Stardust Memories

Wilde Glam-Rock-Fantasie mit Reverenz an den vermeintlichen Stifter Oscar Wilde: Todd Haynes' „Velvet Goldmine“  ■ Von Thomas Groß

Der Anfang ist nicht einfach Anfang, sondern Verkündigung. Raumschiffgroß durchschwirrt eine Untertasse die Eröffnungssequenz von „Velvet Goldmine“, eines dieser gleißenden Objekte, die aus der Tiefe eines tiefblauen Hollywood-Himmels hervorstoßen. Und die Sterne funkeln. Und die Augen der Erdlinge glitzern. Und ein Kindlein ward uns in die Wiege gelegt. Erzählt wird aber nicht die Geschichte von Ben Hur, E.T. oder das Leben des Brian, nein, viel extravaganter: It's a Dandy!

Der knallig-melodramatische Auftakt, den Todd Haynes für seine Fantasie über Glam Rock gewählt hat, ist eine Reverenz an den Gründervater. Oscar Wilde, 1854 in Dublin geboren, soll's gewesen sein, der all dies auf die Welt gebracht hat: das Spiel mit Masken und Mode, die Lust an der Pose, das Changieren von Identitäten, eben jenen Glanz, den Haynes zufolge die frühen Siebziger beerbten. Um ihn gleich darauf wieder zu verlieren. Haynes behandelt Glam Rock, die Ära von Plateausohle und Pailletten-T-Shirt, als verlorene Episode der Rockgeschichte, maßlos in ihrem Stilwillen, revolutionär in ihren Begierden, hybrid in der allgemeinen Prachtentfaltung. Jonathan Rhys Meyers spielt einen David Bowie nachempfundenen Rockstar namens Brian Slade, der auf offener Bühne seinen Tod inszeniert, weil er die von ihm erschaffene Kunstfigur nicht länger erträgt. Ikarus mit verbrannten Flügeln gleich, stürzt er in ein graues orwellsches 1984, die Gegenwart des Films. Von hier aus entfaltet sich das Geschehen in Rückblenden, die immer wieder auf Wilde als Ur-Dandy und mythischen Stifter anspielen, Botschaft: Wann immer wo was glitzert, ist er mitten unter uns.

Und es glitzert reichlich. „Velvet Goldmine“ ist nicht nur ein postironisches Mysterienspiel um Gründung und Nachfolge. Von den vier oder fünf Geschichten, die Haynes in sechs oder sieben Genres erzählt, serviert der Kostümfilm am üppigsten. Man meint, mehr als sieben Millionen Dollar zu sehen. Angeblich wurden Scouts in Antiquariate geschickt, um das Dekor der frühen Siebziger authentisch ins Bild zu bekommen. Gefunden haben sie dort nicht die peinlichen Aspekte, die es im Glam Rock zweifellos auch gab, sondern ein rundherum fashionables Glam-O-Rama. Glam, wie Haynes ihn versteht, ist schwelgerisch und dekadent wie alter Adel, ein Festival der Brokatkleider und Kristallüster, mittendrin Meyers als androgyner König der Stilisten, der in seinen Trikotagen die inszenatorischen Möglichkeiten, wie sie Bowie 1972 zur Verfügung standen, weit unter sich läßt.

Die nachträgliche Exaltierung eines geschichtlichen Moments ist das Pfund, mit dem der Film wuchert, aber auch sein Problem. Er will auf allen Ebenen funktionieren, als Abbildung einmaliger Ekstase ebenso wie als großer Rätselspaß um Bands und Namen – das Jungsexpertenspiel. Ist Curt Wild (Ewan McGregor), der amerikanische Freund, den Slade/Bowie in seinen Glanzzeiten als Mitstreiter und auch Geschlechtspartner entdeckt, nun eher nach dem Bild von Iggy Pop oder von Lou Reed gemodelt? Wie lange ist das alles eigentlich her? Und wer ist der geheimnisvolle Dandy, der mit Zigarettenspitze und Federboa immer wieder durch die frühe Londoner Clubkultur geistert? Bryan Ferry? Andy Warhol? Oscar Wilde selber? Haynes liefert die Anschauung zum Who is who, doch er gibt keine Auflösung. Als Schlüsselfilm verschwimmt „Velvet Goldmine“ in seinem eigenen Bildüberschuß.

Der Erzählfluß, der dadurch entsteht, ähnelt dem Traum. Nach den Gesetzen von Verdichtung und Verschiebung sind alle Figuren Mischwesen, Fabeltiere ohne Zeit und handlungstragende Logik. Slade ist nicht einfach ein Bowie-Double, auf der Bühne singt er (auch aus rechtlichen Gründen) Stücke von Steve Harley und Roxy Music und trägt den Namen einer halbvergessenen Gröhl-Glam- Combo. Curt Wild ist sowohl Iggy Pop als auch Lou Reed als auch Bowies Gitarrist Mick Ronson als auch – am Teddybärenfilz sollt ihr ihn erkennen! – Kurt Cobain.

Verblüffend, wie mühelos es Ewan „Trainspotting“ McGregor gelingt, Cobain aus ein paar Requisiten und Gesten heraus zu erschaffen, eine stark ikonographische Gestalt, die dennoch mit derselben Glaubwürdigkeit ins Iggymäßige changiert. In solchen Momenten lädt „Velvet Goldmine“ zur Reflexion über das Zeichenhafte der Popkultur selbst. Alles gleitet, scheint ineinander kopierbar, selbst so vordergründig unterschiedliche Stilistiken wie Glam und Grunge. Spielt Slade im Varieté vor, trifft sich Dancehall-Zauber mit Art-deco-Schwulst und einer durch MTV geprägten Vorstellung von Videoclips.

