Dinge zu ergeben.

Der Satz begrüßte 1982 die documenta-Besucher und verkündete ihnen die Intention des Kurators Rudi Fuchs, der große Teile der Weltkunstschau dem bunten Treiben der Neo-Expressionisten widmete. Was Weiner außen hingeschrieben hatte, wurde innen Wirklichkeit; sein Satz, Objekt an sich, bekam ein Objekt, das er beschrieb. Weiner muß sich ganz schön geärgert haben.

Ein Kunstwerk, das nichts als Titel ist

Lawrence Weiner macht einfache Kunst. Ganz im Sinne der Concept und Minimal Art der sechziger Jahre. Das Kunstwerk ist alles, was man sieht, nichts sollte darüber hinausweisen. Das sichtbare Objekt bindet alle Transzendenz an sich zurück. So hält es Weiner nun schon über dreißig Jahre. 1968 hat er zwei Minuten lang mit einer Spraydose einen Farbpunkt auf den Galerieboden gesprüht und dieser Arbeit einen Titel gegeben, der genau das beschreibt. Und weiter radikalisiert hat er diese Reduktion in einer Arbeit von 1995. An die weiße Wand eines Museums in Tokio schrieb er in schwarzen Versalien: „One quart exterior green industrial enamel thrown on a brick wall.“ Nichts ist davon zu sehen, was dieser Satz, den Weiner für die japanischen Gastgeber in deren Schriftzeichen daneben setzte, beschreibt. Kein grüner Farbfleck an einer Steinmauer, keine Spur eines solchen vitalen Aktes. Schwarze Buchstaben sieht man, ein Kunstwerk, das nichts weiter ist als sein Titel. Sehr schön schnurrt in dieser Arbeit künstlerischer Akt und seine Repräsentation zusammen. Weiner bescheidet sich mit der nicht mehr zu verkürzenden sprachlichen Darstellung von etwas, aus dem andere große Kunst machen.

Davon hatte der 1942 geborene Künstler schon ziemlich früh genug. Als er Ende der fünfziger Jahre von der Ostküste nach San Francisco trampte, war damit eine Flucht vor den Spätausläufern Pollockschen Malertums verbunden, eine Flucht vor der großen Geste. In Kalifornien traf Weiner auf eine Szene von bis dato unbekannten Künstlern, die alle seltsame Arbeiten machten und so gar nichts mit großer Pinselschwingerei zu tun hatten. Das fand er gut, da machte er mit. 1960 ging er auf eine Freifläche nahe der Stadt und sprengte mit kleinen Portionen TNT kleine Krater in den Boden.

„Cratering Piece“ gilt heute als sein erstes wichtiges Werk: „Meine Entscheidung, eine Skulptur zu machen, indem ich Löcher in den Boden sprengte, ist in bezug auf mein Werk eine große Sache. In bezug auf das, was damals dort vorging, war ich bloß ein weiterer Künstler, der eine weitere Skulptur draußen im Park macht, mit Sprengstoff, mittels einer Performance, mit Tonnen von Stahl. Alles das war normal“, sagt Weiner in einem Interview mit Benjamin H.D.Buchloh.

Daß vom „Cratering Piece“ schon bald nichts weiter übrigblieb als die Berichte, die davon erzählen und die nicht viel mehr erzählen können, als was tatsächlich passiert war – dieser Umstand hat Weiner zu der Überzeugung gebracht, daß man sich gleich auf die Beschreibung beschränken könnte. Warum die Hände schmutzig machen, wenn im Nachhinein doch nichts weiter zählt als trockene, saubere Worte. Seitdem betrachtet Weiner geschriebene Worte als Material seiner Plastiken, die Schreibfläche als mise en scene, auf der er Worte inszeniert. So wie die kleinen Krater 1960 schnell zugeweht und verschwunden waren, verschwinden die Wort-Plastiken im Kopf des Betrachters/Lesers und geben ihm die Möglichkeit, sich darunter etwas vorzustellen. 1968/69 hat Weiner diesen Vorgang in der „Declaration of Intent“ so ausgedrückt: „1. Der Künstler kann das Werk bauen. 2. Das Werk kann angefertigt werden. 3. Das Werk muß nicht gebaut werden. Jede Möglichkeit ist gleichwertig, und jede entspricht der Absicht des Künstlers. Die Entscheidung über den Zustand liegt beim Empfänger im Moment der Übernahme.“

Design ist nur das, was wir gesehen haben

Weiner, der heute in New York lebt, wurde schnell klar, daß das Plakat ein Medium ist, das einer Kunstauffassung, wie sie in dieser Absichtserklärung zutage tritt, sehr entgegen kommt. Insbesondere der ephemere Charakter hat es ihm angetan. Es kündet von einem temporären Ereignis, es wird in großer Stückzahl hergestellt, es hängt nicht herausgehoben zwischen vielen anderen Plakaten, es hat lediglich den Wert, den die Druckkosten verursachen. „Auf den Wind geschrieben“ – in dieser leicht modifizierten Redewendung ist dieses Zusammenspiel schön zusammengefaßt. Sie ist der Titel einer Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg, wo Weiners Plakate zu seinen eigenen Ausstellungen der letzten dreißig Jahre zu sehen sind.

Die Plakate sind beherrscht von Worten. Oft zeigen sie nichts als den Titel der Ausstellung und den Namen der Galerie, wo dann nicht selten nichts anderes als der Titel der Ausstellung als ausgestellte Arbeit an der Wand geschrieben steht. Nichts entspricht an ihnen dem geläufigen Plakatdesign, nichts heischt nach Aufmerksamkeit, Anti-Design beherrscht die Szene. „Das Plakat funktioniert durch seine Eigenschaft des Gemachtseins, des Gezeigt- und Gesehenwerdens. Was wie Design aussieht, ist lediglich das, was wir gesehen haben.“ So trocken drückt Weiner den Sachverhalt und sein Interesse an Plakatkunst aus.

Im hinteren, kleinsten Raum der Kunsthalle hat Weiner eine Wandarbeit angefertigt. In roten Buchstaben mit schwarzer Outline hat er in deutscher und englischer Sprache über die vier Wände folgenden Satz geschrieben: „Reihen von Kohl mit roter Tinte markiert und morgen vergraben“. Offenbar hat Lawrence Weiner das Ergebnis der Bundestagswahl sehr beeindruckt.

Bis 6.12., Kunsthalle Nürnberg