Skandinavisches Märchen, alternativ gestrickt

■ Folkpop mit feministischem Appeal aus dem fernen Europa: Bei der finnischen Formation Värttinä stehen die vier Vokalistinnen in der ersten Reihe, doch die Männer machen die Musik

Finnland liegt irgendwo in Afrika oder auf Kuba. Kaum anders ist zu erklären, daß die Weltmusikszene so auf Värttinä, die Folkpopband aus Helsinki, abfährt. „Vihma“ heißt ihre neue CD, und kaum ist sie auf dem Markt, steht sie schon auf Platz eins der Weltmusik-Radiocharts – wo europäische Gruppen sonst wirklich nicht viel zu melden haben, es sei denn, sie sind asiatische Einwanderer in London. Aber Värttinä sind Finnen, und das scheint doch irgendwie – EU hin oder her – exotisch genug zu sein.

Oder es ist der feministische Appeal, der von Värttinäs vier (!) Frontfrauen ausgeht: Hier stehen die Frauen in der ersten Reihe, und die Männer an den Instrumenten dürfen nur niedere Handlangerdienste im Hintergrund leisten. Ein Klischee wie aus dem linksalternativen Märchenbuch. Und wenn das Märchen aus Skandinavien kommt, glaubt man es gleich um so lieber.

Nur Värttinä haben keine Lust, das Spiel mitzuspielen. „Wir sind überhaupt keine feministische Band“, lacht Mari Kaasinen. „Nein,“ ergänzt Janne Lappalainen, der Saxophonist, „wir sind eine demokratische Gruppe. Bei uns hat jeder eine Stimme.“ Und wie das im Zweifel ausgeht, rechnet er gerne vor: Värttinä bestehen zur Zeit aus sechs Finnen und nur vier Finninnen.

Früher war das allerdings anders. Früher, als Sari Kaasinen, die Schwester von Mari, noch mit dabei war. In den 80er Jahren begann Värttinä quasi als singende Jugendgruppe in einem ostfinnischen Dorf. Sari war die Älteste der fünfzehn Mädchen und sechs Jungs und damit auch die Anführerin. Lange Zeit hat sie auch die meisten Stücke arrangiert und komponiert. Anführerin blieb sie auch später, als vier der Gründungsmitglieder nach Helsinki zogen und die Band gemeinsam mit etablierten Folk- und Rockmusikern neu erfanden. Doch jetzt ist Sari Kaasinen Mutter und deshalb bei Värttinä ausgestiegen. Die neuen Stücke stammen fast vollständig von Lappalainen und zwei anderen Männern der Band.

Als eine „Mischung aus Abba und bulgarischen Frauenchören“ hat mal ein amerikanischer Journalist die Musik von Värttinä beschrieben. War das als Lob oder als Kritik gemeint? Ist heute eh egal. Jedenfalls muß Värttinä sich nicht zwischen Pop und Folk entscheiden, sie sind Folkpop ganz eigener Art. Bis zum endgültigen „Värttinä-Sound“ ringen zehn Leute mit unterschiedlichem Hintergrund um jedes Arrangement. So spielt der Gitarrist sonst mit Senegalesen zusammen, der Fiddler mag's auch gerne irisch, während Schlagzeuger und Bassist aus der Jazzrock- Ecke kommen.

Doch die Erfolgsgarantie von Värttinä ist natürlich der scharf akzentuierte weibliche Gesang. Und deshalb – und wohl allein deshalb – stehen die Frauen bei Värttinä so sehr im Mittelpunkt. „Das ist eine Frage des Marketings“, sieht es auch Janne Lappalainen ganz nüchtern, „wir sind zehn Leute, da können nicht alle in der ersten Reihe stehen. Also müssen die in den Vordergrund, die uns unverwechselbar machen.“ Christian Rath

Ab 21 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176