Die Wirklichkeit hinter Barbie-Puppen

■ Norwegische Verbraucheraktion gegen Ausbeutung in chinesischer Spielzeugindustrie. Neuer Bericht über Arbeitsbedingungen

Oslo (taz) – Wenn die norwegischen Kinder in vier Wochen ihre Geschenkpakete unter dem Weihnachtsbaum öffnen, ist die Wahrscheinlichkeit diesmal nicht ganz so groß wie in den vergangenen Jahren, daß es eine Barbie-Puppe, ein Fisher-Price-Spiel, ein Tomy- Auto ist. Das jedenfalls ist das Ziel einer VerbraucherInnenkampagne, welche die Organisation NorWatch jetzt zum weihnachtlichen Kaufrausch gestartet hat.

Damit will sie ein Bewußtsein dafür schaffen, welche Knochenarbeit, welch unmenschlichen Verhältnisse und welches Maß an physischer wie psychischer Ausbeutung hinter der mittlerweile zu 80 Prozent aus chinesischen Fabriken stammenden Spielzeugproduktion von Konzernen wie Mattel oder Brio steckt. Bis zu 16 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, 51 Wochen im Jahr – eine Urlaubswoche jährlich ist die einzige Freizeit – arbeiten zumeist 16 bis 30 Jahre alte Mädchen und Frauen unter oft gesundheitsgefährdenden Bedingungen. Dafür wird ihnen ein Hungerlohn gezahlt, krankheitsbedingtes Fehlen wird nicht akzeptiert, und können oder wollen sie nicht mehr arbeiten, ist die Einbehaltung mehrerer Monatslöhne als Strafe üblich.

NorWatch, eine von der norwegischen Umweltgruppe „Framtiden i vara hender“ („Die Zukunft liegt in unseren Händen“) vor zwei Jahren gegründete Verbraucherorganisation, stützt sich bei der Beschreibung dieser brutalen Wirklichkeit hinter den Barbie-Puppen und Tomy-Spielen auf einen kürzlich erschienen Bericht der CSSPT („Coalition for the Charter of the Safe Production of Toys“), die sich seit Jahren mit menschenunwürdigen Verhältnissen in der Spielzeugindustrie befaßt.

In zwölf Fabriken mit insgesamt 50.000 Beschäftigten in der chinesischen Provinz Guangdong haben zwischen August und Oktober dieses Jahres verdeckt arbeitende MitarbeiterInnen ermittelt – Außenstehenden wird durchweg der Zutritt in die Fabriken, die für Importeure wie Mattel, Brio, Nestlé und McDonald's arbeiten, verweigert. Durchweg beklagten sich die Mädchen und Frauen über die langen Arbeitstage, die dazu führen, daß sie so gut wie nie Tageslicht sehen und einen gut Teil von ihnen dazu zwingen, in den Fabriken zu essen und zu übernachten.

In der Zhonghsan-Fabrik, von der Brio seine Tomy-Spiele bezieht, wird für einen Arbeitstag von täglich 13 bis 14 Stunden und bei einer Sieben-Tage-Arbeitswoche ein Monatslohn von 100 Mark bezahlt, wovon wiederum zehn Prozent Kostgeld abgezogen werden. Gewerkschaftliche Organisation wird nicht zugelassen, einem Streik im vergangenen Jahr folgten Massenentlassungen. Noch schlimmer die Arbeitsbedingungen in der ebenfalls für Brio produzierenden Bingo-Fabrik, wo fast nur junge Mädchen arbeiten, die Löhne noch niedriger liegen und beim Einsturz eines Schlafsaals im August sieben Arbeiterinnen getötet und 30 verletzt wurden.

Der Brio-Import-Verantwortliche, Svein Erik Andersen, beklagt in einer Stellungnahme gegenüber NorWatch diese Arbeitsverhältnisse, meint aber, seine Firma habe damit nichts zu tun: Es sei Sache der chinesischen Behörden, da tätig zu werden.

Beim Spielzeuggiganten Mattel will man nichts davon gehört haben, daß Barbies und Fisher-Price- Spielsachen unter solchen Bedingungen produziert werden: Man mache eigene Untersuchungen und habe dabei Verhältnisse, wie der CSSPT-Bericht sie schildert, nicht festgestellt. NorWatch aber zweifelt den Bericht nicht an, zumal die Internationale Arbeitsorganisation ILO ähnliche Vorwürfe macht. Inzwischen macht das norwegische Beispiel Schule: Schwedische Verbrauchergruppen haben sich der Aktion angeschlossen. Reinhard Wolff