Vom Videoclip als legitimen Nachfolger des Experimentalfilms stammt auch das verwischte Pathos des Zeigens, das nichts mehr benennen will. Wenn Berlin, ein Nebenschauplatz in der Geschichte des Glam Rock, auftaucht, ist es ein blinkendes Signet, auf dem „Kreuzberg Keller“ steht. Die Tonspur leistet ein übriges. Mit Leichtigkeit gelingt es den im Soundtrack vertretenen Bands, die Grenzen zwischen „Original“- Kompositionen und Glam-Auftragsarbeiten bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen. In seiner Binnenhandlung schwebt „Velvet Goldmine“ zwischen Metaclip und Musical, als wolle er die Lyotardsche These, in der Postmoderne verschwinde die Wirklichkeit zugunsten einer endlos sich windenden Signifikantenkette, nachträglich illustrieren.

Und trotzdem – Clou! – will der Film auch aus seinem eigenen Traum erwachen. Christian Bale spielt in der Rahmenhandlung einen Journalisten, der im Auftrag einer New Yorker Zeitung dem verschwundenen Slade nachforscht. In einem Krankenhaus macht er dessen früheren Manager ausfindig, in einer heruntergekommenen Bar trifft er auf Mandy Slade (ein Pastiche von Bowies Ehefrau Angie), die jeweils eigene, interessierte Varianten der Geschichte anbieten. Hier schlüpft Haynes plötzlich in die Maske des Aufklärers und argumentiert ganz klassisch. Sein Reporter ist ein Nachfahre des Detektivs, der den Fall investigativ lösen möchte und dabei in ein quasi psychoanalytisches Setting gerät. Weil Glam der Sound seiner eigenen Kindheit war, begegnet er in seiner Suche nach Bowie/Slade im Fremden immer zugleich dem Eigenen. Das wahre Gesicht von Glam Rock wäre in dieser reichlich herbeizitierten Gleichung zugleich das wahre Bild seiner selbst.

Es ist faszinierend anzusehen, wie Haynes sich den Prozeß der Aufhebung von Verdrängung inmitten der Bilderflut vorstellt: als würde man den Deckel über einem Topf lüften und heraus purzelten die Wahrheiten. Dabei liegt Zitat über Zitat über Zitat. Hitchcock hat's vorgemacht, den Journalisten überkommt es im Hinterzimmer einer auf orwelltrist geschminkten Kneipe, in der ein heruntergekommener Curt alias Kurt alias Iggy hockt und mürrisch sein Bier süffelt. In einem halluzinatorischen Moment der Erweckung wird dem Psycho-Detektiv klar, daß hier niemand anderes sitzt als seine verratene Jugendliebe, der Mann, der ihn im Anschluß an ein Glam- Rock-Konzert verführte. Und prompt, wie in einer Liveschaltung ins Unbewußte, sind die beiden auch schon im Bild, wie sie halbnackt über den Dächern Londons herumturnen.

Die Botschaft, die sich am Grund der Velvet Goldmine abzeichnet, ist denkbar schlicht: Wären wir nur alle etwas offener schwul, hätten wir zumindest ein größeres Herz für die androgynen Seiten in uns – die Welt wäre soviel schöner und bunter! Es ist eine Weisheit wie aus den Siebzigern selbst, in der wahlweise Frauen, Kinder, Irre, Ausländer als bessere Menschen ins Feld geführt wurden, hier kolportiert von einem Erfolgsregisseur des Queer Cinema der Neunziger. Es weihnachtet sehr!

Wenigstens in einem Punkt hätte Haynes es mit der historischen Wahrheit etwas genauer nehmen können: Just zu dem Zeitpunkt, zu dem er Glam Rock in einer Szenerie aus Verrat und Karrierismus elendiglich ersticken läßt, lebte das androgyne Element im Discofieber wieder auf. Seither ist es aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken. Paradoxerweise ist es Haynes' Film selbst, der der Story von Aufstieg und Fall, Triumph und Verrat, Verdrängung und Erweckung am entschiedensten widerspricht. Es ist ja letztlich ein Streifen für die ganze Familie. Ob dabeigewesen oder nachgeboren – jeder kann seine eigene Variante von Glam Rock herauslesen. Das geht nur, weil Glam, Erbe des Film- und Popstarglamours, sich weltweit durchgesetzt hat, und zwar nicht als schwule Spezialität, sondern als Schimmer einer rundum ästhetisierten Welt.

Es sind am Ende die Neunziger, die sich in den Siebzigern abbilden, nicht umgekehrt. Verhandelt wird ein Stoff, der Fotostrecken und mehrseitige Specials vor sich herwälzen soll, alles andere würde die Erwartungen untertreffen. „Könnte dies der erste Film als Make-up-Geschichtsstunde sein?“ fragte die amerikanische Vogue im Oktober rhetorisch, selbst bereits mittendrin im großen Spiel um Mythen-Recycling und Styleploitation. Das ist der Stoff, aus dem die Hits gemacht sind. Das macht uns allen Spaß. Könnte sogar Oscar Wilde gefallen.

„Velvet Goldmine“. Buch und Regie: Todd Haynes. Mit Jonathan Rys Meyers, Ewan McGregor u.a., UK 1997, 120 Min.