Kein Frieden auf der Plaza Che

■ Wer in Kolumbien studiert, tut es in der Hoffnung, dem Teufelskreis aus Bürgerkrieg und Drogenhandel zu entkommen. Jetzt soll der Zugang zum Studium eingeschränkt werden

Eine braungefleckte Kuh humpelt über die Grasnarbe zwischen dem Sportgebäude und dem Museum für Moderne Kunst, ein Esel trottet hinter ihr her – die Zuchttiere der Fakultät für Veterinärmedizin genießen den freien Auslauf auf dem Campus der Nationalen Universität von Bogotá. Aus dem Polideportivo, einem grauen Betonkasten zur Leibesertüchtigung, schallt der Klang von Hanteln und Gewichten, mit denen sich die Studenten fit halten. Vor ein paar Wochen noch war das Gebäude von Bauern besetzt. Ihr Dorf in der nördlichen Provinz Bolivar war zwischen die Bürgerkriegsfronten geraten. Um die neugewählte Regierung des konservativen Präsidenten Andres Pastrana zur Vermittlung zu bewegen, hatten sich die Bauern auf dem Campus verschanzt. Auch wenn der Abzug des Militärs aus ihrer Heimat mittlerweile die Rückkehr der Bauern ermöglicht hat – Normalität ist in der Universidad Nacional noch lange nicht eingekehrt.

Dabei hatte die größte Universität des Landes einen guten Start: In den frühen 40er Jahren war der Campus in Form einer riesigen Eule am Stadtrand Bogotás entstanden. Universales Wissen sollte hier vermittelt, die geistige Elite des Landes für die schwierige Aufgabe des nationalen Aufbaus ausgebildet werden. Nicht nur Politiker und spätere Präsidenten waren hier eingeschrieben – der Kommandant der Revolutionären Streitkräfte FARC, mit dem Spitznamen Tirofijo (Sicherer Schuß), war sogar Dozent an dieser Uni, bevor er sich in den 60er Jahren für das Wohlergehen seines Volkes in den Dschungel schlug. Auch wenn Kolumbien kein 68 erlebt hat – der Platz in der Mitte des Campus wird seitdem nur „Plaza Ché“ genannt.

Heute vermittelt der Campus zwar noch immer das Gefühl revolutionären Aufbruchs – die Wände sind voller Graffiti, Studenten knutschen oder kiffen in aller Ruhe auf dem Gelände, das die Polizei nicht betreten darf – die wahren Sorgen der 40.000 Studenten aus dem ganzen Land drehen sich jedoch mehr um die eigene Zukunft als um Marx und Mao. Die Konkurrenz privater Ausbildungseinrichtungen droht die öffentliche Bildung in Kolumbien zu ersticken: Allein in Bogotá, wo vierzig Prozent aller Studenten des Landes leben, ist die Zahl privater höherer Schulen in den vergangenen dreißig Jahren von 65 auf 156 gestiegen. Deren Niveau ist sehr unterschiedlich. Einige genießen internationalen Ruf, wie die jesuitische Gründung Universidad Javeriana, andere gelten als käufliche Karrierefabriken für die höheren Söhne und Töchter. Die dreißig staatlichen und regionalen Hochschulen dagegen konnten bisher ihren guten Ruf vor allem dank schwieriger Aufnahmeprüfungen rechtfertigen, waren dafür aber offen für alle Bevölkerungsgruppen, die sich die Kosten von rund 130 Mark im Jahr leisten konnten.

Jetzt droht das Wirtschaftsministerium mit einer schleichenden Privatisierung des öffentlichen Hochschulbereichs: Die Einschreibegebühren seien viel zu gering, argumentiert die konservative Regierung, denn ein Student koste jährlich fast 8.000 Mark, der Staat trage also über 98 Prozent der Kosten. Um das zu ändern, sollen die Einschreibegebühren über Jahre gestaffelt ansteigen, bis sich die Universitäten selber finanzieren. Dagegen laufen die Studierenden Sturm. Ist doch die höhere Bildung in dem oligarchischen Machtsystem Kolumbiens eine der wichtigsten Garanten für eine nachhaltige Demokratisierung und Entflechtung der etablierten Seilschaften in Politik, Wirtschaft und Militär.

Die zwanzigjährige Laura Pinzón Ochoa ist seit zwei Jahren an der Linguistischen Fakultät der „Nacho“ eingeschrieben, wie die Universidad Nacional liebevoll genannt wird. Sie studiert Deutsch, weil sie eine Schwäche für Sprachen hat und Lehrerin werden will. Lauras Uni ist in einem desolaten Zustand. Überall sieht sie auf zerfallene Gebäude und zerbrochene Scheiben. Aber sie macht vor allem Korruption und Organisationsfehler für das Chaos verantwortlich: „Genauso wie du dich als Mann vom Wehrdienst freikaufen kannst, gibt es Studenten, die sich die Zulassung oder ein gutes Examen erkaufen!“

Das Argument allerdings überrascht in Kolumbien niemand, das weiß auch Laura, denn die palancas genannten Schmiergelder sind aus dem Wirtschaftssystem des Landes kaum wegzudenken. Kein Wunder also, daß die Universität nach wie vor radikale Gruppen hervorbringt, deren Pamphlete sich lesen, als sei die Nachricht vom Mauerfall noch nicht in den Tropen angekommen. Und der jahrzehntealten Gewaltkultur des Landes gemäß eskalieren fast jede Woche die Demonstrationen zu Schlachten zwischen steinewerfenden Studenten auf dem Campus und der Polizei, die jenseits mit Tränengas und Wasserwerfern zurückschießt.

Laura Pinzón und ihre Kommilitonen stehen mit ihrem Willen, „ganz normal“ zu studieren, im Abseits. Kein Wunder, daß sich viele Studenten angesichts der harten Kämpfe und der Bedrohung ihres Studiums durch hohe Gebühren in Nostalgie zurückziehen: Die Kühe auf dem Campus werden von allen geliebt und gehätschelt. Kai Laufen