Steuer reizt Rot-Grün weiter

■ NRW-Ministerpräsident Clement kritisiert Steuerreform. Geplante Neuregelung der 620-Mark-Jobs wird von SPD-Politikern Beck und Simonis attackiert. Trittin verteidigt Pläne

Berlin/Hannover (taz) – Ein Brief des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, in dem dieser die Steuerpolitik der rot-grünen Koalition in Bonn kritisiert, hat am Wochenende für Verwirrung gesorgt. War Clements Schreiben noch aktuell – oder war es durch die Nachbesserungen der Koalitionäre schon längst überholt? Diese Frage blieb gestern offen. Der nordrhein-westfälische Regierungssprecher Buchow erklärte zwar, das Schreiben an SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, aus dem das Magazin Focus in seiner neuesten Ausgabe zitiere, sei „zweieinhalb Wochen alt“. Was aber die Steuersätze angehe, habe der Brief „noch Aktualität“. Damit blieb der Inhalt des Briefes im Kern unangetastet. Auf neun Seiten hatte sich der SPD- Politiker Clement für deutliche niedrigere Steuersätze als jetzt von Rot-Grün vereinbart ausgesprochen. Der Einkommens-Spitzensteuersatz solle auf unter 40 Prozent, der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent abgesenkt, die Körperschaftsteuer auf 30 Prozent herabgesetzt werden. Schröders Reformgesetz, in erster Lesung im Bundestag beraten, sieht hingegen einen Spitzensteuersatz von 48,5 und einen Eingangssteuersatz von 19,9 Prozent vor. Die Körperschaftsteuer soll 1999 von 45 auf 40 Prozent sinken.

In seinem Schreiben warf Clement der neuen Bundesregierung vor, ihr Konzept würde die Wirtschaft mit „mindestens 30 Milliarden Mark“ zusätzlich belasten. Damit könnten keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden.

Kritisiert wurde auch am Wochenende von zwei weiteren SPD- Spitzenpolitikern die Neuregelung für die 620-Mark-Jobs. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck begrüßte im Kölner Express zwar den Plan, die 20prozentige Pauschalsteuer auf 620-Mark- Jobs durch Abgaben zur Renten- und Krankenversicherung zu ersetzen, kritisierte aber das volle Einsetzen der Sozialversicherungspflicht ab 621 Mark. Dadurch entstünden kaum Jobs im Bereich zwischen 620 und 1.400 Mark. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Somonis wurde in Zeitungsberichten mit den Worten zitiert, diese Pläne seien „noch nicht das Gelbe vom Ei“. Die grüne Finanzexpertin der Bundestagsfraktion, Kristin Heyne, hält das „Säbelrasseln einiger SPD- Landesfürsten für äußerst ärgerlich“. Gerade die Grünen hätten auf eine weitere Senkung der Einkommenssteuertarife gedrängt: „Ich frage da: Wo waren Herr Clement und Frau Simonis?“

Der grüne Umweltminister und Noch-Parteisprecher Jürgen Trittin wies die Kritik von Simonis und Clement an der rot-grünen Steuerreform am Wochenende zurück. Die beiden Ministerpräsidenten glaubten die geplante Erhöhung des Kindergeldes und des steuerfreien Existenzminimums noch stoppen zu können. „Auf diese Debatte freue ich mich. Da habt ihr euch ein bißchen verhoben“, sagte Trittin auf dem Parteitag der niedersächsischen Grünen in Stade. Bei der Neuregelung der 620-Mark-Jobs müsse nun „Genauigkeit vor Schnelligkeit gelten“, sagte der Bundesumweltminister. Der Vorschlag, die bisherige Pauschalbesteuerung durch einen Sozialversicherungsbeitrag der Arbeitgeber zu ersetzen, sei von beiden Bonner Koalitionspartnern so ausgehandelt worden. Die Auswirkungen der Reform müßten aber noch im Rahmen des Bündnisses für Arbeit mit den Verbänden diskutiert werden. „Es gibt weiterhin das Problem, wie man den Trend zur Zerlegung von Normalarbeitsverhältnissen in den Griff bekommt“, sagte Trittin. Einnahmeverluste der Länder sah er auch durch die Abschaffung der Pauschalbesteuerung der 620- Mark-Jobs nicht: „Dadurch kommt es nicht zu Steuerausfällen.“ Der Bundesfinanzminister habe mehrfach erklärt, daß eine Kompensation für die bisherigen Einnahmen aus den 620-Mark- Jobs notwendig sei. Die neue Bundesregierung habe in den ersten zwei Wochen so viele Reformgesetze auf den Weg gebracht wie die alte nicht in vier Jahren. Daß sich Schwierigkeiten bei diesem Tempo ergeben, sei selbstverständlich, sagte Trittin in Stade. Den Parteitag bat er um Nachsicht dafür, „daß junge Pferde sich auch mal vergaloppieren können“. Künftig würde Rot-Grün in Bonn „in einem Geschirr und im Gleichschritt laufen“. Severin Weiland, Jürgen Voges

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